Sozialgericht Hamburg: City BKK ist zur Schlichtung verpflichtet

Sozialgericht Hamburg: City BKK ist zur Schlichtung verpflichtet

© Dieter / pixelio.de

Schon Pyrrhus musste ja erfahren, dass manche Siege teuer erkauft werden; und so könnte es jetzt auch der City BKK (und in ihrem Fahrwasser der Dräger & Hanse BKK) ergehen, denn diese mag zwar gegen einen Leistungserbringer im Streit um die Durchsetzung ihres Vertrages mit der GWQ vor dem Sozialgericht Hamburg formal einen Sieg errungen haben, dieser dürfte aber langfristig zu einer Niederlage führen – wenn Leistungserbringer und Interessenverbände ihre Lehren aus diesem Prozess ziehen.

Über die mündliche Verhandlung vor dem Sozialgericht Hamburg im Verfahren Az. S 25 KR 1311/10 habe ich ja schon hier berichtet.

Und nun liegt das Urteil vor, welches im vollen Wortlaut hier nachzulesen ist: Urteil SozG Hamburg vom 02.12.2010.

Der Sachverhalt noch einmal in Kürze: zwischen der Landesinnung Orthopädieschuhtechnik Nord und dem BKK-Landesverband Nord besteht ein Rahmenvertrag zur Versorgung von Versicherten im Rahmen der Preisliste über die Leistung von orthopädischen Massschuhen und Schuhzurichtungen (PG 31). Die City BKK (und auch die Dräger & Hans BKK) kündigten diesen Vertrag zum 31.12.2009 und liessen die Vertragsregelungen nur noch bis 31.03.2010 gegen sich gelten. Vertragsverhandlungen mit der Landesinnung nahmen sie zunächst nicht auf, sondern boten den Betrieben den Beitritt zu einem zwischen ihnen und der GWQ-ServicePlus AG und dem Bundesinnungsverband für Orthopädietechnik (BIV) geschlossenen Vertrag an. Nur auf dessen Grundlage würde eine Versorgung noch zugelassen.

Sodann durch das Bundesversicherungsamt geforderte Vertragsverhandlungen zwischen der City BKK und der Landesinnung scheiterten, und so berief sich die Landesinnung auf die sich aus dem gekündigten Vertrag ergebende obligatorische Schlichtung durch das Sozialgericht Hamburg. Eine solche Schlichtung lehnte die City BKK mit fadenscheinigen Argumenten ab, worauf die Landesinnung sie gerichtlich auf Schlichtung in Anspruch nahm – das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Gleichzeitig klagte ein Orthopädieschuhmacher auf Fortgeltung des alten Vertrages bis zum Abschluss des Schlichtungsverfahrens. Doch die Klage scheiterte nun.

Allerdings dürfte die Begründung des Urteils für die City BKK alles Andere als positiv sein – und das Urteil wird wohl in Rechtskraft erwachsen, weil der Krankenkasse kein Berufungsrecht zusteht – formal hat sie ja gewonnen – und der Betrieb wird eher kein Rechtsmittel einlegen, um die Begründung des Urteils für die weiteren Verfahren zu erhalten.

Das Sozialgericht Hamburg kommt in seiner Entscheidung zu folgenden Ergebnissen:

  • Ein Anspruch des Betriebes kann sich nach der derzeitigen Gesetzeslage nur aus einem gültigen Vertrag herleiten, der entweder zwischen ihm und der Krankenkasse abgeschlossen worden ist, oder aber der zwischen anderen Vertragspartnern abgeschlossen wurde, dem aber die Krankenkasse und der Betrieb beigetreten sind.
  • Der alte Vertrag zwischen der Landesinnung und dem BKK-Landesverband Nord ist durch die City BKK wirksam gekündigt und  verlor seine Wirksamkeit spätestens zum 31.03.2010.
  • Seine Regelungen gelten nicht über den 31.03.2010 hinaus, auch wenn die vertraglich vorgesehenen Verpflichtungen nach Vertragsende noch bestehen.

So weit, so schlecht! Aber nun wird es interessant: denn auf Seite 6 der Entscheidung führt das Sozialgericht Hamburg in dankenswerter Klarheit Folgendes aus:

„Sie (die City BKK) ist allerdings, wie das Bundesversicherungsamt bereits in seinem Schreiben vom 14.06.2010 ausgeführt hat, verpflichtet, mit dem Kläger und mit anderen Leistungserbringern Vertragsverhandlungen zu führen. Dieser Verpflichtung ist sie zunächst auch nachgekommen. Sie hat einen Vertragsabschluss angeboten (Vergütung entsprechend dem Vertrag zwischen GWQ/BIV/AGOS), den der Kläger nicht akzeptiert hat, sodass eine vertragliche Vereinbarung nicht zustande gekommen ist. Somit kann man der Beklagten nicht vorwerfen, sie habe sich verweigert, Vertragsverhandlungen zu führen.

