Ich war im 2. Kindergarten, als mich meine Eltern eines morgens zum allerersten Mal alleine zurück liessen und mir – die bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal alleine zum Kindergarten gelaufen war – ans Herz legten, so lange zu warten, bis der grosse Zeiger auf der Zehn war und dann zügig zum Kindergarten zu marschieren. Selber machten sie sich zusammen mit meiner kleinen Schwester Richtung Kantonsspital auf, wo sich meine Mutter einer heiklen Untersuchung unterziehen musste, zu welcher mein Vater sie unbedingt begleiten wollte. Ich blieb zurück- traurig und verängstigt.
Oft denke ich an diese für mich traumatische Episode zurück, in welcher ich mich nicht nur vom Rest der Familie so ausgeschlossen fühlte, sondern vor allem Angst hatte, diesen ersten kleinen Schritt Richtung Selbständigkeit so ganz ohne Vorankündigung und ohne es jemals zuvor geübt zu haben, tätigen zu müssen.
Letzte Woche hat sich die Geschichte – wie so manche Familiengeschichte bisher – wiederholt: Unser Kleiner musste sich einem chirurgischen Eingriff unterziehen, zu welchem das Familienoberhaupt und ich ihn gemeinsam begleiten wollten. Genau wie für meine Eltern damals, war es auch für uns klar, dass der Grosse nicht mitzukommen brauchte, dass er den Tag zwischen Kindergarten, Hort und Musikschule alleine meistern konnte. Doch anders als ich damals, war er ganz und gar nicht traurig und schon gar nicht verängstigt, dass er an diesem Tag auf sich selbst gestellt sein würde. Im Gegenteil: es machte ihn stolz, uns beweisen zu können, dass wir uns auf ihn verlassen können, dass er doch längst gross genug sei dafür.
Ob das die Früchte einer für meine Eltern manchmal „zu schweizerischen“, aber offenbar doch nicht ganz so falschen Erziehung zu selbständigen Menschlein sind? Wir wollen es jedenfalls glauben!
mittwoch immer im Tagblatt der Stadt Zürich
Wann habt Ihr das erste Mal “selbständig” werden müssen oder dürfen? Und Eure Kinder?