Eva Reich (1924 – 2008)
Über diese erste Veranstaltung mit Eva Reich lernte ich auch meine spätere Ehefrau, Paula Diederichs, kennen, die das Werk Eva Reichs in der Arbeit mit Neugeborenen fortführte. Paula Diederichs kennt man heute als eine Pionierin der körpertherapeutischen Arbeit mit Schreibabys und deren Müttern.Über die folgenden Jahre hielten Paula und ich engmaschigen Kontakt zu Eva Reich, organisierten Workshops und Vorträge in Berlin, besuchten sie mehrmals in ihrem Haus in Maine.
Ich bekam die Gelegenheit in Evas Einzelsitzungen als Assistenz zu hospitieren und lernte viel von ihrer herzlichen und spontanen Art, Menschen zu begegnen. Als eindrucksvoll erwiesen sich die Heilserwartungen mancher Zeitgenossen, die eine Einzelsitzung bei ihr gebucht hatten. Hier begegnete ich der ungebremsten Wucht idealisierender Übertragungen, mit der sie als Tochter des berühmten Wilhelm Reich zu kämpfen hatte. Es zeigte sich, dass sie sich immer wieder mit Erwartungen einer Wunderheilung konfrontiert sah. Da kamen Menschen, die überzeugt davon waren, dass in einer einzigen Sitzung bei der prominenten Therapeutin Eva Reich Neurosen, schwerwiegende psychische und körperliche Symptome zum Verschwinden gebracht werden. Die Betreffenden meinten das durchaus ernst und mancher zeigte sich zutiefst enttäuscht, wenn keine Wunderheilung stattgefunden hatte. Welche Leichtigkeit meines Seins, dass ich mich als unbedeutender und unbekannter Körpertherapeut einem derartigen Erwartungsdruck nicht ausgesetzt fühlte!
Mich berührte Evas authentischer Umgang mit solchen Ansprüchen. Sie hatte keine Scheu, eine Sitzung abzubrechen, bevor sie begonnen hatte, wenn sie das Gefühl der Unstimmigkeit in sich wahrnahm.
Bisweilen konfrontierte man sie mit einem derartigen Ausmaß an Verzweiflung und Ausweglosigkeit, dass es nicht nur ihr die Sprache verschlug und Ratlosigkeit sich im Raum ausbreitete. Was unternahm Eva in solchen Situationen? Sie betete. Sie faltete die Hände mit den Worten: »Lass uns zusammen beten und Gott bitten, deiner gepeinigten Seele Frieden zu schenken ...«
Durch derartige Erfahrungen lernte ich auf einer tieferen Ebene, dass Glaube und Gebet ein »Haltesystem« (ein Begriff, der hier später noch eine wesentliche Rolle spielen wird) darstellen, eine spezifische Form von Bindung und Rückhalt, der nicht belächelt, sondern wertgeschätzt werden sollte, wenn er mit dem Herzen in Verbindung steht und aus ihm spricht. Ob es unserem Ego-Verstand angenehm ist oder nicht, die spirituelle Sehnsucht nach Bindung und Verbindung scheint mir tief im Wesen des Menschens verankert zu sein. Wie ich zeigen werde, findet sich dieses Wesen im menschlichen Herzcode.
(Fortsetzung folgt)