Spüre, was ich brauche!

Die Frau wünschte sich emotionale Intimität. Sie wolle sich von ihrem Mann geliebt fühlen, gestand sie offen. Das braucht Mut, finde ich, immerhin war ihr Mann anwesend. Weil ich das genauer erforschen wollte, bot ich ihr eine Frage an: „Was zeigt der Gradmesser in Ihrem Herzen an? Wie fühlen Sie sich aktuell von Ihrem Mann geliebt auf einer Skala von null bis zehn geschätzt?“ Sie senkte den Blick zuerst auf den Boden und schaute mir dann geradewegs in die Augen. „Ungefähr eine Drei“, antwortete sie mir. Weil ich nicht darüber spekulieren wollte, wie wichtig es für sie war, sich von ihrem Mann geliebt zu fühlen, fragte ich nach: „Und welche Bedeutung hat es aktuell für Sie, sich von ihm geliebt zu fühlen?“ Das sei ihr total wichtig, gab sie zurück. „Da brauche ich mindestens eine Acht auf der Skala, mit weniger will ich mich nicht zufrieden geben“, fügte sie noch hinzu. Ich wollte die Situation an dieser Stelle nicht zuspitzen. Deshalb verzichtete ich darauf zu fragen, wie lange sie es noch mit einer Drei aushalten würde.

Ob er wisse, was seine Frau bräuchte, um auf der Liebes-Skala von einer Drei auf eine Vier zu kommen, wollte ich von dem Mann nach einer kurzen Pause wissen. Er hätte schon eine Ahnung, meinte er, sicher sei er sich aber nicht. „Sind Sie daran interessiert, das von Ihrer Frau zu erfahren?“, setzte ich nach. Darauf ergriff sie das Wort und meinte: „Nein, das möchte ich nicht sagen. Ich möchte lieber, dass er auf mich zukommt und spürt, was ich brauche.“ Dann schwiegen die beiden und lächelten mich an. Mir fiel auf, dass ich meinen Atem für einen kurzen Moment anhielt. Ich nahm dies als Anzeichen dafür, dass Anspannung im Raum war. Deshalb fragte ich die Frau, ob sie damit einverstanden sei, wenn ich sie provozieren würde. Sie nickte, und ihr Lächeln wich einem ernsten Ausdruck von Neugierde.

„Kontakt und Dialog zu ‚verrätseln’ und mit Geheimnissen zu würzen, hat Vor- und Nachteile“, begann ich. Um dann nachzusetzen: „Was versprechen Sie sich davon, den Ball Ihrem Mann zu zuspielen und darauf zu vertrauen, dass er Ihre Wünsche und Bedürfnisse erspürt?“ Sie überlegte kurz und sagte dann: „Ich würde mich dann gemeint fühlen und wüsste, dass er sich für mich interessiert.“ Das könne ich nachvollziehen, gab ich ihr mit einem Nicken zurück.

Wie sich das für ihn anhöre, wendete ich mich dem Mann zu. Er schaute seiner Frau direkt in die Augen und antwortete dann: „Das klingt in meinen Ohren so, als ob Du die Verantwortung an mich delegieren willst. Du weichst mir damit aus, wie so oft in den letzten Jahren.“ Und engagiert fügte er noch hinzu: „Das hiesse ja, dass ich mich nicht für Dich interessiere, wenn ich Deine Wünsche weder errate noch erspüre. Damit bin ich überhaupt nicht einverstanden. Dich so zu lieben, fällt mir tatsächlich schwer.“

Herzenswünsche zu offenbaren und damit Kontakt herzustellen, erfordert Mut; wir könnten zurückgewiesen und somit verletzt werden. Aber gerade Verletzlichkeit gepaart mit Nichtwissen ist ein wesentlicher Schlüssel zu selbstbestimmter Intimität. Mein Vorschlag dazu: „Mein Herz klopft und ich fühle mich verletzlich. Ich trage seit längerem einen Wunsch in mir, weiss aber nicht recht, wie ich es Dir sagen soll.“

Das sind meine Worte, liebe Leserinnen und Leser, sie finden Ihre eigenen.


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