Diesmal muss es einfach klappen. Vorsichtig zieh ich meinen LKW mit der Winde aus dem Schlamm und fahre auf die improvisierte Holzbrücke. Der verdammt Bauanhänger bleibt stehen, ich hab es fast geschafft. Der erste Versuch war völlig in die Hose gegangen, auf der engen Waldserpentine war mir der Hänger gekippt und hatte sich so verkantet, dass beim Bergungsversuch sogar mein Kran-Laster umgekippt war. Dieses Mal schaffe ich es endlich. Also, auf zur nächsten Tour. Denn genau darum geht es in Snowrunner von Saber Interactive. Um den Weg, den wir uns mit unseren Trucks durch noch so widriges Gelände bahnen. Ob Flussfuhrt, Sumpfgebiet, Hänge, Schluchten oder Wälder, Stock, Stein, Schlamm oder der namensgebende Schnee, am Ende geht es doch immer um den Weg.
Neue Fracht, neues Glück
Wer den Vorgänger Mudrunner kennt, der weiß im Prinzip schon, was auf ihn zukommt. Allerdings gibt es auch einen ganzen Haufen Neuerungen. Das fängt schon mit dem Startgebiet an. Wobei der letzte Mudrunner DLC durchaus einen Vorgeschmack gab. Denn wir starten nicht in der russischen Taiga, sondern im herbstlichen Michigan. Und anders als bei Mudrunner gibt es eine Art rudimentäre Story. Die Gegend wurde kürzlich von einer Überflutung getroffen und wir dürfen mit unseren Lieferfahrten alles wieder in Ordnung und vor allem die lokalen Ölbohrungen wieder ans Laufen kriegen.
Ob das nun schlimmer ist, als auf Menschen zu schießen oder bei Assassins Creed und Far Cry seltene Tiere zu erledigen, darüber kann man bestens streiten. Es passt aber letztlich zu den Regionen, in denen Snowrunner spielt.
Bevor wir allerdings so weit sind, Bohrausrüstung durch die Gegend zu fahren, müssen erst mal Brücken repariert, Steinschläge an Seite geräumt und viele andere Aufgaben erledigt werden. Haben wir mit unserem Pickup, der auch das erste Scout Fahrzeug ist, den ersten LKW entdeckt, können wir uns auch schon an eine der ersten Aufgaben machen. Eine Brücke muss repariert werden. Dafür braucht es unter anderem Stahlträger, auch wenn die hier Metallplanken genannt werden, und Holzplanken. Das sind nur zwei von sehr vielen Gütern, die sich auch sehr unterschiedlich verhalten. Betonplatten sind deutlich schwerer als z.B. Holz, sorgen aber auch, weil sie flach auf der Ladefläche liegen, für einen anderen Schwerpunkt als die ebenfalls schweren Stahlträger.
Solche Details werden im weiteren Spielverlauf häufiger wichtig sein, weil wir mit hohem Schwerpunkt schneller kippen und mit viel Gewicht auch nicht jede Steigung packen. So ganz nebenbei hat natürlich auch nicht jeder LKW den gleichen Schwerpunkt, aber das ist eine andere Geschichte...
Anders als bei Mudrunner bieten die insgesamt elf Karten eine ganze Reihe an Aufgaben pro Karte, auch viele Anhänger stehen bereits auf den Maps verteilt herum. So gibt es unter anderem auch wieder die Herausforderungen des Vorgängers, diese sind nun aber in den allgemeinen Spielverlauf integriert. Genau wie bei Mudrunner können wir komplette Kartenbereiche auf- und Aufgaben oder Upgrades entdecken, wenn wir die verteilten Beobachtungstürme abklappern. Bei Snowrunner fühlt sich das aber deutlich sinnvoller an, weil wir ohnehin viele Stunden auf den einzelnen Karten verbringen, gerade wenn wir sie möglichst komplett absolvieren wollen. Schließlich und endlich hängen die einzelnen Karten eines Gebietes auch zusammen und sind entsprechend miteinander verbunden.
