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Als ich Anfang 2012 nach dem ersten Staatsexamen im Büro meines Chefs und Doktorvaters Franz Jürgen Säcker saß und mit ihm über das Thema meiner Doktorarbeit “verhandelte”, war ich zwar ziemlich sicher, dass ich im sog. “Creative”-Bereich promovieren möchte, zumal ich selbst ursprünglich aus dem Metier komme. Allerdings war mir noch überhaupt nicht klar, wo die Reise hingeht. Bereits während des Studiums habe ich mich schwerpunktmäßig mit so glamourösen Sachen wie Wettbewerbsrecht, Urheberrecht und Markenrecht auseinandergesetzt und hatte daher schon ein paar nette Aufhänger für die Dissertation vor Augen. Vieles landete aber (erfreulicherweise) im Papierkorb. “Hmm… Nein. Ausgelutscht. Da kann man nicht viel rausholen.” Das endgültige Thema erwies sich für mich als Segen, denn es ist nicht nur juristisch interessant, sondern auch ein gesellschaftlicher Dauerbrenner. Es geht um die Grenzen geschmackloser Werbung.
Da nun schon wieder fast ein halbes Jahr seit meinem letzten Beitrag verstrichen ist, wird es wieder Zeit, die Welt mit meinen Gedanken zu penetrieren. Neues Jahr, neues Design, neue Motivation. Hello Community! Es geht weiter…
So, wo war ich? Ach ja. Kurz nachdem ich mit der Recherche für die Doktorarbeit begonnen habe, musste ich erstaunlicherweise feststellen, dass diskriminierende und sexistische Werbung als Diskussionsthema in den letzten 30 Jahren nichts von seiner Brisanz verloren hat. Man lässt sich von den Werbebildern berieseln und verschwendet kaum einen Gedanken daran, dass Werbung ein hochmanipulatives Instrument ist. Genauso wie andere Medien ist es dazu imstande, Ansichten und Verhalten zu beeinflussen.
Nein, natürlich sind wir keine pawlow’schen Hunde… aber fast! Schon 1968 zeigten die Psychologen Smith und Engel in einem Experiment, dass Männer ein Auto für wesentlich schneller, stilvoller und attraktiver hielten, wenn eine schöne Frau zusammen mit dem Auto zu sehen war. Als die Männer anschließend über die positive Wirkung der Frau auf das Urteil über das Auto aufgeklärt wurden, glaubten sie nicht, dass die bloße Anwesenheit der Frau ihre Meinung beeinflusst haben könnte. Doch nicht nur das. Manipulation durch Werbung trat und tritt in Sphären auf, in denen man es auf den ersten Blick gar nicht vermutet. So erkannte zum Beispiel selbst Adolf Hitler relativ früh, wie Werbung auf die Masse wirkt und wie er sie für seine Zwecke nutzen kann. In seinem Hetzwerk „Mein Kampf“ schrieb er schon 1923: „Werbung ist die organisierte Anwendung von Mitteln zur Massenbeeinflussung von Menschen.“. Praktisch eine Lehrbuchdefinition von einem ungebildeten Irren.
Was sagt uns das? Man muss kein Psychologe sein, um die beeinflussende Wirkung von Werbung zu erkennen. Irgendwo im tiefsten Inneren ist das uns allen irgendwie klar. Allerdings sollte man die speicheltriefende Konsumzunge in den Rachen zurückrollen und das mehr oder weniger intelligente Gehirn hochfahren! Doch leider tut dies kaum jemand. Schon vor ca. zwei Jahren habe ich einen kleinen Artikel in der Zeitschrift der Universität Heidelberg (S. 10 f.) zum Thema sexistischer Werbung geschrieben und mich vielleicht zu Unrecht etwas über den Werberat aufgeregt. Mittlerweile bin ich der Ansicht, dass er im Prinzip gute Arbeit leistet, denn ohne ihn hätten die zwar recht witzigen, aber teils doch extrem niveaulosen und geschlechterstereotypen Werbekampagnen wie die “Billig”-Kampagne der METRO-Tochter redcoon keine natürlichen Fressfeinde. Sie könnten sich ungehindert verbreiten, was zu einem Massenaussterben viel netterer Werbearten führen könnte.
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Die (in erster Linie männlichen) Konsumenten reagieren nämlich nur selten von allein auf solch geschmacklose Werbung… Titten, gaail! Erst wenn sich der Werberat auf die Beschwerde des angekotzten (wohl zumeist weiblichen) Publikums einschaltet und eine öffentliche Rüge gegen das werbende Unternehmen ausspricht, geht das untere Gehirn aus und die Mühlen des oberen Gehirns fangen langsam an zu mahlen…Mmmja, ist schon irgendwie doof. Muss ja net unbedingt sein sowas. Nach meinem kleinen Aufreger vom April 2012 darüber, dass der Werberat nur auf frauendiskriminierende Werbung reagiert und der Ausbeutung männlicher Stereotype kaum Beachtung schenkt sowie der anschließenden Klarstellung durch die Geschäftsführerin des Werberats ist mir positiv aufgefallen, dass mittlerweile auch männerdiskriminierende Werbemotive wie das oben gezeigte fleißig gerügt werden.
Dabei geht es nicht um Geschmackszensur, sondern lediglich um die Wahrung eines sittlich-moralischen Mindestniveaus mithilfe von Selbstkontrolle durch ein gemeinsames Organ der werbenden Wirtschaft. Warum der Werberat unabdingbar ist, zeigt sich auch an der geltenden Rechtslage. Während das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) früher mit einer äußerst großzügigen und dadurch leider etwas unscharfen Regelung dazu imstande war, solche Werbebilder unter die Kontrolle der Gerichte zu stellen, ist es heute nicht mehr ganz so einfach. Durch die Neuregelungen 2004 und 2008 ist das neue UWG stark europäisiert und sehr präzise geworden. So handelt nach § 4 Nr. 1 UWG nur derjenige unlauter, der geschäftliche Handlungen vornimmt, die geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer durch Ausübung von Druck, in menschenverachtender Weise oder durch sonstigen unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen. Um eine Werbung zu “verbieten”, muss sie also nicht nur menschenverachtend sein, sondern auch die Entscheidungsfreiheit der Konsumenten beeinträchtigen. Das soll mal einer vor Gericht beweisen.
Meine berufliche Vita hat mich nun in die Rechtsabteilung des in 96 Ländern vertretenen internationalen Werbekonzerns Doyle Dane Bernbach (DDB) geführt. Man darf gespannt sein, was mir dort noch an spannendem Futter für WuR und Doktorarbeit zufliegen wird. Stay tuned.
Hier noch eine kleine Übersicht der vom Werberat 2013 und 2014 gerügten sexistischen Werbemotive:
Alex Goldberg
Berlin, 9. April 2014