Spannendes Hinterfragen eines sadistischen Vampir-Mythos

Dienst_GraefinSie soll über 600 ihrer weiblichen Leibeigenen sexuell mißbraucht, gefoltert, ermordet und in deren Blut gebadet haben. Sie – das ist die ungarische Gräfin Erzsébet (Elisabeth) Bathory (1560 – 1614). Aufgebracht wurde diese Anklage seinerzeit von rivalisierenden Hochadeligen und gut 100 Jahre später noch zugespitzt durch einen katholischen Mönch. Seither geistert die Bathory als “Blutgräfin” durch Schauerromane und -filme, die sich um Vampire und lesbischen Sadomasochismus drehen. Doch was ist dran an diesen Mythen? Wer war die reale Bathory? Dieser Frage geht Tereza Vanek in ihrem neuen Roman – aus der Sicht einer fiktiven Schneiderin “Im Dienst der Gräfin” – nach.

Zunächst, es sollte schon stutzig machen, wenn zu der damaligen Zeit Magnaten (= ungarische Hochadelige), die selbst Hunderte oder gar Tausende Leibeigene besaßen, sich um das Wohlergehen derselben bei fremden Herrschaften sorgten, sogar deshalb einen Prozeß gegen eine der Ihren anstrengten. Und es sollte schon stutzig machen, warum ausgerechnet Kleriker eine Frau als blutsaugende Hexe denunzierten…

Der Roman beginnt im Jahre 1606. Die 17jährige Waise Emilia, Tochter eines Regensburger Gewandschneiders, wird von ihren Pflegeltern mit einem Hausierer verkuppelt. Beide kommen auch nach Wien, wo die talentierte junge Schneiderin erfolgreich einige aufgearbeitete Kleider an eine vornehme junge Dame verkaufen kann. Auf diesem Wege wird die verwitwete Gräfin Bathory auf Emilia aufmerksam und schlägt ihr vor, als Gewandschneiderin in ihre Dienste zu treten. Emilia willigt rasch ein, denn sie sieht darin eine Möglichkeit, ihrer elenden Lage zu entkommen und ihre Talente entfalten zu können. Emilia gewinnt durch Können und selbstbewußten Charakter rasch die Gunst ihrer Dienstherrin. Der Dienst in Wien dauert nicht allzu lange, denn die Gräfin kehrt bald auf ihren ungarischen Stammsitz zurück, um dort ihre jüngere Tochter zu verheiraten. Emilia darf die Gräfin in privilegierter Stellung begleiten und wird mit der Anfertigung der diversen Hochzeitsgarderoben beauftragt.

Im ungarischen Stammschloß lernt Emilia aber auch dunkle Seiten ihrer Herrin kennen, ihren oft unbeherrschten Charakter, ihre Gefühllosigkeit und Härte. Emilia lebt sich als Ausländerin trotz gegenseitiger Vorbehalte und Mißverständnisse in die Schar der zumeist leibeigenen Dienstboten ein. Auch unter ihnen herrschen Neid, Mißgunst und Intrigen und sie müssen die sadistische Herrschaft von Aufseherinnen erdulden. Immer wieder geschehen mysteriöse Grausamkeiten und Todesfälle. Dennoch ist Emilia, als Freie, ihrer Dienstherrin treu ergeben, und gewinnt trotz aller Standesunterschiede durch ihr Selbstbewußtsein sogar das Vertrauen der Gräfin. Schließlich verliebt sie sich noch in Istvan, der seinerseits schicksalhaft mit der Gräfin verbunden ist. Doch eine Idylle will nicht aufkommen, denn die Ereignisse spitzen sich in Zusammenhang mit der Hochzeit der jungen Gräfin dramatisch zu.

Die Bathory ist als reichste Witwe Ungarns, die sich nicht wieder mit einem anderen Magnaten verheiraten will, ins Visier ihrer Standesgenossen geraten. Auch der Kaiser in Wien ist ihr nicht wohlgesonnen. Man sinnt aus unterschiedlichen Gründen darüber nach, wie man sich der Bathory entledigen kann: der Habsburger Kaiser will seine Schulden nicht bezahlen, die ungarischen Adelsherren trachten nach dem immensen Besitz der Witwe. Und auch der Klerus hat seine materiellen Interessen. Um ihre Ziele durchzusetzen, machen sie sich die Zwiste zunutze, die innerhalb des Bathory’schen Gesindes brodeln.

