Sharon Van Etten
„Remind Me Tomorrow“
(Jagjaguwar)
Wenn es gut läuft im Leben, dann gelangt man mit zunehmendem Alter auch zu einem zunehmenden Horizont. Nun gut, es gibt auch gegenteilige Beispiele, wo sich mit den Jahren leider der Blick auf’s eigene Leben und das der anderen in einer Art endlosem Tunnel verengt und nicht mehr herausfindet – wir sehen verbitterte Zeitgenossen, die glauben, es werde alles wieder gut, wenn es so bleibt, wie es ist (finde den Fehler). Sei’s drum. Wo jedenfalls jugendlicher Ungestüm zunächst kaum mehr als ein Ziel kennt, verzweigt sich die Energie später auf vielerlei Weise, Menschen treffen Menschen, Menschen verlassen Orte und lernen neue kennen, Menschen gründen Familien – kurz: Menschen verändern sich. Ihnen dabei zuzusehen, zuzuhören, kann eine lohnende Erfahrung sein. Sharon Van Etten beispielsweise war zu Beginn ihrer Karriere eine überaus talentierte Singer/Songwriterin mit tollen Folksongs von zarter, zeitloser Schönheit. Geboren in New Jersey, wohnt sie mittlerweile in New York, ist Mutter eines Sohnes und nebenher um eine Vielzahl beruflicher Erfahrungen (Studentin, Schauspielerin, Designerin, Soundtrack-Produzentin) reicher.
Und legt nun ein Album vor, dem man diese Erfahrung, diese Veränderung anhört. War ihr Stil bislang vornehmlich vom Indierock geprägt, erscheint sie einem nun als Künstlerin mit vielen Gesichtern. Alles ist etwas dunkler gehalten als auf früheren Werken (auch das wohl eine Frage des Alters) und eine Reihe neuer Bezüge kommen einem in den Sinn, hört man sich die einzelnen Stücke auf „Remind Me Tomorrow“ an. Der stampfende Electrorock von „No One’s Easy To Love“ hat mit den Songs früherer Tage nicht mehr viel gemein, gefällt aber trotzdem. Auch das düstere Knirschen, die verschrobenen Riffs und wabernden, dronigen Synthsequenzen sind neu, Zola Jesus und Austra lassen bei „You Shadow“ und „Hands“ grüßen. Nicht unbedingt die Vorbilder, die man erwartet hatte, reizvoll sind sie trotzdem. John Congleton, dessen Name in den Credits mit zunehmender Häufigkeit auftaucht, war auch hier maßgeblich beteiligt – Van Etten hatte ihm unter anderem Nick Caves „Skeleton Tree“ mitgebracht, eine gewisse Nähe läßt sich durchaus erkennen.
Doch dabei bleibt es nicht. Die beiden Hitsingles des Albums „Comeback Kid“ und „Seventeen“ kommen als handfeste Hardrocknummern daher, Vergleiche mit Lucinda Williams und Bruce Springsteen drängen sich auf. Das hat auch inhaltliche Gründe, schließlich besingt Van Etten hier die Erinnerungen an ihre bewegte Kinder- und Jugendzeit, geht es um Freiheit, Sehnsucht, Heimat, alles Begriffe aus dem Stammbuch amerikanischer Songschreiber. Zunächst das Fortlaufen und die Rückkehr, der Wagemut der Kinder und die Ängste der Eltern, später betrachtet sie mit Wehmut ihr junges „Ich“ und spürt den Zeiten nach, da sie noch wild und ohne Furcht dem Leben ins Gesicht gelacht hat. Natürlich klingt das heute anders: “There is a tear welling up in the back of my eye as I’m singing these love songs,” schreibt sie in den Linernotes, “I am trying to be positive. There is strength to them. It’s - I wouldn’t say it’s a mask, but it’s what the parents have to do to make their kid feel safe.” Wer’s erlebt (hat), wird’s verstehen – eine gute, eine lebenskluge Platte. https://www.sharonvanetten.com/
02.04. Köln, Luxor
03.04. München, Strom
05.04. Berlin, Lido
06.04. Hamburg, Gruenspan
