Speisefisch im Fichtennadelbad

Speisefisch im FichtennadelbadSuperlative, bis der Arzt kommt, so saugt Taz-Autor Ingo Arzt auch aus dem abgesagten Super-Gau im japanischen Kernkraftwerk Fukushima noch ein paar beunruhigende Zeilen. "Tausende Tonnen radioaktives Wasser werden in Japan ins Meer geleitet", analysiert er messerscharf, und noch schlimmer: "Der AKW-Betreiber Tepco spielt die Sache herunter", denn, das wissen sie in allen Redaktionsstuben zwischen München und Hamburg, die Rettungsmaßnahmen sind verzweifelt, der "Super-Gau" (n-tv), der vor zwei Wochen eine Woche lang stattfand, ist nicht mehr aufzuhalten. Zumindest so lange nicht ein Sonderkommando deutscher Kommentatoren und Reporter über Fukushima abgeworfen wird, um Millisievert und Bequerel wieder in die innere Reaktorhülle zurückzuschreiben.
Aber sie wollen keine Hilfe, diese Japaner, die dem deutschen Schlachtenbummler mit jedem Tag der größten Krise seit der Verhaftung des Wettermoderator Kachelmann immer rätselhafter werden. Kaum Proteste, keine Gewalt, keine Straßenblockaden vor Feuerwehrwagen und nirgendwo Rücktritte bei den versagenden Behörden. Von Deutschland aus betrachtet handelt es sich bei den ehemaligen Verbündeten um stoische Sushi-Esser, denen auch die akuteste Greenpeace-Warnung vor verseuchtem Meeresboden nicht den Appetit verdirbt.
Kraftwerksbetreiber Tepco, hierzulande längst als unglaubwürdig entlarvt, bestärkt die Bedauernswerten auch noch in ihrem unverständlichen Gleichmut, der mehr unter den Tsunamifolgen zu leiden vorgibt als unter den Strahlungswerten vor der Küste, die in der am meisten betroffenen Region Baden-Württemberg zu einem Erdrutschsieg der Grünen geführt hatten. Japaner könnten ruhig weiterhin frischen Fisch aus den Küstengewässern vor Fukushima genießen, behaupte Tepco. Selbst wenn Anwohner jeden Tag Meeresfrüchte aus der Region äßen, bliebe die radioaktive Belastung unter dem kritischen Grenzwert.
Das muss natürlich gelogen sein, denn ganz unbescheiden heißt der Text "Tepco verstrahlt Pazifik". Wie zuletzt bei der Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko, die vor einem Jahr das neue Tschernobyl gewesen war, hilft die Macht der großen Zahl, die Angst vor der "größten Menschheitskatastrophe" (Der Vorwärts) aufrecht: Arbeiter hätten "über 11.500 Tonnen radioaktiv verseuchtes Wasser ins Meer gepumpt", rechnet der Arzt vor, dem die Leser vertrauen. Beim n-tv-Liveticker kommt infolgedessen schon "Radioaktivität in kanadischem Trinkwasser" an, das damit gleichzieht mit dem Brunnenwasser in Aue, Eisleben und Naumburg.
11.500 Tonnen radioaktives Wasser in den Pazifik einzuleiten, der rund 70.000.000.000.000.000 Tonnen Wasser enthält, entspricht etwa dem Verhältnis von einem Quadrilliarstel Teil Fichtelnadelbad auf eine volle Badewanne. Der Anteil des "weit über die Grenzwerte belasteten Wassers" beträgt rund 0,0000000000016 Prozent des gesamten Meeresinhalts. Sowenig sich das Wasser in der Wanne von einem Molekül Fichtennadelbad grün färben wird, so wenig wird der Pazifik verstrahlt.
Aber "Betrüger nutzen Angst vor Strahlung aus", meldet n-tv, diesmal völlig zutreffend.


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