Wie entwirft man Software? Wie kann man über Softwarestrukturen nachdenken und reden, ohne am Code zu kleben?
Dazu entwickeln Stefan Lieser und ich als die Clean Code Advisors seit Jahren einen Ansatz unter wechselndem Namen: alles begann mit Softwarezellen, dann kamen Feature Streams dazu, die haben Event-Based Components auf den Kopf gestellt und im Augenblick steht im Kern Flow-Design. Alles fließt – nicht nur in der Software, sondern auch bei unserer Methode. Wir voran gekommen, haben einen pragmatischen Weg gefunden – aber wir sind sicher noch nicht am Ende [1].
Wie dieser Weg beschritten werden kann, thematisieren wir in Zeitschriftenartikeln und Blogpostings. Und wir führen in Trainings darin ganz konkret ein, zum Beispiel in der Clean Code Developer Akademie oder auch inhouse. Immer wieder werden wir aber auch gefragt, ob es nicht etwas “zum Zuschauen” gäbe, bei dem man verfolgen kann, wie die Anwendung funktioniert.
Bisher musste wir verneinen. Außer einem Vortragsmitschnitt hier und da, in dem ich mal Modellierung präsentiert habe, gibt es keine “Bewegtbilder” zum Softwareentwurf, wie wir ihn verstehen.
Das könnte sich jetzt aber ändern. Stefan und ich haben nämlich ein Experiment gemacht. In Regensburg haben wir uns um ein SMART Board versammelt und mitgeschnitten, wie wir eine Anwendung entwerfen und beginnen zu implementieren.
Das Ergebnis sehen Sie hier:
Wie gesagt, es ist ein Experiment. Alles steht letztlich zur Disposition. Wir freuen uns über Feedback.
Das Video gliedert sich in mehrere Abschnitte:
- 00:18:18: Erklärung der Aufgabe
- 02:13:14: Überblick über den Lösungsansatz verschaffen
- 05:30:11: UI skizzieren
- 09:24:03: Interaktionen identifizieren
- Modellierung von…
- 12:12:17: Inkrement #1
- 15:58:21: Inkrement #2
- 24:02:14: Inkrement #3
- 28:24:05: Inkrement #4
- 39:25:03: Kontrakte definieren, um zu zweit komponentenorientiert entwickeln zu können
- 50:27:13: Review der Kontraktcodierung
- 51:42:09: Review der Implementation des ersten Inkrements
Ob das zu viel oder zu wenig ist, werden Ihre Rückmeldungen ergeben. Aber wir haben uns auch schon eine Meinung gebildet ;-)
Doch nun: Vorhand auf!
Schauen Sie sich das Video an. Danach können Sie unsere Retrospektive zur Produktion lesen.
Retrospektive
Der Dreh hat Laune gemacht. Das war schon mal wichtig :-) Ganz grundsätzlich hat alles ziemlich gut geklappt. Abgesehen von kleinen technischen Problemen haben alle Werkzeuge geschnurrt. Auch der Videoschnitt verlief reibungslos – allerdings muss ich mal über eine Firewire Festplatte und/oder einen Rechner mit mehr Kernen nachdenken. Es wehte einige Stunden ein deftiger Lüfterwind in meiner Bude.
Ob wir das SMART Board allerdings weiter einsetzen, wissen wir noch nicht. Wie die Totale im Video zeigt, ist es mit dem Licht nicht so einfach. Die Projektionsfläche ist hell – aber Stefan und ich erscheinen als Schattenspieler davor. Die Raumhelligkeit hat für uns nicht ausgereicht. Das nehmen Kameras anders wahr als menschliche Beobachter im selben Raum. Das nächste Videoexperiment wird sicherlich ein anderes Darstellungsmittel ausprobieren.
Auch beim Ton müssen wir nochmal schauen, was wir tun können. Einerseits könnten wir etwas lauter sprechen. Andererseits darf die Akustik etwas besser werden. Das Nuscheln müssen wir uns aber in jedem Fall abgewöhnen ;-)
Mit mehreren Kameras aufzunehmen und zwischen ihnen zu schneiden, war in jedem Fall eine Leichtigkeit. Das behalten wir bei. Dadurch ergibt sich eine natürliche Lebendigkeit im Video ohne großen Aufwand. Wechsel zwischen Küche, Fahrrad, Auto, Schreibtisch usw. ohne inhaltlichen Bezug, wie bei anderen Videoproduktionen, können wir uns sparen ;-)
Nicht zufrieden sind wir jedoch mit der Präsentation des Inhalts. Da sind wir einen Kompromiss eingegangen, weil wir organisatorischen Aufwand befürchtet haben, der das Ergebnis suboptimal ausfallen lässt.
