Spannend, dystopisch und leise hoffnungsvoll – Der Report der Magd

Spannend, dystopisch und leise hoffnungsvoll – Der Report der MagdWenn man einen Roman nach vielen (sehr vielen!) Jahren erneut liest, dann begegnet man irgendwie auch einer jüngeren Version seiner selbst. Ich sehe mich, wie ich damals erschüttert und mit Schauern der Angst das Schicksal Desfreds verfolgte. Erinnerten mich doch viele Passagen an die gerade untergegangene DDR. Abweichler vom vorgegebenen System werden bestraft. Orangen sind rar. Mauern sind mit Stacheldraht gesichert …

Heute bin ich einfach extrem fasziniert, wie sehr Margaret Atwood schon 1985 (Erscheinungsjahr des englischen Originals) gesellschaftliche und politische Strömungen erahnen konnte und diese ins Zentrum ihres Romans stellt. Mit coolem Weitblick schaut sie aus den Achtziger Jahren des 20. in die Zwanziger Jahre des heutigen Jahrhunderts. Die gesamte Story fühlt sich erschreckend aktuell und real an, denn die Autorin erzählt nicht nur von militärischer Gewalt, Umweltkatastrophen und daraus folgender Hinwendung der Menschen zu Religion und Gottesfurcht. Sie erzählt auch von einem System, das die Menschen total kontrolliert und in welchem die Individualität des Einzelnen komplett verloren geht. Auch das Kinderkriegen wird einer totalen Kontrolle unterworfen. Junge Frauen werden als Mägde ausgebildet, um ihrem Kommandanten und dessen älterer Frau ein gesundes Kind zu gebären. Der Akt der Penetrierung erfolgt regelmäßig und lieblos. Immer im Beisein der Ehefrau des Kommandanten. Und immer passiv! Eine Magd darf niemals aktiv werden – und sei das nur durch einen Blick in Männeraugen. Bescheiden sein. Unsichtbar sein. Dafür sind auch die übergroßen weißen Hauben, welche alle Mägde tragen müssen. Doch Gedanken und Gefühle kann man nicht kontrollieren. Man kann Erinnerungen und Träume nicht kontrollieren. Auch das Begehren nicht. Und so genießt Desfred die wenigen Stunden mit sich selbst. Hier erfahre ich auch von ihrem früheren Leben mit einem Mann und einem kleinen Mädchen an ihrer Seite. In diesem Leben hatte Desfred auch einen eigenen Namen.

Die Nacht gehört mir, sie ist meine Zeit, mit der ich tun kann, was ich will, solange ich mich still verhalte. Solange ich mich nicht bewege. Solange ich still liege … Ich liege also in dem Zimmer, unter dem Gipsauge in der Decke, hinter den weißen Gardinen, zwischen den Laken, sauber und ordentlich wie sie, und trete seitwärts aus meiner Zeit heraus … Die Nacht ist meine Pause (Seite 55).

Die Gedanken Desfreds sind mutig und zeugen von unbändigem Freiheitsdrang. Nur manchmal (und besonders in ihren Erinnerungen) klingt sie melancholisch, meist jedoch zynisch spottend:

Die Stühle auf der einen Seite des Hofs sind jetzt besetzt. Wir rascheln und warten. Endlich betritt der Kommandant, der den Gottesdienst leiten wird, den Hof. Er hat eine Glatze, ist kräftig gebaut und sieht aus wie ein alternder Footballtrainer. Er trägt seine Uniform, schlicht schwarz, mit den Reihen seiner Insignien und Orden. Es ist schwer, sich nicht beeindrucken zu lassen, aber ich gebe mir alle Mühe: Ich versuche, ihn mir im Bett vorzustellen, zusammen mit seiner Frau und seiner Magd, die er wie verrückt befruchtet, wie ein brünstiger Lachs, während er so tut, als ob er kein Vergnügen dabei empfände. Hat der Herr diesen Mann gemeint, als er sagte: Seid fruchtbar und mehret euch (Seite 293)?

Scharfsinnige Sätze, die Desfred hier denkt! Das sind dann immer die Momente, in denen ich einfach pures Glück spüre. Denn auch wenn die Geschichte in ihrer Stimmung düster ist, besticht Margaret Atwood durch ihre brillante Erzählweise und ihren spöttischen Blick. Ich will mehr von ihr lesen!

Hier der Trailer zur gleichnamigen Serie, die im April 2017 auf Hulu und im Oktober 2017 exklusiv auf Entertain TV (Telekom) gestartet ist. Die Stimmungen des Romans sind bereits in diesen wenigen Szenen großartig eingefangen. Ein beeindruckendes Beispiel, wie Verfilmungen von Romanen dazu führen, dass auch 30 Jahre später eine Geschichte erneut zu einem Bestseller werden kann.

Inspiriert von den Bildern aus Atwoods Geschichte hat der Berlin Verlag eine neue Ausgabe im Hardcover herausgebracht. Mit rotem Buchschnitt, dem bestechend schönen Cover mit der Magd in rotem Kleid und weißer Haube und mit einem von unzähligen aufgereihten Mägden geschmückten Vorsatzpapier.

Der Report Der Magd. Aus dem Englischen von Helga Pfetsch. Berlin Verlag. 2017. 411 Seiten. 25,- € / als Taschenbuch bei Piper 2017. 411 Seiten. 12,- €



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