Ivo van Hove fasste Shakespeares Königsdramen Heinrich V, Heinrich VI und Richard III in “King of Wars” für einen Abend bei den Wiener Festwochen zusammen. Eine 5-stündige Publikumsherausforderung, spannend, opulent, atemlos und nicht zuletzt auch voyeuristisch. Große Bilder, durch die sich die Hauptcharaktere erklären, aber überraschenderweise wenig Zeitkritisches.
George, William, Charles, die Queen – ein Schwarz-Weiß-Foto jeder einzelnen Person erscheint auf der großen Projektionsfläche zu Beginn des Abends über der Bühne. Unter den Konterfeis sind zeichenhafte Statthalter für deren Regentschaft angebracht: Außer bei Elisabeth stehen bei den drei Erstgenannten Fragezeichen, sowohl für den Beginn als auch für das Ende ihrer Regierungsperiode. In rascher Abfolge läuft die Präsentation historisch zurück zu Heinrich V. Aber es ist sein Vater, Heinrich IV, der live in der ersten Großaufnahme auf der Leinwand zu sehen ist. Er liegt mit nacktem Oberkörper in einem weißen Bett. Wie es nach ihm noch viele andere tun werden. Sein Sohn, Henry V, ist an seiner Seite.
Ein historischer Stoff in einer zeitgeistigen Umgebung
Der niederländische Regisseur Ivo van Hove gastierte mit der Toneelgroep aus Amsterdam mit „King of Wars“ bei den Wiener Festwochen. Dabei handelt es sich um eine höchst aufwendige Produktion. Nicht nur die Anzahl der Ensemblemitglieder, sondern auch eine wahre Armada an IT-Leuten sitzt dafür an einem Dutzend Bildschirmen in einer Reihe inmitten des Publikums, um das Geschehen auf der Bühne mit Live-Projektionen und Videos zu ergänzen. Jene Menschen nicht mitgerechnet, die in der Regiekabine selbst noch am Werken sind.
Jan Versveyveld, der das Bühnenbild verantwortet, Eric Sleichim, Musik, und Tal Yarden, Video, müssen in einem Atemzug mit dem Regisseur genannt werden. Denn jeder Einzelne von ihnen hat maßgeblich Anteil am Gelingen dieser Inszenierung. Es gibt kaum eine Minute, die Sleichim nicht dazu nutzt, das Geschehen musikalisch zu unterfüttern. Dabei verwendet er sowohl Live-Auftritte von einem Posaunenquartett und einem Countertenor als auch zuvor Eingespieltes. Zeitgenössisches vermischt sich mit Renaissancemusik, Disco- und Loungeklänge schaffen eine starke Verbindung ins Hier und Heute. Sakrales trifft auf spannungsgeladene Soundräume, das Ticken einer Uhr verwandelt sich in das Tropfen von Wasser. Selten hatte Musik in einer Theaterproduktion, die Shakespeares Texte heranzieht, einen so großen Stellenwert. Und selten war sie so großartig wie hier.
Versveyveld holte sich von Churchills „war room“ seine Inspiration. Die verschiedenen Könige, die in diesem Stück auftreten, nutzen alle denselben Raum. Zwar verändert er sich bei jeder neu erzählten Geschichte durch andere Requisiten, bleibt aber in der Grundkonzeption derselbe. Drei Ausgänge führen in angrenzende, weiße, kahle Gänge. Die Ereignisse darin werden mittels einer Steadycam, aber auch zuvor aufgenommener Takes, auf die große Leinwand projiziert. Eine Herausforderung für die Schauspielerinnen und Schauspieler, die zwischen den Medien Film und Theater beständig wechseln müssen.
Die drei Königsdramen werden oft in einer Abfolge auf die Bühne gebracht. Van Hove setzt das Geschehen aber in die Jetzt-Zeit, wobei er sich dennoch relativ eng an Shakespeares Textvorgabe hält. An wenigen Stellen blitzt sogar sein Versmaß auf, an anderen wiederum lässt er einen zeitgenössischen Jargon zu, um eine stärkere Identifikation mit den Personen zu erreichen.
Businessanzüge mit Maßhemden und Krawatten sind Standard. Der Kardinal ist als solcher nur durch einen Kollar erkennbar. Die Damen – Prinzessinnen und Königinnen präsentieren sich in noblem Businessoutfit. Hosenanzüge, weich fallende Blusen oder schicke, aber niemals aufreizende Kleider.
Der „war room“ ist bei Heinich V und seinem Sohn noch mit Radarschirmen ausgestattet. Erst Richard III, braucht diese Hilfsmittel nicht mehr. Sein Feind ist nicht mehr Frankreich, sondern die eigene Familie, die er erbarmungslos nach und nach ausrottet, um an die Macht zu gelangen.
Der Regisseur legt viel Wert auf eine zeitgeistige Verankerung, allerdings rührt er die großen Erzählstränge von Shakespeare dabei nicht an. Der Krieg Heinrichs V mit Frankreich bleibt der historische Krieg mit all seinen Einzelheiten, welche die mittelalterliche Strategie damals mit sich brachte. Die Verhandlungen über das Brautgeld der Prinzessin Margaret, die von Heinrich VI als Ehefrau begehrt wird, haben nichts mit Abfertigungsgesprächen von Managerinnen des 21. Jahrhunderts zu tun. Und auch die Umsetzung der Machtansprüche Richards III wird nicht zeitgeistig umgedeutet.
