Sharon Van Etten
„Are We There“
(Jagjaguwar)
Die Geschichte dieses Fotos wird man natürlich in nächster Zeit überall lesen können, wo es um das neue, vierte Album von Sharon Van Etten, der zierlichen Sängerin aus New Jersey, geht – sie ist aber auch zu schön und für das Verständnis derPlatte geradezu sinnbildlich. Van Etten hat den Schnappschuss ihrer Freundin Rebecca, die den Kopf während einer Autofahrt aus dem offenen Fenster streckt, in den frühen Tagen ihrer Jugendfreundschaft selbst gemacht – sie sind damals an jedem Feierabend, beide jeweils mit einer Flasche Diätcola und einer Schachtel Zigaretten ausgestattet, ziellos durch die Landschaft gefahren – man kennt Ähnliches aus eigenen Erinnerungen. Und man weiß, dass solches nie von Dauer sein kann, Rebecca ist in der Provinz als Mutter zweier Kinder glücklich geworden, Freundin Sharon zog es ins sagenhafte New York, um sich an einer Karriere als Musikerin zu versuchen.
“Taking Chances” – ein jeder geht seinen Weg, ohne zu wissen, wohin er wohl führen wird und ob am Ende wohl etwas Gutes dabei herauskommt. Wir wissen mittlerweile, dass auch Sharon Van Etten die richtige Wahl getroffen hat, sie hat es als Singer/Songwriterin zu einem mehr als respektablen Ruf gebracht und schafft es auch auf dem aktuellen Album, ihr Publikum auf unnachahmliche Weise in den Bann zu ziehen. ‘Unnachahmlich’ bedeutet bei ihr auch immer ‘schmerzhaft’: Es hat ja mit Lykke Li und Angel Olsen in diesem Jahr schon zwei Künstlerinnen gegeben, die Poesie als Leidensgeschichte verstanden und verinnerlicht haben – Van Etten allerdings ist diejenige, der das am unverstelltesten, am schonungslosesten gelingt. Und die, vermutet man, für solche “Entäußerungen” auch den meisten Tribut zu zahlen hat. Schon das Vorgängeralbum “Tramp”, produziert mit viel prominenter Hilfe (u.a. Aaron Dessner/The National), hielt meistenteils schwermütige, düstere Momente für den Zuhörer bereit, “Are We There” geht diesen Weg, der fast wie ein Kreuzweg anmutet, konsequent weiter.
Diesmal hat sie es ganz allein gestemmt, sie wollte einfach wissen, ob das zu schaffen ist, ohne dass sie selbst daran kaputt geht. Das Coverfoto entdeckte sie in einer Ramschkiste unterm Bett eines früheren Freundes, es war schnell klar, dass sich Passenderes nicht finden würde. Und so singt und klagt sie über einsame Entscheidungen, über die Irrungen und Wirrungen der Liebe, darüber, wohin sie einen treibt, was man sich um ihretwillen anzutun bereit ist (“Your Love Is Killing Me”) und dass sie einen letztendlich auch zerbrechen kann (“Break Me”). All das klingt so wenig hoffnungsvoll, so abgründig, wie sie da zwischen Sehnsucht und Selbstaufgabe schwankt: “Between the pain and cost, I hold myself alive, I love you but I’m lost…” – und dennoch bleibt man dabei, weil Van Etten so voller Leidenschaft von ihren Kämpfen und Verwundungen erzählt.
Die Musik zum traurigen Text ist dabei nicht weniger reizvoll geworden – zwar bleiben Piano und Akustikgitarre die bestimmenden, dramaturgischen Stilelemente ihrer Songs, die eine oder andere Überraschung gelingt ihr aber doch: Neben sanftem Feedback verirren sich auch einige programmierte Drums nach Art des modernen RnB in die Stücke, bei “Our Love” wandelt sich der elektronische Beat so allmählich zum analogen. Im fabelhaften “Tarifa” tönt dunkles Bläserblech aus dem Hintergrund, “You Know Me Well” wiederum kann mit grollenden Galeerentrommeln aufwarten, so wuchtig, dass alles mitzuzittern scheint. Man sagt ja nicht zu Unrecht, das Unglück der anderen sei für viele Menschen deshalb so anziehend, weil es vom eigenen abzulenken vermag. Bei Sharon Van Etten tröstet nicht einmal der tägliche Sonnenaufgang – “Are We There“ ist trotzdem oder gerade deshalb ein großes, ein faszinierendes Stück Musik. http://www.sharonvanetten.com/
01.06. Köln, Studio 672
02.06. Berlin, Privatclub
12.08. Wien, Arena Festival
„Are We There“
(Jagjaguwar)
Die Geschichte dieses Fotos wird man natürlich in nächster Zeit überall lesen können, wo es um das neue, vierte Album von Sharon Van Etten, der zierlichen Sängerin aus New Jersey, geht – sie ist aber auch zu schön und für das Verständnis derPlatte geradezu sinnbildlich. Van Etten hat den Schnappschuss ihrer Freundin Rebecca, die den Kopf während einer Autofahrt aus dem offenen Fenster streckt, in den frühen Tagen ihrer Jugendfreundschaft selbst gemacht – sie sind damals an jedem Feierabend, beide jeweils mit einer Flasche Diätcola und einer Schachtel Zigaretten ausgestattet, ziellos durch die Landschaft gefahren – man kennt Ähnliches aus eigenen Erinnerungen. Und man weiß, dass solches nie von Dauer sein kann, Rebecca ist in der Provinz als Mutter zweier Kinder glücklich geworden, Freundin Sharon zog es ins sagenhafte New York, um sich an einer Karriere als Musikerin zu versuchen.