Kaiser und Magnaten sowie Klerus eint bei allen Differenzen dies: Eine selbständige, selbst- und machtbewußte reiche Frau, Witwe dazu, paßt nicht in das Weltbild des christkatholischen Hochadels, einer patriarchalischen Feudalgesellschaft. Nicht zuletzt geht es um machtpolitische Ränkespiele in der Region. Aber auf ehrliche Art und Weise ist der Gräfin nichts anzuhaben, also versucht man es mit Verleumdungen und heuchlerischer Sorge um deren leibeigene Untertanen.

Schließlich erreichen Erzsébeths Gegner ihr Ziel. Die Gräfin wird gefangen gesetzt, ihrem Gesinde werden unter Folter die schlimmsten Geständnisse entlockt. Der Haß einiger Dienstmädchen verschlimmert all das nur. Auch Emilia muß leiden. Zuerst hat eine Verleumdung einer früheren Favoritin der Bathory das Vertrauen der Gräfin in Emilia erschüttert, später wird auch ihr Folter angedroht, um ihr ebenfalls wüste Anschuldigungen gegen ihre Dienstherrin zu entlocken.

Einen offenen Prozeß wagt man der realen Gräfin jedoch nicht zu machen; sie wird in ihrer eigenen Burg faktisch eingemauert – bis zu ihrem Tode. Sogar das Erbe – das ihres Sohnes und der beiden Schwiegersöhne – wird nicht angetastet.

Und wie geht es mit der fiktiven Emilia weiter, kann sie dem Tode entkommen? Was wird aus ihr und ihrer Liebe zu Istvan? Das bleibt spannend bis zur letzten Seite.

Tereza Vaneks aufregend und mitfühlsam geschriebener Roman versucht eine mögliche Deutung – und vielleicht sogar wahrscheinliche Version – des damaligen Geschehens zu geben. Nicht falsche Anklagen und spätere Mythen werden hier auf neue Weise kolportiert. Nein, die Autorin will ein mögliches und authentisches Charakterbild einer starken Frau in deren Zeit zeichnen. Denn die Gräfin verhielt sich in allem nicht anders, als es ihre christlichen Standesgenossen europaweit ganz selbstverständlich und gottgewollt praktizierten. Die Bathory war somit nicht besser oder schlechter als andere Hochadlige auch. Für bestimmte irrationale Charakterzüge führt die Autorin mögliche Gründe, vor allem reale Hintergründe, an. Was die zeitgenössischen Anklagen angeht, so macht die Autorin deutlich auf den Unterschied zwischen Vorwand und Grund aufmerksam.

Hervorzuheben ist unbedingt, daß Tereza Vanek sehr lebendige und durchaus authentische Charaktere gezeichnet hat. Sie läßt Persönlichkeiten in all ihren individuellen Widersprüchen agieren. Vor allem sind die Dienstboten nicht graue Masse und auch nicht per se nur leidende oder gute Menschen. Daß das alles aus der Sicht der Emilia beschrieben (und hinterfragt) wird, wirkt sich positiv aus. So wenig, wie alle Adeligen nur schlecht sind. Leider wird ja Geschichte fast immer nur aus der Sicht der Herrschenden ge- und beschrieben. Und nicht selten auch um der Vermarktung willen umgeschrieben – siehe die ahistorischen und reißerischen Machwerke um die “Blutgräfin”.

Tereza Vanek hat es gut und lesenswert verstanden, Fiktives und Reales zu verknüpfen, um reales Geschehen in damaliger Zeit für das Heute verständlicher zu machen. Ihre Figur “Emilia” ist vielleicht etwas zu heutig angelegt, doch das ist aus Sicht des Rezensenten ein durchaus erlaubter Kunstgriff.

Und um auf die eingangs gestellten Anmerkungen zurückzukommen. Machtmethoden ändern sich selten. So wie es damals verlogen war, Sorgen um mißhandelte Leibeigene vorzuschieben, so ist es heute nicht minder verlogen, wenn sich die jetzt ökonomisch und politisch Herrschenden Sorgen um das einfache Volk in vorgeblichen Schurkenstaaten machen, wenn abstruse Anwürfe gegen unliebsame Regierungen erhoben werden. Diese Gedankengänge sollen nicht verschwiegen werden.

Kurzum. Tereza Vanek hat einen ansprechenden Roman über starke Frauen aus unterschiedlichen Gesellschaftsklassen vorgelegt. Was lesbarer und sogar viel spannender ist als die üblichen Vampir-Schinken über die angebliche “Blutgräfin”.

Siegfried R. Krebs


Tereza Vanek: Im Dienst der Gräfin. Historischer Roman. 420 S. kart. Drachenmond-Verlag. Leverkusen 2014. 14,90 Euro. ISBN 978-3-931989-81-1

Erstveröffentlichung Freigeist Weimar


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