Upgrades yeah, Stufen meh
Ziemlich schnell eines meiner persönlichen Highlights war das Upgrade System. Trucks lassen sich mit Höherlegung, stärkeren Motoren, Offroad Reifen, Schnorcheln und so weiter aufrüsten. Nicht mehr gebrauchte Teile können wir verkaufen. Hänger übrigens ebenso, was eine praktische Geldquelle darstellt. Das eine oder andere Upgrade ist wie schon erwähnt auch in der Landschaft verstreut. Anfänglich nahezu unüberwindbares Gelände wird dadurch mit passenden Reifen, Differenzialsperre, eventueller Höherlegung und so weiter mit vergleichbarer Leichtigkeit schaffbar. Wobei leicht auch manchmal nur bedeutet, dass wir uns mit einigen Metern pro Sekunde vorwärts bewegen statt überhaupt nicht. In dem Punkt bleibt alles beim alten.
Nervig ist dagegen, dass viele Upgrades an eine Stufe gebunden sind. Gerade zu Anfang macht das viele Aufgaben unnötig zäh. Einen Tank-Hänger aus dem Sumpf zu ziehen mit Straßenreifen ist zum Beispiel fast unmöglich. Für die Geländereifen müssen wir uns aber einige Stufen hocharbeiten. Das wird aber dadurch erschwert, dass wir einige besonders viele EP-bringende Aufgaben noch nicht angehen können. Gleichzeitig wird man so mehr gezwungen, sich mit dem Konzept Winde, Kriechgang, Allrad und Differenzialsperre auseinander zu setzen, die man später ohnehin brauchen wird.
Ab einer gewissen Stufe stört all das ohnehin nicht mehr weiter, weil man die meiste Ausrüstung, die man braucht, problemlos kaufen kann. Da man eine ganze Reihe Trucks ohnehin in der Landschaft findet und nicht zwingend Geld für LKW-Käufe ausgeben muss, kann man seinen Fuhrpark ziemlich massiv aufrüsten. Falls wir doch auf einen Truck sparen wollen (und die passende Stufe haben) reicht die Auswahl vom ‚kleinen' Heavy Duty Truck bis zum russischen 8×8 Monster. Warum die originalgetreuen russischen Fahrzeuge nicht die korrekten Namen sondern Fantasiebezeichnungen verwenden, ist mir übrigens immer noch nicht klar. Bei den US-Trucks ist das alles korrekt. Einen zivilen Radpanzer (ja, richtig gelesen) gibt es aber nur bei Mother Russia.
Nordisch by Nature
Aber trotzdem mit viel Abwechslung sind die Landschaften. Michigan bietet von bergigen Regionen bis zur Sumpflandschaft schon alles Mögliche, Alaska wartet unter anderem mit Eis und Tiefschnee auf und das sommerliche Taymir ist schlicht und ergreifend verdammt schwieriges Gelände. Nahezu egal, wo. Dabei gibt sich Snowrunner, wie schon der Vorgänger, ziemlich komprimiert. Normale Straßen sind von Beginn an in der Minderheit, extreme Steigungen und Gefälle Alltag und schweres Gelände ganz normal.
Grafisch kann sich all das samt der schick in Szene gesetzten Trucks definitiv sehen lassen. Snowrunner sieht zu weiten Teilen viel moderner aus als sein Vorgänger und Details wie nasse Reifen sind beispielsweise deutlich besser in Szene gesetzt. Gerade auf den Basiskonsolen merkt man aber auch, dass Snowrunner die Hardware endgültig an ihr Limit bringt. Das LoD System arbeitet beispielsweise ziemlich drastisch, wodurch es in Verbindung mit der enormen Sichtweite bei Details viele Pop Ins gibt, die dynamische Auflösung geht teilweise ziemlich in den Pixelcount-Keller und ist man ausnahmsweise mal schneller unterwegs, dann kann es an bestimmten Objekten schon mal zu Artefakten vom temporalen Anti Aliasing kommen, auf das Snowrunner anscheinend setzt. Im Gegenzug bleibt die Bildrate immer sauber, extrem viele Objekte samt Stöcken, die vom LKW regelrecht in den Schlamm gedrückt werden können, setzen auf korrekte Physik, die Ausleuchtung ist sehr viel besser als beim Vorgänger und Texturen großteils deutlich schicker. Am Vormittag beispielsweise strahlen fleißig Godrays durch das Blätterwerk der Bäume, wenn man in die richtige Richtung schaut. Obendrein hat nun jedes Fahrzeug sein eigenes, schickes Cockpit. Nur die Rückspiegel funktionieren immer noch nicht richtig.