„Remind Me Tomorrow“
(Jagjaguwar)
Wenn es gut läuft im Leben, dann gelangt man mit zunehmendem Alter auch zu einem zunehmenden Horizont. Nun gut, es gibt auch gegenteilige Beispiele, wo sich mit den Jahren leider der Blick auf’s eigene Leben und das der anderen in einer Art endlosem Tunnel verengt und nicht mehr herausfindet – wir sehen verbitterte Zeitgenossen, die glauben, es werde alles wieder gut, wenn es so bleibt, wie es ist (finde den Fehler). Sei’s drum. Wo jedenfalls jugendlicher Ungestüm zunächst kaum mehr als ein Ziel kennt, verzweigt sich die Energie später auf vielerlei Weise, Menschen treffen Menschen, Menschen verlassen Orte und lernen neue kennen, Menschen gründen Familien – kurz: Menschen verändern sich. Ihnen dabei zuzusehen, zuzuhören, kann eine lohnende Erfahrung sein. Sharon Van Etten beispielsweise war zu Beginn ihrer Karriere eine überaus talentierte Singer/Songwriterin mit tollen Folksongs von zarter, zeitloser Schönheit. Geboren in New Jersey, wohnt sie mittlerweile in New York, ist Mutter eines Sohnes und nebenher um eine Vielzahl beruflicher Erfahrungen (Studentin, Schauspielerin, Designerin, Soundtrack-Produzentin) reicher.
Und legt nun ein Album vor, dem man diese Erfahrung, diese Veränderung anhört. War ihr Stil bislang vornehmlich vom Indierock geprägt, erscheint sie einem nun als Künstlerin mit vielen Gesichtern. Alles ist etwas dunkler gehalten als auf früheren Werken (auch das wohl eine Frage des Alters) und eine Reihe neuer Bezüge kommen einem in den Sinn, hört man sich die einzelnen Stücke auf „Remind Me Tomorrow“ an. Der stampfende Electrorock von „No One’s Easy To Love“ hat mit den Songs früherer Tage nicht mehr viel gemein, gefällt aber trotzdem. Auch das düstere Knirschen, die verschrobenen Riffs und wabernden, dronigen Synthsequenzen sind neu, Zola Jesus und Austra lassen bei „You Shadow“ und „Hands“ grüßen. Nicht unbedingt die Vorbilder, die man erwartet hatte, reizvoll sind sie trotzdem. John Congleton, dessen Name in den Credits mit zunehmender Häufigkeit auftaucht, war auch hier maßgeblich beteiligt – Van Etten hatte ihm unter anderem Nick Caves „Skeleton Tree“ mitgebracht, eine gewisse Nähe läßt sich durchaus erkennen.
Doch dabei bleibt es nicht. Die beiden Hitsingles des Albums „Comeback Kid“ und „Seventeen“ kommen als handfeste Hardrocknummern daher, Vergleiche mit Lucinda Williams und Bruce Springsteen drängen sich auf. Das hat auch inhaltliche Gründe, schließlich besingt Van Etten hier die Erinnerungen an ihre bewegte Kinder- und Jugendzeit, geht es um Freiheit, Sehnsucht, Heimat, alles Begriffe aus dem Stammbuch amerikanischer Songschreiber. Zunächst das Fortlaufen und die Rückkehr, der Wagemut der Kinder und die Ängste der Eltern, später betrachtet sie mit Wehmut ihr junges „Ich“ und spürt den Zeiten nach, da sie noch wild und ohne Furcht dem Leben ins Gesicht gelacht hat. Natürlich klingt das heute anders: “There is a tear welling up in the back of my eye as I’m singing these love songs,” schreibt sie in den Linernotes, “I am trying to be positive. There is strength to them. It’s - I wouldn’t say it’s a mask, but it’s what the parents have to do to make their kid feel safe.” Wer’s erlebt (hat), wird’s verstehen – eine gute, eine lebenskluge Platte. https://www.sharonvanetten.com/
02.04. Köln, Luxor
03.04. München, Strom
05.04. Berlin, Lido
06.04. Hamburg, Gruenspan