Viele Hundehalter – vielleicht gehörst du dazu ja auch – füttern ihren Hund getreidefrei. Es heißt, Getreide sei für Hunde ungesund, würde Allergien oder sogar Krebs verursachen, die Bauchspeicheldrüse überfordern, Karies verursachen, das enthaltene Gluten würde Unverträglichkeiten auslösen, bis hin zu dass Hunde Getreide eh gar nicht verwerten könnten.
Was ist tatsächlich dran an diesen „Mythen“? Stimmt es wirklich, dass Hunde am gesündesten ernährt werden, wenn man ganz auf Getreide verzichtet? Schauen wir einmal etwas näher auf die einzelnen Punkte …
Getreide verursacht Allergien?
Allergien scheinen beim Hund ein sehr „heißes“ Thema zu sein. Gefühlt jeder zweite Hund leidet scheinbar an einer Allergie, wenn man der Aussage vieler Halter Glauben schenkt. Dabei wird häufig nicht unterschieden zwischen einer Allergie und einer Unverträglichkeit. Der Unterschied zwischen beiden ist, dass nur bei der Allergie das Immunsystem beteiligt ist.
Eine Unverträglichkeit – auch Intoleranz genannt – kann verschiedene Ursachen haben, z. B. kann eine Dysbakterie dafür sorgen, dass bestimmte Bestandteile im Futter nicht mehr gut verwertet werden können, was dann zu Unregelmäßigkeiten führt. Schnell kommt es dann zu der Aussage „mein Hund hat eine Allergie gegen XY!“, obwohl genau genommen wohlmöglich gar keine Allergie vorliegt. Studien zufolge liegt nur bei einem geringen Anteil der Hunde eine wirkliche Allergie vor.
Allergien sind immunologisch!
Allergien sind an erster Stelle eine Erkrankung des Immunsystems, welches einen eigentlich harmlosen Stoff als Feind einstuft. Dabei kommt es nicht auf ein bestimmtes Nahrungsmittel an, sondern vor allem auf die Dauer und Häufigkeit, mit der die entsprechenden Futterkomponenten gefüttert wurden.
Kein Futtermittel besitzt beim Hund eine signifikant höhere Allergenität als andere. Anhand verschiedener Studien wurden Rindfleisch, Geflügel, Getreide, Kuhmilch, Soja, Eier und Fisch als die am häufigsten identifizierten Futterallergene genannt. Allergische Reaktionen werden vor allem durch Proteine ausgelöst, während Reaktionen auf Zucker oder Mineralien dagegen sehr selten sind. Es kann auch regionale Unterschiede geben, in England als Beispiel, wo Hammel- oder Lammfleisch häufig gefüttert wird, ist eine Überempfindlichkeit gegen Hammel oder Lamm sehr verbreitet.
Getreide verursacht also nicht häufiger Allergien, als z. B. Rindfleisch. Zudem sollte wohl allgemein etwas weniger großzügig mit der Bezeichnung Allergie umgegangen werden. Es ist recht schwierig, eine Futtermittelallergie zuverlässig zu diagnostizieren, da es keine wirklich zuverlässigen Tests gibt.
Auch eine Eliminationsdiät zeigt lediglich, welche Komponenten vertragen werden und welche nicht, jedoch zeigt sie nicht, inwieweit hier das Immunsystem involviert ist. Zur Diagnose der Futtermittelallergie würde auch eine erneute Provokation mit dem vermuteten Allergen gehören, diese wird jedoch in den meisten Fällen gar nicht mehr durchgeführt.
Getreide verursacht Krebs?
Diesen Punkt kann man relativ schnell abhandeln. Die Schlussfolgerung, Getreide würde Krebs verursachen, ist eigentlich eine Art Umkehrung von Ursache und Wirkung. Ist ein Hund (oder natürlich auch Mensch) an Krebs erkrankt, empfiehlt man i. d. R. die Zufuhr an Kohlenhydraten zu senken. Der Hintergrund ist natürlich, dass Tumorzellen sich vor allem von Kohlenhydraten ernähren.