Die Umgebungsgeräusche sind zwar manchmal etwas zurückhaltend, aber durch die Bank stimmig und die Truckgeräusche weitestgehend verdammt passend, auch wenn es gerade bei Gangwechseln nicht immer richtig klingt der letzte Gang akustisch schon mal hängen bleiben kann. Dafür ging mir das musikalische Hintergrundgedudel auch mangels Abwechlung ziemlich schnell auf den Keks und wurde abgestellt.
Einerseits schade, andererseits Teil des Spielgefühls, wir sind im Solomodus immer allein unterwegs, Fußgänger sind nach wie vor ebenso Fehlanzeige wie andere Verkehrsteilnehmer. Selbst auf dem kleinen Bisschen Straße ist man mutterseelenallein unterwegs.
Coop hängt vom Partner ab
Es klingt absolut banal, gilt bei Snowrunner aber fast noch mehr als bei anderen Spielen, für Spaß im Coop-Modus braucht es passende Spielpartner. Habt ihr die, dann kann das ein absoluter Gewinn sein. Es ist auch ein ganz anderes Gefühl, nen Kumpel aus dem Schlamm zu ziehen als wenn man den eigenen Truck bergen muss. Ein Unterschied, mit Freunden auf der Map fühlt sich die Spielwelt direkt ein Stückchen lebendiger ab. Ganz besonders, wenn man beispielsweise im Convoy unterwegs ist oder die LKW von Mitspielern belädt.
Coop kann aber auch ziemliches Chaos bedeuten. Und das gilt bei Snowrunner mehr als bei anderen Titeln. Nichtsdestotrotz kann der Mehrspielermodus hier auch ein echter Mehrwert sein. Leider gibt es auch noch Baustellen für zukünftige Updates, denn aktuell profitiert fast nur der Host vom Coop.
Fazit:
Snowrunner ist ein Special Interest Titel. Wer gerne scchnell unterwegs ist, der ist hier falsch. Wer es arcadig mag sowieso. Daran ändert sich auch in der Fortsetzung absolut nichts. Dennoch ist Snowrunner dank der geänderten Struktur zugänglicher, macht mehr Spaß und vermittelt mehr Erfolgsgefühl. Eine freigeräumte Straße, eine reparierte Brücke und ein funktionierender Bohrturm sind einfach befriedigender als Baumstämme, die sich beim Abliefern in Luft auflösen. Der rote Faden, der sich durch unsere Arbeit ergibt, vermittelt immer ein Gefühl stetigen Fortschritts. Ob man nun zuerst versucht, ein Gebiet komplett abzuarbeiten, was bei mir der Fall war, oder zwecks Abwechslung zwischen den Standorten wechselt, ist dabei egal. Fahrzeuge immer weiter upgraden und somit auch immer weiter zu kommen trägt dabei deutlich mehr zum Spielspaß bei als das Jonglieren mit den Fahrzeugpunkten im Vorgänger. Bei Mudrunner kann ich auch zehn Fahrzeuge auf einer Karte haben. Am eigentlichen Kern des Spiels hat sich dabei eigentlich nichts geändert, wir kämpfen nach wie vor gegen Schlamm, Wasser, Geröll, Schräglagen, Steigungen, Gefälle und widerspenstige Äste, wie sonst nirgends. Die Werkstatt, zu der wir jedes Auto bergen können, ist irgendwie immer noch das Bonfire in der Wildnis und manche Tour stellt sich als Äquivalent zum Bossfight heraus. Nur eben halt langsam. Glitches oder Bugs hatte ich während des Testzeitraums übrigens fast keine.