Zwei Standmikrophone und etliche Bierflaschen schmücken die kahle Bühne, die XY für Nis-Momme Stockmanns „Der Freund krank“ im Theater werkmünchen ersonnen hat. Mikrophone in einem intimen Raum, wo man auch ohne Verstärkung jedes Wort mühelos versteht, noch dazu zwei für ein Ein-Frau-Stück – da hat offensichtlich jemand etwas sehr Wichtiges zu verkünden und will sichergehen, dass es beim Publikum auch ankommt. Als Katinka Maché dann aber loslegt mit ihrem Monolog, stellt sich rasch heraus, dass man hier als Adressat nicht besonders zuvorkommend bedient wird. Sie rast durch den Text, rattert ihn mit planmäßiger Unachtsamkeit herunter. Wer nicht mitkommt, akustisch oder inhaltlich, hat Pech gehabt. Auch die Mikrofone dienen gerade dem umgekehrten Zweck, indem sie mit ihrem Rauschen die Verständlichkeit einschränken, anstatt der Verdeutlichung zu dienen – sobald die Darstellerin auf die Verstärkung verdichtet, klingt der Text schon wesentlich klarer. Aber die meiste Zeit hat man es schwer und muss selbst entscheiden, wieviel Mühe man aufwenden will, um dem verbalen Sturzbach zu folgen. Mal strengt man sich an, mal lehnt man sich zurück, mal steigt man aus, mal wieder ein. Chaotisch und subjektiv präsentiert sich Stockmanns Story jedem Zuschauer nur in Schlaglichtern.
Dieses unverbindliche Angebot, sich angesprochen zu fühlen oder auch nicht, wäre an sich keine unspannende Methode, um einem monströs langen Monolog Herr zu werden (oder besser: Frau zu werden, denn die Inszenierung setzt sich über die eigentlich männliche Erzählperspektive des Monologs erfrischend kommentarlos hinweg) – wenn doch die Geschwindigkeit als solche auch Genuss bieten könnte. Wenn man auch in den Momenten, in denen man sich dafür entscheidet, nichts zu verstehen, etwas erleben könnte. Solange es Freude macht, jemanden mit Feuereifer reden zu hören, muss man ja nicht unbedingt verstehen, was er sagt. Aber die von Katinka Maché gestaltete ruhelose Erzählerin, die sich auf der Bühne gleichzeitig gestresst und zu Hause zu fühlen scheint, die zwischen ihren atemlosen Berichten immer wieder entspannt inen Schluck aus der Bierflasche nimmt, die permanent Auskunft gibt und dabei doch unnahbar bleibt – diese Gestalt ist unkonkret, hat zu wenig Eigenleben jenseits der erzählten Geschichte, als dass man sich an ihrem Verbalexzess erfreuen könnte. Und vor allem: Ihr Interesse an der Geschichte bleibt unklar.
In aller Kürze geht es in Stockmanns sozialkritisch-deprimierendem Milieuportrait um den Identitätskonflikt eines Mannes, der sich aus einer Industrievorstadt hochgearbeitet hat und nun auf Besuch dorthin zurückkehrt. Als Stadtplaner ist er für Entscheidungen mitverantwortlich, die seinen früheren Nachbarn die Lebensgrundlage bedroht. Anfeindungen gegen den ungeliebten Aufsteiger sind die Folge. Darin verwoben ist die surreale Geschichte um eine Figur in der Nachfolge von Melvilles Bartleby: einen Fabrikarbeiter, der nach seiner Entlassung jegliche Aktivität bis hin zu basalen lebenserhaltenden Tätigkeiten verweigert und so aus eigenem Willen zum Pflegefall wird. Aber da ein Zusammenhang zwischen dieser Story und der eigenwilligen Präsentationsform kaum ersichtlich wird, nimmt das Interesse schnell ab. Das ist schade.
Unter Textfluten begraben: Katinka Maché
Und schade ist es auch um Katinka Maché, denn man gewinnt den Eindruck, dass die Inszenierung von Alex Novak den Charme und Facettenreichtum der Schauspielerin unterdrückt. Gelegentlich ahnt man ihre Spritzigkeit und ihr Temperament, um sie im nächsten Moment umso schmerzlicher zu vermissen. Zu eng klammert sie sich meist ans Mikrofon, beschneidet die Freiheit der Hände und des Blicks, fügt sich in das strenge Konzept, lässt sich von der eintönigen Vortragsweise plattmachen, bemüht sich um eine Neutralität, die es im Theater gar nicht geben kann. Der Kraftakt, den dieses Solo für sie bedeutet, ist erkennbar und nötigt Respekt ab – aber er begeistert nicht. Faszinierende Momente gelingen ihr allerdings dann, wenn sie von erzählenden Passagen in wörtlichen Dialog wechselt: Schnippisch, beiläufig und verächtlich spuckt sie die Sätze aus, als wäre sowieso alles klar. Da gewinnen das hohe Tempo und die provokative Nachlässigkeit der Sprache plötzlich Sinn, machen die Sprödigkeit und Verschlossenheit mit sich selbst hadernder Menschen sinnfällig. Was sonst stilistische Marotte ist, wird da zum Ausdruck. Stark auch die stillen Momente, die immer wieder willkommene Abwechslung inmitten der Atemlosigkeit bieten: wenn sie schweigend beobachtet, wie der Text als Projektion, auch ziemlich flott, über die kahlen Wände gleitet. Diese Mischung aus Ruhe und Hektik, diese schweigsame Geschwätzigkeit ergibt eine eigenwillige Spannung, aus der man noch mehr hätte schöpfen können.
Kein Zweifel – an diesem Abend folgt jede Rauheit, jede Zumutung einem Plan. Leicht nachvollziehbar ist er nicht.
Weitere Vorstellungen am 24. Januar und 26. Januar 2013, 20:00 Uhr