Nur die Tötungsmittel sind zum Teil unserer Zeit angepasst. Zwar wird noch eigenhändig erwürgt, aber häufig kommen Giftspritzen und -injektionen zum Einsatz, um die Widersacher loszuwerden. Gnadenlos hält die Kamera bei diesem Geschehen auf die geschundenen Körper, sodass einige Sensible ihre Blicke senken müssen. Aber die herrschende Klasse und ihre Speichellecker müssen sich nicht wie heute mit globalen Wirtschaftsfragen oder dem Druck des Shareholder-Values abplagen. Sie sind nur damit beschäftigt, ihr Reich zu vergrößern und sich selbst an der Macht zu erhalten. Da hilft auch eine kleine, eingeschobene Lachnummer nichts, bei der Richard mithilfe von drei Telefonen Barack, Angela und Putin anruft.
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Der heile Moment am roten Teppich
Viermal wird ein roter Teppich für eine Krönungszeremonie ausgerollt. Viermal die Insignien wie Krone und Hermelin aus einem stets sichtbaren, gläsernen Arzneischrank geholt. Jedes Mal ertönen die Posaunen, aber an der Klangfarbe lässt sich ablesen, ob England gute oder schlechte Zeiten bevorstehen. Es sind jene seltenen Augenblicke, in welchen die Herrscher außerhalb einer Zeit stehen, in der sie permanent agieren müssen. Heile Momente, dennoch zukunftsschwanger aufgeladen. Die Charakterisierung der Figuren gelingt in jedem einzelnen Fall dank der hohen schauspielerischen Leistungen bestens. Heinrich V, jener über die Franzosen siegreiche König, kann sein Glück nach der Schlacht nicht fassen. Zu groß war die Übermacht des Gegners, als dass er sich zuvor selbst einen Sieg eingeräumt hätte. Die Verblüffung steht Ramsey Nasr förmlich ins Gesicht geschrieben. Er rangiert in der Sympathieskala an diesem Abend ganz weit oben. Wie fast alle anderen Schauspielerinnen und Schauspieler, schlüpft er noch in eine weitere Rolle und überzeugt dabei durch seine große Wandlungsfähigkeit. Auch seine Ansprache kurz vor der Schlacht, ein schwerer Text, der das Publikum selten wirklich packt, gelingt ihm völlig glaubwürdig und bringt ihm zusätzliche Sympathiewerte ein.
Schauspielerische Leistungen der Sonderklasse
Eelco Smits als sein Sohn Heinrich VI brilliert durch seine ausgefeilte Mimik und sein linkisches Gehabe. Ganz nah an der Kamera blickt das Publikum in ein zögerliches, teilweise dummes, fast autistisches Gesicht. Er lässt keinen Zweifel an der Unfähigkeit seiner Regentschaft und schläft wie ein Maturant im gestreiften Pyjama, selig zugedeckt alleine in seinem Bett, während seine Frau Margaret (Janni Goslinga) seinem Getreuen und Widersacher Suffolk mit einem Blow-Job beglückt. Elektrisierend wirkt der junge Mann in jener Szene, in der er von Schmerz übermannt, sich auf dem Boden wälzt, um den Tod seines Onkels zu beklagen. Was wie eine kindische Aktion beginnt, endet als körperlicher und geistiger Ausbruch, der höchste Empathie hervorruft. Eine Herde von Schafen, eingepfercht in die weißen Bunkergänge, blökt, während sich der schwache Regent am Ende unter sie mischt und sich damit sinnbildhaft von der Gesellschaft abwendet, der er nicht gewachsen ist.
Eine Klasse für sich ist Hans Kesting. In den Niederlanden ist er nicht nur durch seine Auftritte mit der Toneelgroep bekannt, sondern auch durch verschiedene Fernsehformate. Seine darstellerische Bandbreite reicht von der Verkörperung klassischer Rollen von Aischylos, Sophokles oder Shakespeare bis hin zu solchen in Kinderprogrammen. Als Richard III läuft er hinkend und dämonisch über die Bühne. Im Gesicht einen dunklen Blutschwamm, changiert er mühelos zwischen teuflischem Schlächter und vermeintlich treusorgendem Onkel. Jener Auftritt, in welchem er sich selbst die Krone auf den Kopf setzt, einen Perserteppich um die Schultern hängt und sich mit Jubelschreien über seine bevorstehende Krönung anfeuert, brennt sich innerhalb von wenigen Momenten ins Gedächtnis. Auch seine Selbstanklage und sein gegen sich selbst „Zu Gericht Sitzen“, das er mit dem Rücken zum Publikum zu spielen hat, ist schlichtweg grandios. Kurz davor machte sich die Länge des Abends bemerkbar, aber diese Performance hebelt jegliches Zeitgefühl aus. Seinem furiosen Abgang auf einem imaginierten Pferd galoppierend, folgt noch die Inthronisation von Henry VII, klugerweise wieder von Ramsey Nasr dargestellt.
Ivo van Hove gelingt es, mit eindrucksvollen Bildern das Publikum zu packen und es ganz nah an die Shakespeare-Interpretation der historischen Geschehnisse zu führen. Das Fehlen eines zeitgenössischen Plots jedoch erzeugt ein gewisses Vakuum in der Rezension. Es hätte wohl der ein- oder andere kleine Hinweis genügt, dieses Stück auch zu einem höchst aktuellen Werk über die soziale Verfasstheit unserer Zeit zu machen. Der Grundgedanke hätte dies hergegeben. Der charakterlich individuelle Umgang mit Macht, der im Mittelpunkt der Inszenierung steht, ist dennoch ausreichend, um von einem herausragenden Theaterereignis sprechen zu können.