Die Schweizer AKWs weisen laut ENSI ein «sehr hohes Schutzniveau» auf. Nach der Lektüre des Berichts über den EU-Stresstest stellt sich jedoch die bange Frage: Gegen was eigentlich?
Manchmal – selten – kommt man als Journalist nicht darum herum, sich selber zu zitieren. Dies ist einer jener seltenen Momente: Die ENSI-Website sei in den vergangenen Monaten zu einer «virtuellen Gute-Nachrichten-Schleuder» ausgebaut worden, stand hier vor nicht allzu langer Zeit zu lesen. Und tatsächlich ist den Kommunikatoren vom Nuklearsicherheitsinspektorat schon wieder eine positive Schlagzeile eingefallen, mit der die weit weniger positiven Fakten ins beste Licht gerückt werden sollen: «EU-Stresstest bestätigt die Sicherheit der Schweizer Kernkraftwerke», vermeldet die Aufsichtsbehörde beruhigend. Die Sicherheitsüberprüfung, die europaweit aufgrund der Ereignisse in Fukushima durchgeführt wurde, habe bestätigt, dass die Schweizer AKWs «über ein sehr hohes Schutzniveau gegen die Auswirkungen von Erdbeben, Überflutung und andere Naturgefahren verfügen», heisst es im Communiqué.
Auf die schöne Schlagzeile folgen dann im Communiqué sehr schnell die hässlichen Fakten. Praktisch aus dem Nichts sind plötzlich acht «offene Punkte» rund um die Sicherheit der Schweizer Atommeiler aufgetaucht: Die Frage etwa, ob Schweizer AKWs bei einem Erdbeben (gegen das sie angeblich über ein sehr hohes Schutzniveau verfügen) automatisch durch die Erdbebenmessgeräte abgeschaltet werden können etwa. Oder ob und wie gut das Containment und der Primärkreislauf einem Erdbeben widerstehen könnten. Weitere offene Punkte sind unter anderem: Die Verstopfung von Flüssen, die zur Kühlung der AKWs dienen, Sicherheitsnachweise zu extremen Wetterereignissen (man erinnere sich auch hier an das sehr hohe Schutzniveau)
und – oh Wunder – der Nachweis, dass der Wohlensee-Staudamm oberhalb des AKWs Mühleberg einem Erdbeben standhalten würde (das sehr hohe Schutzniveau gilt selbstverständlich auch hier). Diesen Nachweis hätte die Mühleberg-Besitzerin BKW schon am 30. November 2011 einreichen müssen, hat dies aber nicht getan. Nun hat sie noch einmal bis zum 31. Januar Zeit dafür, ebenso für «zusätzliche Angaben zur Erdbebenfestigkeit der Reaktorschnellabschaltung» (wobei auch diese… aber lassen wir das).
Mal ganz ehrlich, liebe Leserginnen und Leser: Glauben Sie immer noch, dass der EU-Stresstest die Sicherheit der Schweizer Kernkraftwerke bestätigt? Oder haben Sie möglicherweise den Eindruck, dass Sie auf sehr hohem Niveau für dumm verkauft werden?