Foto: Gary Gelb, Greenwich Village, Manhattan, Oktober 2000
Am Dienstag, den 11. September 2001, nahm ich an einem Wochenseminar der IBM in Stuttgart teil. Meine Frau und ich hatten bereits bei British Airways Tickets nach New York gekauft. Wir wollten Anfang Oktober fliegen. Gegen 15h verließ ich den Seminarraum, um auf Toilette zu gehen. Danach hörte ich meine Handymailbox ab. Eine Freundin aus Essen fragte ziemlich aufgeregt, ob wir noch in Deutschland seien oder schon "drüben". Danach meine Frau, im Hintergrund aufgeregte Stimmen. Ich rief sie zurück und sie schilderte mir, was passiert sei. Sie sagte, man verdächtige bin Laden als Drahtzieher. Ich stellte ihn mir als den Teufel persönlich vor.
Mit diesem Wissen war ich einer der wenigen zu diesem Zeitpunkt im IBM Gebäude. Damit ging ich zurück in den Seminarraum und überlegte, ob ich die Nachricht einfach laut verkünden sollte. Es lief ein Video auf dem Beamer, auf dem Lou Gerstner sagte: "There are three types of people in business: Those who watch things happen, people to whom things happen and those who let things happen." Damit traf er den Nagel auf den Kopf. Ironischer ging es gar nicht.
Dann stieg der Drang in mir, die Nachricht herauszulassen. Aber ich wusste gar nicht, was ich zuerst sagen sollte. Terror, Flugzeuge, New York.
Wir starteten ein Thinkpad und surften auf SPIEGEL Online. Wir sahen rauchende Twintowers. Im Seminar hatten wir einen Kollegen von der IBM UK. Der rief in seiner Heimatlokation an und erfuhr, dass England den Luftraum gesperrt habe. "Das ist ein ganz gefährliches Zeichen. Jetzt ist es wirklich ernst."
Wir brachen das Seminar ab um auf unsere Hotelzimmer zu gehen. Wir verabredeten uns für das Abendessen. Als ich aufs Zimmer kam und n-tv einschaltete, stürzte einer der Türme ein. Ich sah den Turm, den ich ein Jahr zuvor mit meiner Frau noch betreten hatte, der auf etlichen Fotos zu sehen war, einstürzen. In dem Moment stürzte auch in mir etwas ein.
Mir ging es wie allen, ich konnte die Augen nicht mehr vom Fernseher nehmen, und telefonierte parallel mit meiner Frau. Nach Abendessen war mir überhaupt nicht zumute, aber da war auch das Bedürfnis, mit den Kollegen zusammenzurücken. Noch einen Tag zurvor hatte ich mit meinem Chef über Rudolf Scharpings Fotos aus dem Swimmingpool gewitzelt.
Am nächsten Tag hieß es bei IBM: Flugverbot. Also Heimfahrt am Donnerstag mit dem Zug? Es ging ein paar mal hin und her. Dann durften wir doch fliegen. Es war das leerste Flugzeug, mit dem ich je geflogen bin. Höchstens 10 bis 20 Passagiere. Alle schweigsam, alle unwohl, alle ängstlich. Der Terror verlieh der Phantasie Flügel.
Später erinnerte ich mich an einen Gedanken vom Februar 2001. Wir waren gerade nach Berlin gezogen und wohnten in einem möblierten Appartement in Charlottenburg. Schwer beschäftigt mit dem Umzug und meinem Projektstart bekam ich Tagesnachrichten immer nur abends in den Tagestehemen mit. Da war eine Meldung von einem chinesischen Spionageflugzeug, dass die US Armee abgeschossen hatte. Oder es war umgekehrt. Jedenfalls wurde der frisch gebackene Präsident mit harschen Worten in Richtung China zitiert. Irgendeine Eingebung ließ mich zu meiner Frau sagen: "Den werden wir noch in olivgrüner Uniform erleben. Der ist mit nicht geheuer."