#spanishrevolution

#spanishrevolutionvon Reto Thumiger

Am 15. März hat eine Plattform von verschiedenen Organisationen unter dem Namen „Reale Demokratie – Jetzt“ zu einer Demonstration gegen die aktuelle politische Klasse aufgerufen, eine Woche vor den Kommunalwahlen in Spanien. Aus diesem Grund wird auch oft von der Bewegung 15M gesprochen. Die Demonstration endete an dem Platz „Puerta de Sol“ (Tor der Sonne), wo der Km 0 von Spanien liegt, von wo also sämtliche Distanzen gemessen werden – aber das nur so nebenbei. Nach der Demonstration ist eine relativ kleine Gruppe von Demonstranten auf dem Platz geblieben und haben die Nacht dort verbracht. In den frühen Morgenstunden wurde diese gewaltfreie Gruppe von der Polizei mit Gewalt entfernt und eine Person verhaftet. Am nächsten Tag sind sie mit ein paar Freunden zurück gekommen, d.h. der Platz wurde permanent besetzt und ein Camp eingerichtet.

Der Platz wurde zur permanenten Manifestation, die Leute nennen sich „die Empörten“ und es wurde in erster Linie dazu aufgerufen keine der großen etablierten Parteien zu wählen, sondern die Stimmen kleinen Parteien zu geben. Unter anderem wurden auf Forderungen bezgl. Änderungen des Wahlgesetzes laut.

Das Establishment und die Medien versuchten zuerst ein Bild zu erzeugen von saufenden und randalierenden Jugendlichen, dann von unzufriedenen Jungen, die einfach abfeiern und schließlich von einem kiffenden Hippie-Lager das vor allem weiß, was sie nicht wollen (nämlich arbeiten) und unzufrieden sind und schlussendlich übergeschwenkt zu einer Protestbewegung, die zwar eine gewisse Legitimation hat aber weder Konzept noch Plan hat, also nicht wissen was sie eigentlich wollen.

Die Realität sieht natürlich anders aus. Es beteiligen sich Menschen aller Altersgruppen und von ganz verschiedenen sozialen Schichten an diesen Protesten. Es findet sich dort Arbeiter, Angestellte, Selbständige, Unternehmer, Studenten und natürlich Arbeitslose. Spanier und Ausländer, mit moderaten und radikalen Einstellung. In kürzester Zeit wurde eine komplexe Infrastruktur und Organisation auf die Beine gestellt. Essen wurde verteilt, Kleider und alles Mögliche für den täglichen Gebrauch. Es wurde sehr auf die Trinkwasserversorgung und den Nachschub an Sonnenschutzmittel geachtet während den Versammlungen unter der brennenden Sonne. Es gab medizinische Versorgung und Reinigungsteams und auf die sanitäre Situation wurde großen Wert gelegt. Die mobile Küche und das ganze Camp hat eine Überprüfung der Gesundheitsbehörde ohne Beanstandung überstanden (zumindest nach spanischen Kriterien – Sorry den Gurkenwitz konnte ich nicht auslassen). Alkohol und Drogen auf dem Platz wurden abgelehnt, man wollte kein Botellon. Die Chinesen die eifrig versuchten gekühltes Bier zu verkaufen wurden konsequent weggeschickt. Es wurde eine Kommission des Respekts gegründet um innere Konflikte mit Dialog zu lösen, Gespräch mit dem betroffenen Geschäften vor Ort zu suchen und Kompromisse zu finden; den friedlichen Dialog mit der Polizei aufrecht zu erhalten und sich auf eine mögliche gewaltvolle Räumung vorzubereiten. Zu keinem Zeitpunkt war Gewalt als Aktionsmethode eine Option und es wurde über Gewaltfreiheit aufgeklärt im Umgang untereinander und natürlich auch gegenüber der Polizei. Es gibt regelmässige Vollversammlung und alle Entscheidungen werden dort getroffen. Konsens wurde über demokratische Entscheide gestellt, d.h. man hat solange diskutiert bis ein Konsens da war anstatt abzustimmen. Es wurden Kommissionen gegründet zu vielerlei Themen. Auch hat man sich bald von der Plattform „Reale Demokratie – Jetzt“ gelöst und es gab keine Vertretungen von Organisationen. Alles ist komplett horizontal, jeder spricht für sich als Person und nicht für eine Organisation oder Gruppe. Eine reine Bürgerbewegung also wo niemand danach gefragt wird woher er kommt und ob er einer Organisation oder Partei angehört und wo jeder für sich allein spricht.

Natürlich waren am Anfang die Forderungen nicht klar, bzw. man musste zuerst das Programm ausarbeiten und sich einig werden, alles per Konsens und bei einer enormen Vielfalt. Aber es hat geklappt und wird von Tag zu Tag klare und präziser. Soviel auch zu dem Thema die heutige Jugend interessiert sich nicht für Politik und beteiligt sich nicht daran, denkste! Oft habe ich das Gefühl die Medien schreiben das so oft, weil sie hoffen dass daraus eine Realität wird. In Wirklichkeit ist die Jugend einfach nicht an der etablierten Form der Beteiligung interessiert. Wen wunderst bei so viel Manipulation und Lügerei.

Am Samstag 21. am Tag vor den Wahl, der Reflektionstag genannt wird und an diesem Tag sind politische Veranstaltungen verboten. Die Wahlkommission hat mit knapper Mehrheit entschieden, die Besetzung von Puerta de Sol zu verbieten, Zapatero hatte sich dennoch dafür entschieden es zu dulden solange alles friedlich bleibt. Ein weiser Entschluss, alles andere wäre wohl politischer Selbstmord für seine Partei gewesen.

Nach den Wahlen hat man sich dafür entschieden die Besetzung mindesten für eine Woche aufrecht zu erhalten Volksversammlungen in den Stadtteilen und den Gemeinden zu organisieren. Allein in Madrid haben am letzten Samstag in über 40 Volksversammlungen über 45.000 Personen teilgenommen. Die Entscheidungen wurden dann am Sonntag an der „Grossvolksversammlung“ auf dem Platzt von Puerta de Sol besprochen. Und so geht die „Spanische Revolution“ weiter…

Das wirklich Essentielle für mich ist jedoch mit einer riesen Ansammlung von Menschen dort in Kontakt gekommen zu sein, die sich auf eine neue Art und Weise mit einander in Verbindung setzen und auf eine neue Art und Weise organisieren.
Einen enormen Respekt vor der Vielfalt, vor der Meinung jedes einzelnen haben. Entschlossen sind Meinungsverschiedenheiten und Konflikte mit Dialog und gewaltfreien Methoden zu lösen. Menschen die sich auf gleicher Augenhöhe treffen und sich konsequent horizontal und effizient organisieren wollen. Ich weiß nicht wie weit dieser Versuch kommt ob und an welchem Punkt es scheitern wird.
Auf alle Fälle ist es offensichtlich, dass Zehntausende von Personen eine neue und tiefe Erfahrung machen, die ihre Herzen und ihren Geist berührt. Eine neue Sensibilität und etwas zutiefst Ehrliches und Schönes ohne naive Weltfremdheit.

Das sind Erfahrungen mit denen man früher oder später eine neue bessere Gesellschaft aufbauen kann. Hoffentlich früher

Fotoquelle: Flickr

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