„Im Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) höre ich, dass in Syrien Tausende Regierungsgegner demonstriert haben. Das steht auch in allen Zeitungen. In der kleinen genossenschaftlichen jungen Welt, einem der wenigen nicht konzernabhängigen Blätter im Lande, lese ich, dass in Syrien Hunderttausende im Sinne der Regierung gegen Einmischung von außen demonstriert haben. Beide Nachrichten scheinen mir wahr zu sein: zwei Wahrheiten, die einander nicht ausschließen müssen, sondern ergänzen können.
Wenn man alles zusammennimmt, was man – auch irgendwo im Internet versteckt – erfahren kann, erhält man am Ende vielleicht die ganze Wahrheit. Aber wer kann sich so viel Zeit nehmen, überall zu suchen? Wenn das landestypische regionale Monopolblatt, das seine In- und Auslandsnachrichten von einem der großen Medienkonzerne bezieht, die gleichen Nachrichten verbreitet wie der Regionalsender, den wir im Radio eingeschaltet haben, wenn sich also die Medien gegenseitig zu bestätigen scheinen – und sie stimmen fast immer überein, auch in der Wortwahl –, können uns schwerlich Zweifel an diesen Nachrichten befallen. Wir halten uns dann für wahrheitsgemäß informiert und geben uns, eben weil wir nichts anderes lesen, hören und ahnen, mit der halben Wahrheit zufrieden, die eine ganze Unwahrheit ist. Viele Nachrichten sind sogar frei erfunden. Wie können wir die täglich neuen Inszenierungen des Weltgeschehens durchschauen, wie die Interessen erkennen, die hinter der Bühne wirken?
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Wer genau hinschaut, analysiert und Vergleiche zieht, wird nach und nach hinter all den Falschmeldungen und Weglassungen ein starkes Interesse erkennen: den Anspruch der guten alten Kolonialmächte, andere Staaten, vor allem die, die reich an Bodenschätzen sind, in koloniale Abhängigkeit zurückzuführen. Mit diesem Anspruch wäre es unvereinbar, wenn die tonangebenden Medien die Guten und die – ihren Reichtum nicht freiwillig hergebenden – Bösen nach gleichen Maßstäben messen würden. Zum Beispiel Israel und Iran. Über die atomare Aufrüstung Israels herrschte lange Zeit Schweigen. Der Atomforscher Mordechai Vanunu, der das Schweigen brach, wurde für zwei Jahrzehnte eingesperrt und steht nach wie vor unter Arrest. Inzwischen gilt es als selbstverständlich, dass Israel Atombomben bauen darf (es besitzt schon mehr als 200), Deutschland liefert U-Boote als Abschussrampen für Atomraketen.
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Über einen anderen mit großer Mehrheit gewählten Präsidenten schrieb die Frankfurter Rundschau dieser Tage unter der Überschrift „Der gnadenlose Barbar“: „Ein Präsident, der glaubt, den Tod von Menschen mit dem Tod anderer Menschen bestrafen zu können, macht sich mit den Mördern gemein.“ Der Verruf galt dem am Anfang und nochmals am Ende des Artikels als „Diktator“ titulierten Weißrussen Alexander Lukaschenko, dem die Zeitung aus dem DuMont-Konzern vorwarf, zwei zum Tode verurteilte Attentäter nicht begnadigt zu haben – bei dem Anschlag auf die Minsker U-Bahn waren 15 Menschen getötet und viele verletzt worden. Würde das Blatt jemals einen US-Präsidenten „Barbar“ nennen, der zum Beispiel Osama bin Laden samt Familie nachts in der Wohnung erschießen ließ, ohne dass bin Laden je angeklagt, geschweige verurteilt worden war, und der dafür verantwortlich ist, dass immer mehr Menschen in fernen Ländern Opfer nächtlicher Drohnen-Angriffe werden? Die Getöteten werden – wie auch der französische Attentäter, den 30 Elite-Polizisten angeblich nicht lebend aus seiner Wohnung zu holen vermochten – in keinem Prozess aussagen können. Und dem US-Soldaten Bradley Manning, der versucht hat, über WikiLeaks US-amerikanische Kriegsverbrechen im Irak aufzuklären, droht lebenslange Haft.“
Der Autor: Eckart Spoo war von 1962 bis 1997 Redakteur der Frankfurter Rundschau und von 1970 bis 1986 Vorsitzender der Deutschen Journalisten-Union (dju) in der IG Druck und Papier. 1997 gründete er gemeinsam mit anderen Journalisten die Zeitschrift Ossietzky, deren verantwortlicher Redakteur er bis heute ist.
Quelle und gesamter Text:
http://www.hintergrund.de/201204122017/hintergrund/medien/sorgsame-nachrichtenauswahl.html