Seifenoper im Terrarium

Seifenoper im Terrarium„War die Menschheit es überhaupt wert, gerettet zu werden?“ (S. 332)

T.C. Boyle – Die Terranauten

Es ist ein bewährtes Rezept, das T.C. Boyle bei seinen Romanen anwendet: Immer geht es um den amerikanischen Traum, darum, wie verlogen er ist und was sich hinter seiner Fassade verbirgt. Dabei lehnt der Autor seine Erzählungen oft an historische Ereignisse, wie etwa in Wassermusik, Dr. Sex und Die Frauen. Diesmal ist es das wissenschaftliche Projekt Biosphere 2 an, das 25 Jahre zurückliegt.

In Die Terranauten wagen vier Männer und vier Frauen den Versuch und lassen sich zwei Jahre lang in ein eigenes Ökosystem mit 3800 Tier- und Pflanzenarten unter einer riesigen Glaskuppel einsperren. Wüste und Meer inklusive. Ihr Überleben in Mission 2 soll zeigen, dass ein Leben in einer vom Menschen geschaffenen und gesteuerten Welt möglich ist. So könnte der Mensch beispielsweise auf den Mars ausweichen, falls die Erde etwa wegen einer Klimakatastrophe untergehen sollte.

Erzählt wird die Geschichte aus drei Perspektiven: Ramsay, der selbstverliebte Frauenheld, Dawn, der Star von Mission 2, und Linda, die nicht zu den Auserwählten gehört und draußen bleiben muss. Wechselweise erzählen sie aus der Ich-Perspektive, die Einblicke in ihre Gefühlswelt erlaubt, die jedoch nur an der Oberfläche kratzen. Die Protagonisten sprechen den Leser mitunter direkt an. Es entsteht der Eindruck, man lese eine Dokumentation in Romanform. Das erklärt zumindest die Oberflächlichkeit der Protagonisten, die in Wahrheit nur nach medialer Aufmerksamkeit gieren.

Um Aufmerksamkeit geht es im ganzen Roman. Die des Geliebten, der Presse, der Mission Control oder der Freundin. Boyle entlarvt, wie alle nur darum buhlen, irgendwie im Mittelpunkt zu stehen. Und dabei wird eine Intrige nach der anderen gesponnen. Hunger, eine ungeplante Schwangerschaft und Sauerstoffmangel spitzen die ohnehin angespannte Situation zu.

Was sich dem Leser in Die Terranauten zeigt, ist vor allem Neid, Verlogenheit und Selbstsucht. 600 Seiten lang geht es fast nur darum – und schießt über das Ziel hinaus. Auf den ersten 300 Seiten passiert fast nichts. Boyles Kritik an der amerikanischen Gesellschaft und an der Natur des Menschen, die sonst immer wachrüttelte, geht in all dem Geschwätz unter.

Boyle, der sonst meisterhaft zu erzählen weiß, wie ein Ereignis dem nächsten hinterher jagt, Dynamik in seine Geschichten bringt, bis der Leser kaum mehr weiß, wo ihm der Kopf steht, erzählt in Die Terranauten nur eine Seifenoper, die gut und gerne auf 200 Seiten hätte gekürzt werden können. Die Protagonisten bleiben leider nur holzschnittartig, ihre Handlungen vorhersehbar. Das mag bei all ihrer Oberflächlichkeit konsequent sein. Doch ein Roman lebt von einer spannenden Handlung und Figuren, die sich weiterentwickeln. Die Terranauten leider nicht.

T.C. Boyle: Die Terranauten. Übersetzt aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Hanser.  206 Seiten. 26 Euro.

Ein interessantes Interview mit T.C. Boyle führte Nina Brink von Deutschlandradio Kultur.



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