“Taking Chances” – ein jeder geht seinen Weg, ohne zu wissen, wohin er wohl führen wird und ob am Ende wohl etwas Gutes dabei herauskommt. Wir wissen mittlerweile, dass auch Sharon Van Etten die richtige Wahl getroffen hat, sie hat es als Singer/Songwriterin zu einem mehr als respektablen Ruf gebracht und schafft es auch auf dem aktuellen Album, ihr Publikum auf unnachahmliche Weise in den Bann zu ziehen. ‘Unnachahmlich’ bedeutet bei ihr auch immer ‘schmerzhaft’: Es hat ja mit Lykke Li und Angel Olsen in diesem Jahr schon zwei Künstlerinnen gegeben, die Poesie als Leidensgeschichte verstanden und verinnerlicht haben – Van Etten allerdings ist diejenige, der das am unverstelltesten, am schonungslosesten gelingt. Und die, vermutet man, für solche “Entäußerungen” auch den meisten Tribut zu zahlen hat. Schon das Vorgängeralbum “Tramp”, produziert mit viel prominenter Hilfe (u.a. Aaron Dessner/The National), hielt meistenteils schwermütige, düstere Momente für den Zuhörer bereit, “Are We There” geht diesen Weg, der fast wie ein Kreuzweg anmutet, konsequent weiter.
Diesmal hat sie es ganz allein gestemmt, sie wollte einfach wissen, ob das zu schaffen ist, ohne dass sie selbst daran kaputt geht. Das Coverfoto entdeckte sie in einer Ramschkiste unterm Bett eines früheren Freundes, es war schnell klar, dass sich Passenderes nicht finden würde. Und so singt und klagt sie über einsame Entscheidungen, über die Irrungen und Wirrungen der Liebe, darüber, wohin sie einen treibt, was man sich um ihretwillen anzutun bereit ist (“Your Love Is Killing Me”) und dass sie einen letztendlich auch zerbrechen kann (“Break Me”). All das klingt so wenig hoffnungsvoll, so abgründig, wie sie da zwischen Sehnsucht und Selbstaufgabe schwankt: “Between the pain and cost, I hold myself alive, I love you but I’m lost…” – und dennoch bleibt man dabei, weil Van Etten so voller Leidenschaft von ihren Kämpfen und Verwundungen erzählt.
Die Musik zum traurigen Text ist dabei nicht weniger reizvoll geworden – zwar bleiben Piano und Akustikgitarre die bestimmenden, dramaturgischen Stilelemente ihrer Songs, die eine oder andere Überraschung gelingt ihr aber doch: Neben sanftem Feedback verirren sich auch einige programmierte Drums nach Art des modernen RnB in die Stücke, bei “Our Love” wandelt sich der elektronische Beat so allmählich zum analogen. Im fabelhaften “Tarifa” tönt dunkles Bläserblech aus dem Hintergrund, “You Know Me Well” wiederum kann mit grollenden Galeerentrommeln aufwarten, so wuchtig, dass alles mitzuzittern scheint. Man sagt ja nicht zu Unrecht, das Unglück der anderen sei für viele Menschen deshalb so anziehend, weil es vom eigenen abzulenken vermag. Bei Sharon Van Etten tröstet nicht einmal der tägliche Sonnenaufgang – “Are We There“ ist trotzdem oder gerade deshalb ein großes, ein faszinierendes Stück Musik. http://www.sharonvanetten.com/
01.06. Köln, Studio 672
02.06. Berlin, Privatclub
12.08. Wien, Arena Festival