Offenbar weigert sie sich aber, dass in Nr.5 des Vertrages vom 25.07.2005 vereinbarte Schlichtungsverfahren mit der Landesinnung durchzuführen. Hierzu ist sie aber nach dem Vertrag verpflichtet. Nr.5 des Vertrages regelt eindeutig die Pflichten der Parteien nach einer Kündigung. Danach wäre nun ein Schlichtungsverfahren durchzuführen, dessen Leitung einem Richter des Sozialgerichts Hamburg übertragen wird. Dessen Schlichterspruch müssten beide Parteien akzeptieren, wenn keine einvernehmliche Lösung erzielt wird. Diese Vertragsklausel sollte offenbar sicher stellen, dass die Mitglieder der Landesinnung bei einem Scheitern der neuen Vertragsverhandlungen nicht schutzlos der marktbeherrschenden Stellung der Kassen gegenüber stehen, sondern ein neutraler Dritter die Preise festlegt. Genau die jetzige Situation zwischen dem Kläger und der Beklagten zeigt, wie sinnvoll die damals getroffene Vereinbarung über ein Schlichtungsverfahren ist.“

Und genau das ist es, was die derzeitigen Vertragsverhandlungen prägt: auf der einen Seite die Marktmacht der Krankenkassen, die einseitig zu ihren Gunsten formulierte Verträge vorlegen, die Preise enthalten, die eben gerade nicht „wirtschaftlich“ sind, sondern einseitig vom Sparzwang der Krankenkassen dominiert werden, ohne den Leistungserbringern Preise zu garantieren, zu denen „wirtschaftlich“, d.h., kostendeckend produziert werden kann, und auf der anderen Seite zerstrittene Leistungserbringergruppen, die entweder nicht in der Lage oder aber nicht willens sind, angemessene Vertragsentwürfe zu erstellen und in die Verhandlungen mit den Kassen einzubringen.

Und so kommt es, dass ein letztendlich einzig zur Bündelung der Marktmacht gegründetes Unternehmen wie die GWQ einen Vertrag abschliessen kann mit

  • einem Verband, der für eine bestimmte Produktgruppe eigentlich gar nicht zuständig ist (Bundesinnungsverband für Orthopädietechnik), und
  • mit einer Splittergruppe, die nur einen Teil der Betriebe der Orthopädieschuhtechnik in einigen wenigen Bundesländern vertritt.

Dieser Vertrag muss dann als Argument herhalten, um weitere Vertragsverhandlungen zu Gunsten der Leistungserbringer abzublocken und soll letztendlich alle Betriebe in ein Vertragsverhältnis zwingen, welches das wirtschaftliche Überleben der Betriebe gefährdet.

Gegen dieses Vorgehenmüssen sich nicht nur die Betriebe allein, sondern eben auch ihre Interessenverbände wehren!

Im übrigen äussert sich das Sozialgericht Hamburg auch sehr eindeutig zu den Folgen der Uneinigkeit der Betriebe, und zwar auf Seite 5f.:

„Es kann dahingestellt bleiben, welche Konsequenzen sich für den Sachleistungsanspruch des Versicherten ergeben würden, wenn alle norddeutschen orthopädischen Schuhmacherbetriebe keine vertraglichen Beziehungen mit der Beklagten hätten, sich weigern würden, eine Versorgung zu den von der Beklagten angebotenen Vergütung durchzuführen und so eine Versorgung des Versicherten, jedenfalls im norddeutschen Raum, nicht erfolgen könnte. Im vorliegenden Fall ist der Versicherte aber versorgt worden.“

Das Gericht gibt also sehr genau vor, wie die Leistungserbringer ihre Interessen wirkungsvoll vertreten könnten: durch Einigkeit! Dies sei ein deutlicher Hinweis an den BIV und solche Grüppchen wie die AGOS, die sich zu nicht auf Augenhöhe geführten Vertragsverhandlungen verleiten lassen (aus welchen Gründen auch immer…), aber auch an Landesinnungen, die meinen, Sonderwege gehen zu können.

Dies sei aber auch eine eindeutige Aufforderung an den ZVOS, endlich Konzepte für zukünftige Vertragsverhandlungen zu entwickeln und den Mut zu finden, diese dann auch in den Gesprächen mit den Kassen durchzusetzen, und nicht einfach Verträgen beizutreten – wie schlecht die Konditionen auch immer sein mögen. Eine Vertretung auf Bundeseben kann nur dann ernst genommen werden, wenn sie ein eigenes Konzept verfolgt und damit das notwendige politische Gewicht gegen die Marktmacht der Krankenkassen aufbaut. Ungünstigen Verträgen können die Betriebe auch anderswo beitreten, sie brauchen jemanden,, der ihre Interessen wahrnimmt und faire Verträge aushandelt.

Der Landesinnung Ortopädieschuhtechnik Nord und dem hier stellvertretend für viele betroffene Betriebe streitenden Orthopädieschuhtechniker ist es hoch anzurechnen, für die weiteren Vertragsverhandlungen weitere Klarheit herbeizuführen und damit den Weg aufzuzweisen, wie diese Verhandlungen zukünftig geführt werden müssen und welche Klauseln akzeptable Verträge zu enthalten haben – und welche Schritte die Betriebe unternehmen müssen, um solche Vertragsverhandlungen wirksam zu unterstützen.

Und damit ist nicht gemeint, überzogene Preisvorstellungen durchzusetzen, sondern Verträge abzuschliessen, die für beide Seiten fair und im Sinne des Sozialgesetzbuches „wirtschaftlich“ sind – und dies gegen die längst flächendeckend organisierte Marktmacht der Kassen – es besteht grosse Hoffnung, dass die Gerichte diesen Weg tatkräftig unterstützen werden, wenn man sie lässt. Es ist also an den Interessenvertretern, sich – wie die Landesinnung Nird – auf den richtigen Weg zu machen.


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