Wenn wir Halt sprechen, dann ist die Dualität von mütterlichem und väterlichem Halt gemeint. „Halt zu haben“, „Halt zu bekommen“, „sich gehalten zu fühlen“, all das sind Formulierungen eines grundlegenden menschlichen Bedürfnisses, für das es viele Synonyme gibt: Geborgenheit, Heimat, innerer und äußerer Frieden, Bindung, Sicherheit; und für das unsere Kultur eine Vielzahl von kompensatorischen Angeboten zur Verfügung hält, die darauf hindeuten, wie fundamental Mangelerfahrungen auf diesem Gebiet sind.
Die milliardenschwere Versicherungsbranche stellt hier nur ein frappantes Beispiel dar, indem sie der massenhaften Sehnsucht nach Halt und Sicherheit ein erfolgreiches Geschäftsmodell darreicht. Als ob es irgendeine berechenbare Sicherheit im Leben geben kann! Wie lautet noch ein so treffender Satz: „Das einzig sichereim Leben ist der Tod!“
Das Gegenteil von „Halt“ stellt „Haltlosigkeit“ dar. Ein haltloser Mensch wirkt verloren, hat als soziales Wesen seine Lebensgrundlage verloren. Er bewegt sich in existentiellen und seelischen Räumen, die zwischen Leben und Tod angesiedelt sind. Ein haltloser Mensch weist auf eine tiefgehende Bindungsstörung und Asozialität.
Es ist niemand und nichts in seinem Leben, was ihn hält, es gibt keine Hand, keinen Arm, kein Lächeln, keine Geste, die ihn hält, die ihn im und für das Leben (er)hält. Der haltlose Mensch kann in jedem Augenblick fallen, stürzen, abstürzen, verschwinden. Oder aus seiner Haltlosigkeit heraus sein eigenes oder das Leben anderer Menschen zerstören.
Innerseelisch fehlt ihm jede Sicherheit, Stetigkeit und Bindung innerhalb seiner Selbstbeziehung. Jede Form von Bindung nach außen oder nach innen erweist sich als brüchig, unstet, gespalten, bodenlos – wir können von einer Art „intrapsychische Fallangst“ sprechen. Wer nicht gehalten wird, fällt. Wer niemanden wahrnimmt, der ihn hält, bewegt sich versteift und voller Angst, voller Angst vor dem Fallen.
Es ist die chronische Angst vor dem Fallen ins Nichts, die sich in Körper und Seele ausdrückt. In einem Körper, in der die Fall- und Todesangst chronisch eingefroren ist, in einer Seele, die sich verzweifelt an alles klammert, was Sicherheit und Halt verspricht, sei es in noch so martialischer und irrationaler Weise.
Da die eingefrorene Todesangst jede Art Seelenleben überlagert und erstickt, ist das Urteilsvermögen des haltlosen Menschen gefährlich eingeschränkt, er funktioniert wie eine gefühllose Maschine. Wenn es so etwas wie eine faschistoide Persönlichkeit gibt, dann findet sich in diesem Muster der Haltlosigkeit sein markanter Sozialcharakter.
(Fortsetzung folgt)