Selbstbewusstsein und Narzissmus

Ist es selbstbewusst, wenn sich Menschen hinstellen, Behauptungen machen, die sie nicht belegen können - nur um auf sich aufmerksam zu machen ? Was bedeutet es, wenn sich Medien oder die Öffentlichkeit darum bemühen müssen, nach dem Wahrheitsgehalt von Nachrichten und Posts zu recherchieren ?

In einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen um ihre Selbstoptimierung und Selbstdarstellung bemühen und der Begriff Narzissmus in aller Munde ist, könnte eine gewisse Orientierung hilfreich sein.

Was ist gesundes Selbstbewusstsein und was ist Narzissmus ?

Was bedeutet es, wenn sich Menschen keiner Kritik mehr stellen ?
Ist es selbstbewusst, wenn Menschen sich größer darstellen, als sie sind ?
Was ist los, wenn sich Menschen mit Wertgegenständen (Autos, Immobilien....) umgeben, die sie sich gar nicht leisten können ?
Ist es selbstbewusst, wenn Menschen sich mit Titeln schmücken, die sie sich gar nicht erarbeitet haben ?
Ist es selbstbewusst, wenn Menschen ich v.a. damit beschäftigen, möglichst viele Klicks, Likes und Follower in den Sozialen Medien zu bekommen ?
Was ist dahinter, wenn Menschen ständig ein Feedback brauchen, um sich sicher und selbstbewusst zu fühlen ?

Was sind das für Menschen, die sich oder ganze Nationen größer machen wollen ? *

Ein „gesundes" Selbstbewusstsein hat etwas mit Selbstsicherheit zu tun: mit der Sicherheit, sich auch in schwierigen Situationen entscheiden zu können, sich nicht bei jeder Kritik in Frage zu stellen, und zur eigenen Person, den eigenen Stärken und Schwächen stehen zu können. Dazu gehört es, Kritik ertragen zu können und sich auch zu trauen, anderen zu widersprechen und „Nein" zu sagen.

„Gesundes Selbstbewusstsein" wird nicht vererbt.
Selbstbewusstsein wird erworben

Menschen, die sich ihrer selbst und Ihren Gefühlen sicher sind, haben das in der Kindheit und Jugend erworben.
Sie haben früh erlebt, von Erwachsenen ernst genommen zu werden, sich mitteilen zu können, wenn sie sich nicht wohl fühlten und ängstlich oder unsicher waren.
Das hat im besten Fall zu emotionaler Sicherheit und Sicherheit in Beziehungen geführt. Wer dies als Kind und Jugendlicher erlebt hat, hat das Rüstzeug - die Resilienz -, um auch als Erwachsener selbstbewusst zu sein.

Wer das nicht erlebt hat, sucht danach noch als Erwachsener immer wieder: nach Bestätigung, emotionaler Sicherheit und Feedback, nach der Sicherheit, sich anvertrauen zu können und auch in Momenten von Schwäche und Unsicherheit ernst genommen zu werden.

Selbstbewusste Menschen sind in der Lage, andere Menschen genauso differenziert mit ihren Stärken und Schwächen zu akzeptieren und zu ihnen verlässliche, tragfähige Beziehungen aufzubauen, ohne sich dabei aufzugeben oder zu verlieren.

Selbstunsichere Menschen hingegen ertragen Kritik schlecht.
Sie stellen sich selbst schnell in Frage. Sie zweifeln an sich und ihren Emotionen und Gefühlen, und versuchen oft, sich bei anderen Menschen Sicherheit zu holen oder sich zu vergewissern. Dadurch entstehen emotionale Abhängigkeiten.

Psychotherapeuten und Psychoanalytiker gehen davon aus, dass diese Selbstunsicherheit eine Form der narzisstischen Problematik ist.

Narzissmus heisst also nicht zwingend, dass es sich dabei um selbstsichere, von sich selbst überzeugte Menschen handelt, die sich oft ins rechte Licht setzen, sich größer machen als sie sind und v.a. mit der Selbstdarstellung beschäftigt sind (Das Bild von Narziss im Spiegel).

Viel häufiger handelt es sich bei Narzissten um Menschen mit einer ausgeprägten Selbstunsicherheit (die sie immer wieder auch zu überspielen versuchen).
Diese zweite Form des Narzissmus beschreibt Menschen, die ihre Unsicherheit durch Grandiosität zu überspielen. Das sind die Menschen, die v.a. mit der Selbstdarstellung beschäftigt sind und wenig Einfühlung in ihr Gegenüber haben. Die Literatur, Kinofilme und die großen Bühnen dieser Welt sind voll von solchen Selbstdarstellern.

Die Betroffenen merken oft sehr spät selbst, dass sie in Not sind. Das geschieht oft erst dann, wenn das Licht auf der großen Bühne aus ist de die Gefahr besteht, dass die Grandiosität nicht aufrecht zu erhalten ist.

Zu einer Erkrankung im Sinne der internationalen Klassifikationen (ICD 10, DSM IV, DSM V) wird dieses Phänomen aber erst, wenn ein Leidensdruck und zusätzliche Symptome, wie z.B. eine schwere Depression dazu kommen. Dann sprechen Experten von einer Narzisstischen Persönlichkeitsstörung.

Wenn dazu noch schwere Verleugnung der Realität und Lügen kommen (neu deutsch „ Fake News „) und antisoziale Tendenzen (Schädigung von anderen, Kriminalität.....) sprechen wir von einer schweren Form des „malignen Narzissmus", der die Grenze zur emotional instabilen Persönlichkeit darstellt.

*Die Ähnlichkeit mit lebenden Politikern mag jedem auffallen.
Doch ganz zurecht, verbieten sich Ferndiagnosen von Menschen, die man nicht untersucht hat ( Goldwater-Regel).

Zusammenfassend ist zu sagen:

  • ein gesundes Selbstbewusstsein hilft im Job und im Privatleben
  • aber nicht jede positive Selbstdarstellung zeugt von guten und positiven Selbstvertrauen
  • der Wahrheitsgehalt der Selbstdarstellung und der Umgang mit anderen Menschen und Kritik sind entscheidend
  • wenn die Wahrheit keine Rolle mehr spielt, wird es kritisch

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