Auch wenn das richtig ist, heißt es aber nicht, dass umgedreht Kohlenhydrate Krebszellen „anlocken“ würden. Getreide ist auch nicht gleich Getreide, man kann z. B. Produkte aus Weißmehl nicht gleichsetzen mit Vollkornprodukten, welche nachweislich viele gesundheitliche Vorteile bringen.
Bei den Menschen zählen Vollkornprodukte zu den Nahrungsmitteln, die in einer krebsvorbeugenden Ernährungsweise einen festen Bestandteil haben sollten (wie man mehrfach festgestellt hat), was man nicht zuletzt dem hohen Anteil Ballaststoffe zuschreibt.
Wie sich gezeigt hat, ist die Darmflora von Hunden denen der Menschen sehr ähnlich und reagiert auch entsprechend, insofern wäre es nicht so weit hergeholt zu vermuten, dass Ballaststoffe (auch aus Vollkorn) auch beim Hund nicht unwichtig sind für die Krebsprävention.
Getreide überfordert die Bauchspeicheldrüse?
Machen wir es auch hier kurz. Wie mehrere Studien zeigten, sind Hunde sehr wohl in der Lage, Stärke z. B. aus Getreide zu verwerten. Dabei kann die Herkunft des Hundes eine Rolle spielen. Hunderassen, welche traditionell eher stärkereich gefüttert wurden, verfügen über eine recht hohe Anzahl an Kopien von Genen, die zur Stärkeverwertung benötigt werden. Das heißt, sie haben eine recht hohe Aktivität des für Stärke benötigten Enzyms Amylase, das in der Bauchspeicheldrüse produziert wird.
Ausnahmen bilden Rassen, die aus Regionen stammen, wo Getreideanbau keine große Rolle spielte, wie z. B. Huskies oder auch Akitas.
Das gleiche trifft im Übrigen auch auf uns Menschen zu. Während Schimpansen gerade einmal 2 Genkopien besitzen, findet man bei den Menschen bis zu 15 davon, wo Getreideanbau eine wichtige Rolle spielt und deutlich weniger, wo die Menschen eher von tierischen Nahrungsmitteln leben.
Im Vergleich haben Wölfe ebenfalls 2 Genkopien für Amylase, Siberian Huskies haben 3, Hunde, welche aus Gebieten stammen, in denen Getreideanbau wichtig war (und das ist die Mehrzahl!), haben bis zu 11 Genkopien.
Der Pankreassaft beim Hund
In dem Verdauungssaft, den die Bauchspeicheldrüse (Pankreas) produziert, sind dann die verschiedenen Verdauungsenzyme (Amylase für Stärke, Protease für Proteine und Lipase für Fette) enthalten. Wieviel wovon produziert wird, ist auch von der Zusammensetzung der Nahrung abhängig. Das heißt, wenn das Futter mehr Stärke enthält, wird auch bis zu einem gewissen Grad mehr Amylase produziert.
Bei reinen Fleischfressern kommt es im Gegensatz zu Pflanzenfressern zu einer selteneren Nahrungsaufnahme und zeitlich limitierteren Verdauung (da kürzerer Verdauungstrakt), woraus resultiert, dass der Pankreassaft nicht kontinuierlich gebildet wird. Beim Hund wie auch beim Menschen findet die Produktion des Pankreassaft im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Annahme jedoch kontinuierlich statt und wird bei der Futteraufnahme nur noch verstärkt, sowie auch an die Nahrung angepasst.Weshalb sollte die Bauchspeicheldrüse nun mehr Mühe haben, wenn Getreide enthalten ist?
Es gibt also keinen Grund für die verbreitete Annahme, dass Getreide die Bauchspeicheldrüse grundsätzlich stärker belasten würde, als eine Fütterung ohne Getreide.
Getreide verursacht beim Hund Karies?
