Wer so wie ich Mitte der 1970er (oder früher) geboren wurde, kann sich noch gut an den Kalten Krieg und das damit verbundene Wettrüsten erinnern. Und daran, wie erleichtert man allerorten war, als er endlich sein Ende fand. Offenbar haben Marvel Studios und Warner Bros./DC Entertainment aber inzwischen beschlossen, einen neuen Kalten Krieg zu starten - einen auf dem Gebiet der Comicverfilmungen für die große Leinwand.
Auf der zurückliegenden Messe San Diego Comic-Con (SDCC) bewarb Marvel nicht nur seine anstehenden Film Guardians of the Galaxy (ab 28. August im Kino) das kommende Sequel Avengers: Age of Ultron und den Streifen Ant-Man (beide 2015) sondern präsentierte einen Plan für weitere Verfilmungen, der bis ins Jahr 2019 reicht. Betrachtet man nur den Zeitraum ab 2016, dann will das Studio wenigstens neun Filme in die Kinos bringen, die auf Charakteren aus dem Marvel-Universum basieren. Die Lizenz-Produktionen von Sony (Spider-Man) oder 20th Century Fox (X-Men, Fantatstic Four) kommen noch hinzu. Nicht nur, dass dies ohnehin ein sehr ambitionierter Plan ist, er bekommt zusätzlich noch durch die Tatsache Gewicht, dass Marvel Studios bereits jetzt schon sich auf die genauen Starttermine für alle diese Produktionen festgelegt hat. Man mag argumentieren, dass damit ein Studio einfach nur einen genau ausgearbeiteten Plan öffentlicht gemacht hat, doch kann niemand bestreiten, dass zumindest der Nebeneffekt besteht, dass man den Konkurrenten Warner Bros./DC dadurch mächtig unter Druck setzt. Nicht zuletzt auch dadurch, dass man scheinbar völlig problemlos einen freiwerdenden Starttermin (z.B. den durch die Verschiebung von Amazing Spider-Man 3 seitens Sony ins Jahr 2018) einfach mal so für einen zusätzlichen eigenen Film für sich reklamiert. Die Ansage ist klar: Wir haben einen Plan, wir haben ausreichend für Verfilmungen geeignete Figuren und wir haben ein so großes finanzielles Potential, dass wir auch mal eben drei statt zwei Filme pro Jahr produzieren können. Und jetzt kommt ihr! Und ganz ehrlich: Angesichts der Erfolgsstory, die Marvel in den vergangenen Jahren mit seinen Filmen geschrieben hat, kann sich das Studio diese Haltung absolut leisten.
Warner Bros./DC Entertainment hat hingegen ordentlich Flecken auf der Weste. Die Dark-Knight-Trilogie um Batmans Abenteuer war ein riesiger Erfolg, Streifen wie Catwoman, Superman Returns und Green Lantern hingegen nicht. Mit Man of Steel konnte man zuletzt hingegen wieder gegenüber der scheinbar übermachtigen Konkurrenz aus dem Disney-Konzern punkten und verfiel darauf, das Zusammentreffen von Superman und Batman auf der Leinwand für das Jahr 2015 anzukündigen. Schnell musste man einsehen, dass daraus nichts werden würde, machte jedoch aus der Not eine Tugend, indem man selbstbewusst und auch provozierend den Start des Films Batman v. Superman: Dawn of Justice auf den 6. Mai 2016 terminierte - ein Datum, das Marvel bereits vorher für einen seiner Filme reserviert hatte. Welcher dies ein würde, war zu diesem Moment noch nicht klar, doch Marvel beeilte sich und publizierte zügig die Information, dass es sich bei diesem Streifen um Captain America 3 handeln werde. Da war sie also: Die Kuba-Krise im Kalten Krieg der Comicverfilmungen!
Und wie seinerzeit die Sowjetunion ihre Schiffe schließlich abdrehen ließ, so geht nun auch DC der Konfrontation mit Marvel, die man ursprünglich selbst gesucht hatte, nun doch aus dem Weg. Statt am 6. Mai 2016 wird Batman v. Superman: Dawn of Justice bereits am 25. März des gleichen Jahres an den Start gehen, wie Warner Bros. nun bekannt gab. Ein mutiger Schritt, denn das erste Quartal gilt gemeinhin als schlechtes Terrain für Blockbuster. So erlitt beispielsweise Disney 2012 mit dem Film John Carter schlimmen Schiffbruch, als man ihn im Frühjahr anlaufen ließ. Warner Bros./DC schreckt dies offenbar nicht und - da wollen wir ganz ehrlich sein - großartige Alternativen standen auch nicht zur Verfügung. Zwei Mal hat man damit den Starttermin für diesen Showdown zwischen den DC-Giganten seit der Ankündigung des Films verlegt und ein gewisser Imageschaden ist nicht zu leugnen. Das wissen natürlich auch die kalten Krieger bei Warner Bros., weshalb sie die Nachricht bezüglich DoJ mit der Veröffentlichung eines Schlachtplans einher gehen ließen, der jenen von Marvel noch übertrifft. Beginnend mit Batman v. Superman: Dawn of Justice wird es bis einschließlich 2020 insgesamt 10 Verfilmungen von DC-Superhelden geben. Damit sticht man den Konkurrenten nicht nur in Sachen Output aus, sondern auch im Hinblickauf die zeitliche Perspektive. Wettrüsten pur!
