Papa ließ mich oft allein nachts. Das war vermutlich keine Seltenheit, auch in anderen Familien nicht. Er wusste nichts von meiner Angst, die die über die Zimmerdecke kriechenden Lichtkegel ab und an fahrender Autos verursachten. Gerade die großen Abstände dieser lichten Erscheinungen ließen das ganze so bedrohlich wirken. Sie krochen ihren Weg von der linken Zimmerdeckenecke, über den riesigen Schlafzimmerschrank, bahnten sich weiter ihren Weg, beleuchteten das wüste Chaos aus herumliegenden Zeitungen wie “Magazin, Eulenspiegel und Tageszeitungen.
Es war so still.
Die alte Frau Ritter die unter uns wohnte , war vor Stunden da gewesen um gute Nacht zusagen. Alles schien zu schlafen, nur die Lichtkegel nicht und ich….und Papa irgendwo da draußen.
“Dich konnte man so gut allein lassen, du warst so ein liebes Kind, sagte mein Vater später. Konnte man nicht, ich hatte eine Scheiß Angst, die mich nicht schlafen ließ. Ich war 5 Jahre alt und ich war vor allem ein stilles, angepasstes Kind.
Eines nachts, ich war noch wach, kam Papa heim. Geruch von Wein und Rauch.” Die Nacht ist schon auf den Weg in den Morgen, warum schläfst du nicht, Töchterchen?”
Angst müsse man überwinden, erklärte er mir. Zündete eine Kerze an. Die Nacht war jetzt warm und hell. Ich kuschelte mich in Papas Arm und lauschte dem was er sprach.Und erzählen konnte er! Mit seiner tiefen vollen Stimme füllte er den Raum, verjagte die Geister, war Papa, der einzige Papa , der stärkste klügste, mutigste Papa. Es war eine Nacht, so dicht , dass ich mich noch vierzig Jahre später, vieler Details erinnere. Er erzählte die Geschichte von jener jungen russischen Widerstandskämpferin, Soja Kosmodemjanskaja, die obwohl so jung, mutig genug war sich ins Hinterland schicken zu lassen. Sie wurde gefasst. Mein Vater sprach von Verhören und das man sie lange barfuß im Schnee stehen gelassen hätte. Trotz Erfrierungen, Folter und Verhören verriet sie niemanden. Bevor man sie henkte hätte sie eine Rede gehalten. Eine flammende Rede über die Notwendigkeit des Kampfes und das Glück für sein Volk sterben zu dürfen.
Die Dichte dieser nächtlichen Geschichte ist schwer zu beschreiben. Atemlos bemerkte ich am Ende der Erzählung: “Das könnte ich nie:”
Doch das könntest du, wenn es nötig wäre.”
Später, da war ich bereits in der ersten Klasse, sollte meine Lehrerin(ein Drachen!) sich bei meiner Mutter beschweren, dass ich immer mit dreckigen Klamotten in die Schule kommen würde. “Was sollte ich machen, sagte Mama, du warst immer ordentlich angezogen, aber du bist vor der Schule noch auf den Spielplatz gegangen. Ich war doch schon los zur Arbeit. Ich habe dir dann Wechselkleidung mitgegeben.”
Sie wusste nichts von meinem geheimen Partisanentraining. Das flog erst auf, als sie mich mal fragte, warum meine Haut so rauh sei im Gesicht. Ich würde mich nicht eincremen, erklärte ich ihr, weil ich meine Haut abhärten wolle. Partisanen hätten im Einsatz keine Zeit für sowas .So war das. Eincremen musste ich mich dann doch, aber der Auftrag wirkte weiter, wenn auch Papa nicht mehr bei uns wohnte. Ich bin später, jeden Morgen noch vor Unterrichtsbeginn in der Halle-Neustädter Schwimmhalle trainieren gegangen.Allein. Ich war dünn, fast klapprig , die lahme Ente der Klasse. Nahezu jeden Abend lief ich 2000m auf der Aschenbahn des schuleigenen Sportplatzes, auch bei Eis und Schnee mit vereisten Wimpern,allein, da war ich zwischen 10-12 Jahre alt. Ich trainierte mich bis ins Leistungstraining .
Noch bis ins junge Ewachsenenalter wollte ich Nicaragua, weil man da noch für das Gute kämpfen konnte.