Hunde sind grundsätzlich weniger gefährdet, an den Zähnen Karies zu entwickeln, da sie einen etwas anderen Zahnschmelz haben, als z. B. wir Menschen.
Hinzu kommt ein weiterer Punkt, nämlich dass Hunde in ihrem Speichel keine Amylase haben, die Verdauung von Kohlenhydraten beginnt bei ihnen erst im Darm. Karies entsteht dadurch, dass bestimmte Bakterien mit dem Zucker einen Belag auf den Zähnen bilden, der die Zähne angreift. Die Bakterien können Kohlenhydrate wie Stärke aber erst verwerten, wenn diese durch Amylase in Einfachzucker aufgespalten wurden. Das klappt beim Hund jedoch nicht, weil der, wie schon erwähnt, keine Amylase im Speichel hat.
Es findet im Maul des Hundes also noch keine Aufspaltung von Kohlenhydraten statt, folglich kann Zucker aus Vielfachzuckern wie Stärke beim Hund keine Karies verursachen.
Gluten löst bei Hunde Unverträglichkeiten aus?
Im Gegensatz zu uns Menschen ist eine sogenannte Zöliakie, eine Unverträglichkeit gegenüber dem Klebereiweiß Gluten bei Hunden weitestgehend unbekannt. Lediglich beim Irish Setter besteht eine ähnliche genetische Komponente, die glutensensitive Enteropathie, kurz GSE genannt.
Dabei handelt es sich um eine immunvermittelte Reaktion auf Nahrungsmittel, die durch Gluten verursacht wird, welche mehrere Ähnlichkeiten mit der Zöliakie beim Menschen aufweist und vererbt wird. Dass ein Hund eine der Zölikaie ähnliche Unverträglichkeit gegen Gluten hat, ist also relativ unwahrscheinlich.
Den letzten Punkt, nämlich dass Hunde kein Getreide verwerten können, haben wir schon unter dem Punkt Bauchspeicheldrüse abgehandelt. Andere Behauptungen sind noch, dass Getreide Entzündungen hervorrufen würde, oder auch, dass der heute viel höhere Gehalt an Gluten im Getreide problematisch wäre.
Getreide, Gluten und Entzündungen
Ist Getreide ein Entzündungsauslöser? Jain, würde ich sagen. Entzündungen können durch verschiedene Stoffe in den Nahrungsmittel ausgelöst werden. Auch Getreide enthält natürlich Stoffe, die Entzündungen fördern können. Letztendlich ist es immer eine Frage, wie ausgewogen eine Ernährung gestaltet wird. Natürlich sollte man den Hund nicht tagein tagaus mit Getreide bombardieren.
Fleisch enthält auch Stoffe, die Entzündungen auslösen können und tatsächlich kann es auch zu erhöhten Entzündungwerten kommen, wenn der Hund mit sehr großen Mengen Fleisch gefüttert wird, das aus schlechter Haltung kommt. Fleisch aus Weidenhaltung enthält nämlich ein viel besseres Fettsäurenverhältnis als das aus der Massentierhaltung, weil der Anteil an Omega-3-Fettsäuren, welche hemmend wirken auf Entzündungen, höher ist.
Wenn der Organismus sowieso schon krank ist und schon entzündliche Vorgänge stattfinden, kann Getreide diese durchaus verstärken. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass Getreide in einem gesunden Organismus grundsätzlich Entzündungen hervorrufen würde.
Hinzu kommt, dass bei einer abwechslungsreichen Ernährung die Wirkung von Stoffen durch die Wirkung von anderen Stoffen abgeschwächt wird, es also weniger zu extremen Reaktionen kommt. Ein weiterer Faktor ist die Verarbeitung der Nahrungsmittel, so kann sich die Fermentierung von Nahrungsmitteln ebenfalls positiv auswirken, beim Brot wäre das z. B. der Sauerteig.
