Seid umschlungen Millionen

Es ist keine Eigenschaft des Qualitätsjournalismus', wenn er beständig von Uns und Wir spricht. Dies war ursprünglich einzig die Stilistik des Boulevard, Springeristik sozusagen - heute nimmt man diese Tour auch andernorts wahr.
Unsere Sportler, unsere Minister
Leider verfallen die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zusehends in boulevardeske Schablonen. Auch sie bedienen sich mittlerweile solcher fraternisierenden Pronomen, auch dort verbrüdern sich Nachrichtensprecher und Moderatoren mit ihren Zuschauern.

Bei den Olympischen Spielen war es Usus, dass Reporter "unsere Athleten" lobten oder kritisierten. Den nötigen journalistischen Abstand, um von "deutschen Athleten" zu reden, brachte man nicht mehr auf. Und selbst bei heute mehrt sich diese verbrüdernde Entjournalisierung. Neulich meinte ein junger Nachrichtensprecher, "unser Verkehrsminister" habe mit seiner KFZ-Schilder-Idee etwas losgetreten. Das ist eine neue Qualität, denn dass man Sportler ins Uns kollektiviert, war nicht neu, kannte man ausreichend. Einen Verkehrsminister zu "unserem Minister" zu machen, das klingt furchteinflössend, als kriegten wir ihn am Ende gar nicht mehr los, denn er gehört doch zu uns.
Die nüchterne Distanz und die absichtlich gewählte Unterkühlung gegenüber den Sujets der Berichterstattung machten mal gute journalistische Arbeit aus. In dritter Person zu berichten, galt als sprachliche Ausformung von Objektivität. Die Worte Abstand und Anstand hatten in diesem Metier insofern eine Wurzel. Objektivität war sicherlich auch nicht stets gegeben, es gab immer parteiische Journalisten - aber der Stil, das Handwerk, ja die Seriosität wurde wenigstens noch eingehalten.
Journalistische Ver-Wir(r)-ungen
Die distanzlose Ver-Wir-ung und Ver-Uns-ung ist weder seriös noch realitätsnah, denn sie suggeriert, es gäbe eine nicht näher definierte Schicksalsgemeinschaft. Wir und Uns schmiedet gesellschaftliche Partikularinteressen zusammen und sondert gegenteilige Ansichten und Interpretationen ab. Das Personalpronomen personifiziert die Sichtweise auf Dinge, die eigentlich aus Informationszwecken unpersönlich gestaltet und gehalten sein sollten. Diese persönliche Zuordnung erzeugt eine rhetorische Annäherung, täuscht eine Schicksalsgemeinschaft vor, in die wir alle eingebettet sind. Alle sind eingebunden, die Millionen umschlungen.
Du bist Deutschland! war eine Kampagne, die nicht wenig kritisiert wurde. Denn die Verwirrung mit der Ver-Wir-ung ist - und das Du in dieser Kampagne sprach einzig das Wir an -, dass sie das Zusammen postuliert, gleichwohl die Dynamiken zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten und -gruppen, kein naives Zusammenspiel, sondern ein mehr oder minder ordentlich organisiertes Nebeneinander ist, ein Arrangement und zuweilen ein unversöhnliches Gegeneinander. Der Qualitätsjournalismus nimmt sich dieses Wir mittlerweile ungeniert an, wahrscheinlich nicht ideologisch bedingt, sondern um flapsig zu klingen, nicht altbacken zu sein - er nimmt damit Abschied von journalistischen Tugenden und drückt dem Abnehmer journalistischer Berichte Tendenzen auf.
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