Hier die im Moment geplanten Filme von DC und Marvel in zeitlicher Reihenfolge (DC-Filme der Übersichtlichkeit halber kursiv, TBA: To Be Announced - Filmtitel steht noch nicht offiziell fest):
25. März 2016 - Batman v. Superman: Dawn of Justice (DC) 6. Mai 2016 - Captain America 3 (Marvel) 17. Juli 2016 - TBA (wahrscheinlich Doctor Strange) (Marvel) 5. August 2016 - TBA (DC)
6. Mai 2017 - TBA (Marvel) 23. Juni 2017 - TBA (DC) 28. Juli 2017 - Guardians of the Galaxy 2 (Marvel) 3. November 2017 - TBA (Marvel) 17. November 2017 - TBA (DC)
23. März 2018 - TBA (DC) 4. Mai 2018 - TBA (Marvel) 6. Juli 2018 - TBA (Marvel) 27. Juli 2018 - TBA (DC) 2. November 2018 - TBA (Marvel) 5. April 2019 - TBA (DC) 3. Mai 2019 - TBA (Marvel) 14. Juni 2019 - TBA (DC)
3. April 2020 - TBA (DC) 19. Juni 2020 - TBA (DC) Soweit der aktuelle Stand. Wie gesagt, jene Filme, die Lizenznehmer auf Basis der Marvel-Franchises Spider-Man, X-Men und Fantastic Four realisieren, kommen noch hinzu und Marvel hat seine Planungen für 2019 und 2020 noch gar nicht in vollem Umfang veröffentlicht. Angesichts dieser wahren Flut von Streifen stellt sich dem Betrachter einmal mehr die Frage: Wie lange kann das gut gehen? Es wäre sicherlich falsch, wenn man Superhelden-Filme als einen vorübergehenden Trend betrachten würde, denn immerhin hält er bereits seit fast 15 Jahren an (wenn man der ersten X-Men einmal als Startpunkt nimmt). Doch jedes Feuer brennt einmal aus, vor allem dann, wenn die Flammen so hoch schlagen, wie es in den nächsten Jahren der Fall sein wird. Und vergessen wir nicht, dass es zusätzlich weitere "Brandnester" in Form von TV-Serien (Agents of S.H.I.E.L.D., Arrow, Flash, Gotham, Constantine, Marvel's Netflix-Serien) gibt. Wann kommt der Punkt, an dem das allgemeine Publikum nicht nur sagt: "Ich kann nicht mehr!" (in finanzieller Hinsicht), sondern auch: "Ich mag nicht mehr!" (Übersättigung)? Dieser Moment wird auf jeden Fall kommen, doch ihn rechtzeitig zu erkennen, war noch nie die Stärke der Hollywood-Studios. Warum sollte es in dieses Mal anders sein? Comicverfilmungen sind zwar nicht billig in der Produktion (z.B. Captain America: The Winter Soldier hatte ein Budget von ca. 170 Mio. Dollar), doch sie spielen im Erfolgsfalle verdammt viel Geld ein (Dark Knight Rises und Marvel's The Avengers bspw. deutlich über 1 Milliarde Dollar!). Wer also bereit ist, regelmäßig ordentlich Geld in die Hand zu nehmen - und dies sind offenbar beide Seiten - darf auf satte Gewinne hoffen. Plus Einnahmen durch Merchandising usw. Weder Marvel noch Warner werden freiwillig kürzer treten, sondern Weiterrüsten und die Einsätze erhöhen, bis.... nun ja.
Oder läuft es doch auf ein 1989/90 im Kalten Krieg der Superhelden hinaus, also darauf, dass eine der beiden Seiten die Waffen streckt? Ganz ausschließen kann man dies nicht, doch vor 2016 werden wir nicht wissen, ob es so kommt. Während Marvel fest im Sattel sitzt, wird für DC das Jahr 2016 entscheidend sein für den weiteren Verlauf des Wettrüstens. Denn sollte sich Batman v. Superman: Dawn of Justice wirtschaftlich als Flop herausstellen, würde dies bereits das Ende des angestrebten DC-Movieverse bedeuten, ehe es überhaupt richtig entstanden wäre. Gleichbedeutend damit, dass Warner Bros. überhaupt keine Filme mit Superman oder Batman mehr realisieren würde, wäre dies natürlich nicht, doch der Output würde sich deutlich reduzieren und die Übersättigung des Publikums zeitlich hinausgeschoben. Da der Existenzzweck von Warner Bros. im Gegensatz zu dem von Marvel Studios allerdings nicht nur in der Auswertung eines Comic-Universums besteht, sondern man im Gegenteil inhaltlich breit aufgestellt ist, käme man, wenn auch nur mit sehr lautem Zähneknirschen schon darüber hinweg, wenn es mit den hochfliegenden Plänen so nichts werden würde.
Damit wir uns richtig verstehen: Ich vertrete absolut nicht die Ansicht, dass Warner Bros. besser keine Comicverfilmungen machen sollte. Solch eine Haltung wäre Unsinn! Das DC-Universum hat jede Menge Fans (ich bin einer davon) und wie die Marvel-Anhänger haben auch die Liebhaber von Superman und Co ein legitimes Recht darauf, ihre Helden auf der großen Leinwand zu erleben. Aber dieses Wettrüsten, bei dem man sich gegenseitig und über ein halbes Jahrzehnt im Voraus die Starttermine wegnimmt, sich mit immer umfangreicheren Planungen zu übertrumpfen und zu beeindrucken versucht, ist einfach Irrsinn! Und es ist zutiefst unfair, weil in letzter Instanz dieser Kalte Krieg der Superhelden auf dem Rücken der Fans ausgetragen wird, denn sie werden die Leidtragenden sein, wenn der große Knall kommt. Und ihr einziger Trost wird dann darin bestehen, dass sie gottseidank wenigstens keinen atombombensicheren Bunker brauchen.
Link 1: Bericht hier im Blog zu Planungen von Marvel Link 2: Bericht zu den Plänen von Warner Bros/DC bei Coming Soon