Gluten, auch bekannt als „Klebereiweiß“ tut genau das, es klebt und sorgt dafür, dass Brot und anderes Gebäck aufgeht und seine Form behält. Die Behauptung, der Glutengehalt in Getreide, vor allem in Weizen, sei in den letzten Jahrzehnten erhöht worden, entspricht jedoch Katharina Scherf vom Leibnitz Institut in Freising zufolge nicht der Wahrheit. Sie hat mit Ihrer Forschungsgruppe 60 Weizensorten aus dem Zeitraum von 1890 bis 2010, je fünf pro Dekade, untersucht. Ihr Fazit: Der mittlere Glutengehalt ist seit 120 Jahren nicht gestiegen.
Wie macht Getreide deinen Hund also krank?
Grundsätzlich gar nicht. Es gibt keinen Anlass zu der Annahme, dass Getreide grundsätzlich ein krank machendes Nahrungsmittel wäre, weder für den Menschen, noch für den Hund. Daher ist es klar und einfach ausgedrückt völliger Blödsinn, bei der Fütterung eines gesunden Hundes grundsätzlich auf Getreide zu verzichten.
Getreide ist ein wichtiges Grundnahrungsmittel, das es ganz sicher auch bleiben wird. Erst recht im Hinblick darauf, dass es dringend erforderlich ist, den aktuell sehr hohen Fleischkonsum auch bei unseren Hunden einzuschränken.
Natürlich gibt es durchaus Hunde, die Getreide wegen einer vorliegenden Allergie oder anderen gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht vertragen. Das sind jedoch bei weitem nicht so viele, wie häufig angenommen wird. Und schließlich gehen wir alle ja trotzdem in den Wald, obwohl es Menschen gibt, die an einer Allergie gegen Birkenpollen leiden. Weshalb sollten dann alle Hunde frei von Getreide ernährt werden, nur weil es einen geringen Anteil Hunde gibt, die Getreide nicht vertragen?
Quellen u. a.:
Erhebungen zur Fütterung von Hunden und Katzen mit und ohne Verdacht auf eine Futtermittelallergie in Deutschland: https://edoc.ub.uni-muenchen.de/10069/1/Becker_Nicola.pdf
The genomic signature of dog domestication reveals adaptation to a starch-rich diet: https://www.nature.com/articles/nature11837
Amylase activity is associated with AMY2B copy numbers in dog: implications for dog domestication, diet and diabetes: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/age.12179
Diet adaptation in dog reflects spread of prehistoric agriculture: https://www.nature.com/articles/hdy201648
Alles dreht sich um die Ballaststoffe/ÄrzteZeitung: https://www.aerztezeitung.de/medizin/fachbereiche/ernaehrungsmedizin/article/979497/mega-studie-alles-dreht-ballaststoffe.html
Von Speichel, Stärke und Intelligenz: https://www.wissenschaft.de/umwelt-natur/von-speichel-staerke-und-intelligenz
The irish setter gluten-sensitive enteropathy and its similarities with the human celiac disease: https://www.researchgate.net/publication/311270042_The_irish_setter_gluten-sensitive_enteropathy_and_its_similarities_with_the_human_celiac_disease
Besseres Fleisch aus Weidehaltung: https://www.ugb.de/forschung-studien/besseres-fleisch-aus-weidehaltung/
Wissenschaftler widerlegen Vorurteile gegen Weizen: https://www.backnetz.eu/vgms-wissenschaftler-widerlegen-vorurteile-gegen-weizen
Darm-Mikrobiom von Mensch und Vierbeiner reagiert ähnlich auf Ernährung: https://www.scinexx.de/news/biowissen/unsere-darmflora-aehnelt-der-von-hunden
Vom einen zu wenig, vom anderen zu viel: Jeder fünfte Todesfall weltweit könnte auf schlechte Ernährung zurückzuführen sein: https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4907798?nlid=129287_3122&src=WNL_topwk_190414_MSCPEDIT_DE&uac=301806BZ&faf=1
Diet, nutrition, physical activity and colorectal cancer: http://www.aicr.org/continuous-update-project/reports/colorectal-cancer-2017-report.pdf