Der Kompromiss besteht darin, dass wir die Inkremente im Sinne eines agilen Vorgehens zuerst alle modellieren, um sie erst anschließend eines nach dem anderen zu implementieren. Das entspricht nicht unserem wahren Vorgehen, das ist nicht, was wir empfehlen. Doch wir dachten, so sei es einfacher aufzunehmen, um nicht immer wieder zwischen Modellierung und Implementierung umbauen zu müssen.
Wie sich dann aber herausgestellt hat, war es gar nicht nötig, für die Implementierung bzw. den Review von Code umzubauen. Wir haben einfach mit den drei Kameraperspektiven weitergemacht und am SMART Board über den Code gesprochen. Kein live coding, kein Screenrecording, wie zunächst gedacht.
Das werden wir beim nächsten Mal auf jeden Fall anders machen: design a little, code a little. So muss der Rhythmus sein. Sonst läuft man mit dem Modell bei allen Vorteilen eines expliziten Entwurfs in die Irre. Bubbles don´t crash behält seine Relevanz. Das zeigt das letzte Inkrement im Video. Die Diskussion darüber ist verhältnismäßig lang – und trotzdem kommt etwas heraus, das nicht voll funktionstüchtig ist. Wir haben schlicht nicht alle Eventualitäten durchdacht. Erst “Anwendertests” nach der Implementierung von Inkrement #4 haben gezeigt, dass es eine Lücke in der Funktionalität gab.
Das Problem ist beim letzten Inkrement aufgetreten, da war es dann nicht so schlimm. Aber es hätte uns auch früher passieren können; dann wären die Modelle weiterer Inkremente auf falschen Modellen aufgebaut worden. Dagegen schützt nur, Modellinkremente sofort zu implementieren.
Eine weitere Frage, die wir uns gestellt haben, ist die nach dem Single Responsibility Principle. Haben wir das mit dem Video eingehalten? Ist der Fokus eng genug? Oder haben wir auch hier schon zuviel auf einmal gewollt? Bewusst haben wir unseren Ansatz schon nicht erklärt, sondern ihn einfach unter uns angewandt. Aber ist es vielleicht zuviel, dann auch noch zu implementieren? Die Kontraktdefinition scheint uns in jedem Fall zu ausführlich geraten.
Ausblick
Soweit mal unser erstes Videoexperiment mit Reflexion. Nun kommen Sie. Was ist Ihr Feedback? Was gefällt Ihnen, was sollen wir anders machen? Haben Sie Interesse an weiteren Videodarstellung zum Thema Softwareentwurf? Wünschen Sie sich inhaltlich etwas? Worauf sollten wir näher eingehen? Was weglassen? Können wir den Entwurf in bestimmten Domänen oder von konkreten Szenarien demonstrieren?
Wir sind gespannt, was Sie uns schreiben.
Fußnoten
[1] Dass wir überhaupt an einem Ansatz arbeiten und nicht schlicht OOA/D und UML benutzen ist kurz gesagt: Wir sehen in der Praxis nicht, dass die existierenden Ansätze erstens überhaupt relevante Verbreitung gefunden hätten. Es regiert das Durchwursteln. Zweitens halten wir diese Ansätze im Sinne von Methode bzw. Standarddarstellung für unzureichend und allemal schwer erlernbar.
Unser Bemühen richtet sich daher auf eine pragmatischere, auch im Projektalltag handhabbare Methode ohne Firlefanz, die einen Großteil der Softwarerealität abdeckt.
Wie diese Methode aussieht, haben wir in unterschiedlichen Publikationen immer wieder in Facetten dargestellt. Eine umfassende Beschreibung fehlt allerdings. Auch dieses Video liefert sie nicht. Es bietet nur einen Ausschnitt. Aber vielleicht kommen wir ja noch dazu, ein Buch zu schreiben… ;-) Einstweilen entsteht die derzeit systematischste Beschreibung gerade in einer Artikelserie für die Zeitschrift web & mobile developer.