[Song of the Week] Silje Nergaard – I don’t wanna see you cry

Zum zweiten Mal innerhalb sehr kurzer Zeit spiele ich wieder Musikkritikerin: heute möchte ich euch von einem Lied erzählen, das mich schon ein paar Jahre lang begleitet und immer wieder bewegt. Gemeint ist I don’t wanna see you cry der norwegischen Jazzsängerin Silje Nergaard. Bevor ich begann, diesen Post zu schreiben, habe ich zunächst sowohl diesen als auch meinen früheren Blog durchforstet, weil ich eigentlich der Meinung war, bereits einmal über dieses Lied geschrieben zu haben. Doch dem war nicht so. Anscheinend habe ich schon so lange darüber nachgedacht, meine Gedanken dazu zu Papier/Bildschirm zu bringen, dass ich mir erfolgreich eingeredet hatte, den Post bereits verfasst zu haben…

Wie der Name schon vermuten lässt, handelt das Lied von einem Abschied und davon, wie es anschließend auf beiden Seiten weitergeht. Dabei wird aus der Perspektive der Person erzählt, die die dauerhafte Trennung initiiert und darüber reflektiert, wie es zu dieser Situation kommen konnte. Dabei beschreibt sie an erster Stelle, was sie sich von ihrem Gegenüber als ein Abschiedsgeschenk wünscht: dass diese wütend sein möge; wütend und erbost, voller Hass auf das Ich. Dass sie den Tag verfluchen möge, an dem sie sich begegneten und die verlassene Person der anderen ihr Herz öffnete.

I don’t wanna see you cry, I beg you try not to let the pain I’m causing reach your eyes. Ich kann es nicht ertragen, dich weinen zu sehen, ich flehe dich an, den Schmerz nicht deine Augen erreichen zu lassen. Der Refrain klingt so selbstlos und beschützend, aber ist das wirklich die Intention der verlassenden Person? Macht sie es sich nicht eigentlich verdammt einfach? Über die Jahre hinweg habe ich dieses Lied unzählige Male gehört, in verschiedenen Interpretationen, zu unterschiedlichen Anlässen und von variierenden Stimmungen vorbelastet – und lange war ich berührt davon, wie ehrlich die Person doch ist, wie sehr sie sich bemüht, den Prozess des plötzlichen Auseinanderlebens für die verlassene Person erträglich zu machen: Gib mir all die Schuld, nenne mich herzlos und grausam, bezichtige mich der Lügen, nur lasse nicht zu, dass mein Abschied deine Augen mit einem Grauschleier verhängt. Liebevoll? Oder eigennützig?

Ich empfinde dieses Lied immer mehr als eine gemurmelte Entschuldigung, mit der das Ich den Kopf aus der Schlinge ziehen will, vielleicht auch um sein eigenes Gewissen zu erleichtern.In dieser Situation zu verlangen, dass der andere stark sein muss (ob das nun damit begründet ist, dass man selbst es nicht ist, oder nicht, sei hier für einen Moment dahingestellt), ist eine hohe Anforderung an die verlassene Person. Sicherlich ist Wut ein guter Weg, um mit so einer Situation umzugehen, und zweifellos geht das Leben weiter, mit alten und neuen Träumen, doch es steht dem Ich nicht mehr zu, darüber zu entscheiden, wie der andere sich zu verhalten habe.

Don’t break me down my breaking down in tears. Zerbrich  mich nicht, indem du in Tränen ausbrichst. Spätestens an dieser Stelle gewinnt das Lied für mich an Eigennutz und verliert ein Stück weit die [...]. Es mag auch gut gemeint sein, worum das Ich bittet. Aber in erster Linie bleibt in meinen Ohren, dass es gegenüber sich selbst rechtfertigen will, dass es doch kein wirklich schlechter Mensch ist. Schließlich wünscht es sich doch nur das Beste für die andere Person! Sie soll ihr Leben weiterleben, die Träume verfolgen und niemals mit Bedauern zurückschauen, kann man denn noch selbstloser sein? Nein, so einfach ist es in meinen Augen, beziehungsweise Ohren, nicht.

Hört euch das Lied selbst an, entscheidet selber darüber, wie ihr die gesungenen Worte interpretiert und was ihr daraus im Hinblick auf den Charakter des Ichs schließt. Und lasst es mich gerne wissen, ich würde mich darüber freuen.

(Ich entschuldige mich für die Qualität des Videos, das war schlichtweg die beste Version, die ich hier integrieren konnte. Schaut mal bei Clipfish oder MyVideo nach diesem Lied, da gibt es auch den offiziellen Videoclip)



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