Soziale Unterschiede

Soziale Unterschiede

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Wir schrieben das Jahr 1991 und aus Marco wurde ein Schulkind.
Er war ja so stolz, dass er nun endlich wie seine große Schwester in die Schule gehen durfte. Auch er bekam seinen ersten Schulranzen von meinen Eltern geschenkt.
Beide gingen in die gleiche Schule. Und beide Kinder waren - was die Schule betraf - wirklich unkompliziert. Sie machten ihre Hausaufgaben selbständig, waren beide richtig gute Schüler und bei den Lehrern und Mitschülern gleichermaßen beliebt.
Ich konnte die Eltern gar nicht verstehen, die Probleme mit ihren Kindern bezüglich der Schule hatten. So manche Mutter erzählte mir, dass ihr Kind nur sehr ungern und widerwillig nach mehrmaligem Bitten oder Ermahnen die Hausaufgaben erledigte. "Irgendwas machen diese Mütter falsch!" dachte ich
Heute muss ich diesen Müttern Abbitte leisten. Mein drittes Kind Justin Dieudonné ist ganz anders wie seine beiden großen Geschwister. Schule ist so gar nicht sein Ding und die Hausaufgaben ein leidiges Thema. So gut ich es mit meinen beiden älteren Kindern in Punkto Schule hatte, so schwer habe ich es heute mit meinem Jüngsten. Darüber werde ich zu gegebener Zeit auch noch berichten.
Bianca war mittlerweile in der 4. Klasse und gehörte zu den Klassenbesten. Ihre beste Freundin Christina, eine Philippinin, machte es ihr gleich und beide Mädchen bekamen die Gymnasialempfehlung.
Nun hatte ich wieder die Qual der Wahl. In welches Gymnasium sollte mein Mädchen gehen? Klar war, dass sie sprachlich sehr begabt war, ein naturwissenschaftliches Gymnasium wäre also sicher nicht die richtige Wahl für sie gewesen. Außerdem war sie künstlerisch und sportlich begabt.
Dann war da noch das Problem der Betreuung. Nach wie vor brauchte Bianca eine Betreuung nach der Schule, sie wäre ja erst 10 Jahre alt, wenn sie aufs Gymnasium wechselte. Die Kinder im Hort waren höchstens 12 Jahre, viele verließen den Hort auch bereits beim Schulwechsel von der Grundschule auf eine weiterführende Schule. Ganztagesschulen gab es zu dieser Zeit noch sehr wenige.
Doch es gab das evangelische Heidehofgymnasium in Stuttgart. Bis vor einigen Jahren war das noch eine reine Mädchenschule gewesen.  Das Heidehofgymnasium genoss einen sehr guten Ruf. Es befand sich in Halbhöhenlage und in einer sehr guten Wohngegend, in der eher die Oberschicht in ihren Stadtvillen wohnte. Bis dato war das so gar nicht unsere Gegend gewesen. Dieses Gymnasium hatte einen unschlagbaren Vorteil: es hatte auf dem Schulgelände einen angegliederten Schulhort für die Kinder, die dort zu Mittag essen konnten und Hausaufgabenbetreuung bekamen. Da es eine evangelische Schule war, waren die Kosten genau die gleichen wie in dem evangelischen Hort, in dem Bianca bis jetzt war. Entsprechend war er auch für mich erschwinglich. Und Bianca konnte die Schule sogar zu Fuss von zuhause aus erreichen. Dies waren unschlagbare Argumente für die Schule. Auch der erweiterte Unterricht in Bildende Kunst und Musik war ein Plus. Dass der Religionsunterricht in der Oberstufe nicht abgewählt werden konnte, war kein Gegenargument für mich. Eine gute, religiöse Erziehung hat meiner Meinung nach noch keinem geschadet.
So war die Entscheidung gefallen und Bianca besuchte ab der 5. Klasse das Heidehofgymnasium. Ihre philippinische Freundin Christina begleitete sie dabei.
Die meisten der Schülerinnen und Schüler kamen aus reichen Familien. Sogar die Töchter des damaligen Oberbürgermeisters gingen dort zur Schule. Entsprechend waren die außerschulischen Aktivitäten, die die Kinder dort erwarteten. Geld spielte für die meisten Eltern keine Rolle - aber für mich.
Bereits in der fünften Klasse stand die erste mehrtägige Klassenfahrt nach Leipzig an. Sie sollte einige Hundert DM kosten. Wie nur sollte ich dieses Geld aufbringen? Ich fasste mir ein Herz und sprach über meine finanziellen Nöte mit dem Schulleiter. Dieser war sehr verständnisvoll und sagte mir eine finanzielle Unterstützung aus einem Schulfond zu. Ich war unendlich erleichtert und dankbar.
Auch die Eltern von Christina hatten nicht so viel Geld wie die anderen Eltern und auch sie erhielten eine Unterstützung.
Später, viel später, erfuhr ich, dass dieser Schulleiter erst durch Bianca und Christina richtig darauf aufmerksam gemacht worden war, dass es an seiner Schule auch Schüler aus Familien mit finanziellen Sorgen gab. Die Beiden waren der Anstoß dafür, dass die Schule einen Fond speziell für Schüler aus sozial schwächeren Familien gegründet hat und mit diesem Geld die betroffenen Familien unterstützt bei der Finanzierung der außerschulischen Aktivitäten.
Erst vor Kurzem habe ich mich mit Bianca auch über ihre schulische Laufbahn unterhalten und sie sagte mir, dass sie sich nie wirklich wohl gefühlt hätte inmitten dieser Kinder aus reichen Familien. Sie sah und spürte den Unterschied zwischen ihrer Herkunft und deren Herkunft.
Damals gab es bereits das Problem der Markenklamotten. Ich konnte meiner Tochter einfach keine Schuhe für 100 DM oder eine Jeans für genausoviel Geld kaufen. Marco und ich brauchten ja auch noch was zum Anziehen. Also fühlte sich Bianca allein deswegen schon nicht so wohl, sie fühlte sich als Außenseiter. Irgend etwas musste ihr dieses Gefühl ja vermittelt haben, irgendwie musste man ihr zu verstehen gegeben haben, dass ihre Kleidung einfach nicht akzeptabel war, weil sie beispielsweise keine Hose von Esprit anhatte und ihre Schuhe nicht von Buffalo waren. Darunter litt sie als junges Mädchen. So entwickelte sie Eigeninitiative und begann bereits im Alter von 13 Jahren mit dem Austragen von Zeitungen. Mit ihrem selbst verdienten Geld hatte sie endlich die Möglichkeit, sich den Garderoben-Gepflogenheiten der anderen Schüler etwas besser anzupassen.
Ich war stolz auf mein Mädchen, das nicht nur klug, sondern auch fleißig war und dank ihrer Eigeninitiative sich selbst die Möglichkeit verschaffte, sich ihre eigenen Wünsche zu erfüllen, die ich ihr nicht erfüllen konnte.
Einerseits tat es mir leid, dass meine Tochter ihr erweitertes Taschengeld selbst verdienen musste. Andererseits hatte es aber auch was Gutes: heute ist Bianca eine erwachsene Frau, die den Wert des Geldes sehr wohl zu schätzen weiß und sehr gut mit Geld umgehen kann.


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