Siba Shakib – Eskandar

Siba Shakib – EskandarGestern Nachmittag, vor ziemlich genau 24 Stunden, habe ich begonnen, das Buch zu lesen. Eben habe ich es aus der Hand gelegt.

Eskandar“ liest sich wie aus einem Guss. Es ist dafür gemacht, in ebensolchem gelesen zu werden. Weich wie das Rauschen der Windes in den Blättern der Bäume, knorrig wie die Menschen aus dem Süden und manchmal auch kühl wie der Norden des Iran.

Mit der Geschichte eines Mannes, Eskandar, erzählt Siba Shakib meisterhaft die Geschichte des Iran. Von der Entdeckung des ersten Erdöls (Nafte) bis in die Zeit der sog. „islamischen Revolution“. Mich hat es manchmal an „Hundert Jahre Einsamkeit“ des großen Meisters Marquez erinnert. Die Figuren des Buches werden Menschen, werden Freunde.

Doch es ist mehr als nur das: So wie nicht allein Eskandar der Held des Buches ist, sondern die Menschen Irans, so ist es nicht allein nur die persönliche Geschichte des fortdauernden Kampfes, der kurzen Hoffnungen und tiefen Enttäuschungen, die berichtet werden. Es ist der Versuch, uns, dem Leser, begreiflich zu machen, woher der unbedingte Wille kommt, zu überleben.

Kein Zufall ist, dass die kurze Zeit, in der der Iran und sein Volk die größten Hoffnungen auf demokratische Veränderungen hatten, die Zeit, als Mossadegh Premierminister des Landes war, den weitesten Raum im Buch einnimmt. Es ist die Zeit und es sind die Erfahrungen dieser Zeit, die heute noch den Mut der jungen Menschen prägen, gegen das derzeitige Unrecht aufzubegehren. Wie das über die Generationen geht; davon erzählt dieses Buch.

Wie Erfahrungen weitergegeben werden zeigt sich beispielhaft am Leben Eskandars. Er ist ein begnadeter Erzähler und berichtet von Vergangenem und Erlebten. Später wird er die Fotografie entdecken und dokumentiert Wichtiges sowohl als auch Unwichtiges. Eskandar fotografiert die Basari und Bauern, aber auch Mossadegh, den Schah und Truman. Er schreibt auf, was er erlebt und sammelt seine Fotos und Notizen in Truhen. Diese gehen an seine Enkelin Aftab. Die – mit anderen Mitteln, nämlich der Filmkamera – seinen Spuren folgt, „damit die Erinnerung nicht verloren geht.“

Ich habe dieses Buch gebraucht. Um mir auch wieder einmal ins Bewusstsein zu bringen, dass unser derzeitiger Kampf gegen das klerikale Regime in Iran nicht hoffnungslos ist. Mich zu erinnern, dass die „Grüne Bewegung“ ein Teil eines langen Weges ist. Eines Weges, der über 100 Jahre währt und so schnell nicht beendet sein wird.

Es gibt Sätze in dem Buch, die mehr über die iranische Mentalität aussagen, als anderswo ganze Bücher. Eine Mentalität, die ich einige Male selbst erlebte. Und die mir zugegeben fremd ist und fremd bleiben wird. Dieser Stolz, sein Blut und sein Leben für eine als „größere Sache“ gegeben zu haben. Dieses (schiitische) Märtyrertum.

Ich weiß, dass auch unsere Freiheit auf dem Leid und dem Blut und den verzweifelten Schreien Gefolterter beruht. Vielleicht geht es mir zu gut und ich bin glücklicher Weise nie in die Lage gekommen, mein Leben einsetzen zu müssen. Um überhaupt eines zu haben, dass ich als menschenwürdig ansehen kann. Zum Glück nicht.

Trotzdem sind mir die Menschen, die genau dafür einstehen, so nahe. Ich kann das nicht genau erklären; es hat möglicherweise damit zu tun, dass mir in meiner Schulzeit auch diese Opfer als Helden vorgestellt worden sind. Ich verstehe es nicht. Und bewundere die Menschen, die handeln, als hätte ihr eigenes Leben weniger Wert als das der Gemeinschaft.

Der Roman endet so trotzig wie traurig. Eskandar verliert in den Wirren der „islamischen Revolution“ seine Tochter, die Welt, wie er sie kennt, hört auf zu existieren. Und es ist seine Enkelin, die seine Aufgabe forführt. Es sind immer die Frauen. „Eskandar“ ist – obwohl die Titelfigur ein Mann ist – ein Hohelied auf die Frauen Irans. Sie sind es, die die Gesellschaft zusammenhalten. Und verändern. Und es wundert nicht, dass sie im Roman eine wichtige Stellung einnehmen. Und eine bezeichnende: Alle Änderungen, die von Außen an Eskandar herangetragen werden, werden es durch Mädchen bzw. Frauen. Exemplarisch dafür ist seine eigene Frau.

Nicht nur des Namens nach ist seine Enkelin Aftab die Fortführung der (gleichnamigen) Frau des Titelhelden. Sie befreit sich vom Zwang, im Haus zu sitzen und auf den Mann zu warten. Sie hat einen eigenen, starken Willen. Auch die erste Frau, die in seinem Leben auftaucht, Makrokh, hat diesen und widersetzt sich jeglicher Fremdbestimmung.

Die Autorin sagt dazu: „Iranische Frauen geben entweder vollkommen auf und fügen sich oder sie sind Kämpferinnen und lassen sich durch nichts und niemand aufhalten.“ Von der zweiten Sorte kenne ich einige. Es sind großartige Frauen.

Aus der Ferne mag es so aussehen, als sei der richtige Augenblick verpasst. Doch in Wahrheit ist zum ersten Mal seit 30 Jahren die scheinbar unumstößliche Macht der islamischen Herrschenden ins Wanken gekommen und nicht ist mehr, wie es gewesen ist. […] Der Zusammenhalt in der iranischen Bevölkerung, ob nun im Iran selbst oder auch im Ausland, ist einzigartig in der Geschichte des Landes. […]

Die Grüne Bewegung hat mit der neuen Qualität der Solidarität und dem Bemühen, den Umsturz mit demokratischen Strukturen zu erreichen, alle Chancen, dieses Mal eine wirkliche Demokratie im Iran zu erreichen.“ (aus dem Nachwort der Autorin)

Nic

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