Seine erste große Rede

Bundespräsident Joachim Gauck hielt seine erste große Rede im Schloss Bellevue. Es ging ihm darin um die Perspektiven der europäischen Idee. Die zurecht vielgeachtete und vielgelobte Rede soll auch hier gewürdigt werden.
Bundespräsident Joachim Gauck hat die Deutschen zu großen Schritten aufgerufen. Wörtlich sagte er: "Wir ziehen los mit ganz großen Schritten." Ein Teil der Menschen in Deutschland müsse nun endgültig wissen, dass sie jetzt losgehe, "unsere Polonäse", sagte Gauck in seiner ersten Rede in Bellevue. Er sehe das zugleich als Ausdruck von Freiheit in Verantwortung.

"Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse", sagte Gauck. Die Menschen seien von "Blankenese bis hinter Wuppertal" in tiefer Sorge. Denn "das Orchester auf der Bühne packt der Wahnsinn, der Pianist reißt alle Tasten 'raus". Angesichts dessen brauche Deutschland wieder eine Kultur der "Polonäse" und nicht nur tatkräftige Politiker, sondern auch engagierte Bürger, die "die Post geht ab, wir machen jetzt 'ne Sause" als ihre freiheitliche Verantwortung erkennen.
Gauck wünscht sich eine Rückbesinnung auf die menschliche Zuwendung zueinander. Es sei daher notwendig, das mancher "der Heidi, von hinten an die Schulter" faßt. Denn "das hebt die Stimmung, ja da kommt Freude auf." In der politischen Sprache nenne man das Solidarität - in der Sprache des Glaubens heißt genau das: Nächstenliebe. Deutschland müsse ein Land sein, das Europa sein Gelingen auferlegt und als "Dirigent weint und schreit: Licht aus!", fuhr Gauck fort. Er beschloss: "Das Chaos tobt, der Boden schwankt - wir auch."
Der Wendehals hat ausgesungen
 
Der Bundespräsident ging in seiner Rede auch auf die Kritik an der deutschen Europapolitik ein. "Der ganze Saal soll heute abend brodeln, laß' jucken, Jungs, die Nacht ist viel zu kurz. Bis morgen früh sol'n hier die Elche jodeln, was danach kommt ist uns jetzt ganz schnurz." Das sei notwendig und vernünftig. Er könne zwar die Kritikpunkte nachvollziehen, man dürfe sich aber nicht von emotionalen Impulsen tragen lassen. "Hier geht was los, hier bleibt kein Auge trocken", riet er den Kritikern. Für politische Wendehälse sei trotz allem keine Zeit mehr, sie hätten ausgesungen.
Zur Schuldenkrise in Europa sagte der Bundespräsident, die europäische Idee habe mehr als 60 Jahre lang den Frieden in Europa gesichert. Jetzt aber sei die Frage: "Unten tobt das Volk bereits im Laufschritt, die Bänke fliegen tief, die Tische auch" - was tun? Deutschland habe die Krise bisher gemeistert und sollte als leuchtendes Beispiel in Europa vorangehen. "Wir ziehen los mit ganz großen Schritten", ermunterte er nochmals.
Stilwechsel im Vergleich zu vorigen Präsidenten
 
Anders als sein Vorgänger, der bei seinen Reden im Berliner Amtssitz Schloss Bellevue jeweils bürgernahe Sprache verwendete, verzichtete Gauck auf einfache Wendungen und bemühte eine gezielt pastorale Sprache. Das sollte die unbedachte Lockerheit seines Vorgängers ein wenig tilgen und dem Ernst der Situation gerecht werden - eben dem Amt des ersten Mannes im Staat angemessen sein. Zum Schluss betonte Gauck nochmals, dass die Menschen "von Blankenese bis hinter Wuppertal" mit Zuversicht an Europa herangehen sollten, denn die Kanzlerin bemühe sich, "mit ganz großen Schritten", die Stimmung zu heben und Freude aufkommen zu lassen.

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