"Shape of Water - Das Flüstern des Wassers" [USA 2017]


Das Tragische an den Filmen Guillermo del Toros ist, dass das Zusammengehörige Zeit benötigt, sich dem Abweichenden anzupassen. Angst, Bosheit, Ablehnung – in "Shape of Water – Das Flüstern des Wassers" erzählt del Toro von einem passiv-aggressiven Unterdrückungsapparat, der in den 1960er Jahren einen bis heute nachwirkenden, gelegentlich retropathetisch verklärenden Zeitabschnitt hinterließ. Die frühen 1960er Jahre, verwurzelt im Materialismus einer sich ordinär ausschmückenden Zukunftswirklichkeit amerikanischer Süßigkeitenfarben, stattet del Toro in ihrem ideologischen Wertekonflikt sowohl gruselig als auch wehmütig aus. Obgleich die Politik der 1960er Jahre gegen das Annäherungsmärchen zwischen – und dies kann doppeldeutig gelesen werden – Mensch und Kreatur letztlich keine herausgehobene Sonderrolle einnimmt, sondern der Fantasie mit Hilfe von Scherben politischer Agonie ihre Utopie begrenzt, tropft das Wunder unaufhörlich durch die weniger schönen Dinge. 
Zum Beispiel anhand eines Törtchenladens, einem "Familienunternehmen", in dem Afroamerikaner sich nicht setzen dürfen. Zum Beispiel anhand von hierarchischen Geschlechterstrukturen und ökonomischen Mitarbeiterentbehrungen. Zum Beispiel anhand von Richard Strickland, den Michael Shannon als sinisteren Maschinengentleman mimt – die Familie ein funktionaler Algorithmus, der Cadillac ein Statussymbol männlicher Potenz, die Arme beim Pinkeln in die Hüften gestemmt. Der Film verlässt selten zwei Schauplätze, verlässt selten die zwei Wohnungen zweier wichtiger Figuren (Elisa Esposito, Giles) und das Labor, wodurch die Konfrontation mit dem Andersartigen gleichzeitig die Konfrontation mit dem Verdrängten ist. Das Leben in diesem Film scheint, unabhängig jedweden Blickes nach draußen, den del Toro dem Zuschauer verwehrt, ein randständiges, einsames zu sein, ein perpetuiertes: Das Masturbationsritual in der Badewanne, wenngleich ekstatisch, ist dem Gefühl entfremdet, Empfindung zu sein. 
Wo Strickland den Gegenspieler des exzentrischen, Bonbons zerknackenden, mit einem äußeren Makel behafteten Gegenspielers karikiert – Jack Arnolds Amphibien-Mensch-Kreation biss ihm zwei Finger ab –, kann die Protagonistin Elisa (Sally Hawkins) durch ihren neuen Freund, ebenso Beschützer wie Partner, wieder fühlen, ohne das Gefühl mit ihren Fingern hektisch zu forcieren. Ihr gemeinsamer Liebesreigen romantisiert del Toro in poetischen Untertönen inmitten eines überflutenden Badezimmers, wo sich die Sprache, häufig ausschließend, in Gebärden unbegreiflicher Wörter verflüssigt. Das Dionysische dieses Moments ist triebgesteuerte Auslebung des Urgrundes wie elegische Erfüllung eines Urwunsches und ausschließlich deshalb Teil einer Solidarität gegenüber dem Fremden, das sich als unerwartet neugierig und unerwartet selbstlos herausstellt. Mögen del Toros Filme auch Träume sein und sich freudianisch lesen, so richten sie doch stets ihr Auge auf die irdischen Fehlbarkeiten. 
David Mamet schrieb in "Die Kunst der Filmregie", dass das Märchen für Regisseure eine großartige Schule sei, da Märchen mit den einfachsten Mitteln und ohne Ausschmückung und ohne den Versuch der Charakterisierung erzählt werden würden. In "Shape of Water – Das Flüstern des Wassers" reflektiert das Märchen seine eigene Darstellung, denn greifbar naturalistisch wird del Toros Märchen zu keiner Zeit. Schwindelerregend eklektisch manövriert sich der Film durch die Gewässer des konspirativen Spionagefilms, des schattenreichen Monsterfilms, des taumelnden Liebesfilms, durch die surreal überkreuzten Rohre und dämonischen Verwissenschaftlichungen Lovecrafts, durch die stepptänzelnden Choreografien eines Musicals sowie durch die humoristischen Abzweigungen Richard Jenkins', der angesichts der Absurdität, die sich vor ihm auftürmt, auf direkteste und wunderlichste Weise die Bodenhaftung verliert – und immerhin als trotteliger Fluchtwagenfahrer die Chance ergreift. Jenkins‘ Spiel gehört ganz und gar der Naivität des Slapsticks in dessen Anfängen. 
In Mamets Sinn reduziert sich dieses Märchen eher figurenimmanent (Michael Stuhlbargs unaufgeregte Schlichtheit ist das in Wahrheit liebenswerteste Geschöpf dieses Films) denn motivisch, weil es mit den willkürlichen Strömungen des Wassers und der Liebe zu einem Stummfilm wechselnder Ideen kollaboriert. Und immer lässt del Toros väterliches Grinsen bessere Zeiten erahnen, wenn der Fernseher eingeschaltet ist und die großen Stars das große Damalige umarmen, abklopfen, besingen. Das Kino ist auch in "Shape of Water – Das Flüstern des Wassers" eine Pilgerfahrt für ein Zeichen im Unerforschlichen, und es bändigt selbst die Hartgesottensten, ja die Götter vor der Leinwand durch das Heldenmonumentale. Wo "A Cure for Wellness" das Wasser dem Publikum einst brutal injizierte, mit einer Spritze, die so bedrohlich wie tödlich war, greift del Toro zu einer sanfteren Methode, Wasser behutsam einzulassen – als lebensvitalisierende, verführerische, erotische Sozialmacht offenherzigerer Verständigung.
7 | 10

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