Nach einer Zwangspause in Rishikesh, war ich glücklich nach Gangotri weiter reisen zu können. Wie üblich entschied ich mich, mit dem öffentlichen Bus zu fahren, was sich als 15stündige Reise entpuppte. Einmal mal mehr war ich fasziniert, wie schnell man den Touristenkokon hinter sich lassen kann. Eben noch war ich von westlich geprägten Restaurants, Internetcafes und allem möglichen Schnickschnack in RIshikesh umgeben, kurze Zeit später war es schon schwierig auf Englisch zu kommunizieren und meine Enaehrung stellte sich auf Samosas (mit Gemüsen gefüllte Teigtaschen) und Tee um - beides für einen Spottpreis von 10-15 Cent.
Einen Direktbus nach Gangotri gab es zu diesem Zeitpunkt nicht und so steuerte ich zunächst Uttarkashi an – die größte Stadt des Inneren Gharwals. Dort angekommen, konnte mir der ausgesprochen freundliche und gut englisch sprechende Saftverkäufer nicht genau sagen, ob es noch eine Verbindung nach Gangotri geben würde. Außerdem erfuhr ich, dass sich das Permit für die Wanderung nach Gomukh – der eigentlichen Quelle des Ganges, eine Eishöhle - aktuell ausschließlich in Uttarkashi beziehen ließ, der Weg nach Gomukh aber nach den verheerenden Überschwemmungen vor einigen Monaten, die 20000 Tote gefordert hatten, in so schlechtem Zustand sei, dass der Weg nicht allein begehbar wäre, da man an einigen Stellen mit Seilen arbeiten müsste. Schon in Rishikesh hatte ich ausgesprochen widersprüchliche Auskünfte erhalten. Außerdem erzählte er mir, dass die Schließung des Tempels von Gangotri in einigen Tagen mit einer ganz besonderen Zeremonieverbunden wäre, die nur wenige „Outsider“ zu sehen bekämen. Da ich nur über sehr bescheidene Gelder verfügte und froh sein konnte, überhaupt noch aufbrechen zu können, war das Anheuern eines Führers utopisch. Als der Verkäufer nun doch noch den Bus erblickte und mich dorthin geleitete, war klar: Ich würde nicht nach Gomukh gelangen, dafür würde ich einen anderen interessanten Abschluss meiner Himalayareise erleben.
Der Bus war jedoch selbst für indische Verhältnisse in einem verheerenden Zustand. Schon nach wenigen Kilometern machte der Anlasser Probleme, um dann vollständig zu versagen. Glücklicherweise verstanden sich der Busfahrer und seine Begleiter darauf, den Anlasser mit Hammer, Meißel und viel Improvisationskunst wieder zum Laufen zu bringen und keiner machte sich Sorgen, ob die Reise weitergehen würde – die Frage war nur wann. Und nach einer Stunde waren wir auch wieder auf der Straße und hatten keine weiteren Probleme. Allerdings waren nun die Folgen der vorangegangenen Katastrophe am Zustand der Straße deutlich ablesbar.Es warschon lange dunkel, als wir schließlich Gangotri erreichten.
Am nächsten Tag wanderte ich in Richtung Gomukh.
Von dort aus unternimmt der Fluss seine lange Reise bis nach Kalkutta und den Golf von Bengalen.Für kurze Zeit dachte ich schon ich hätte einen Weg gefunden, der mich am Check Post vorbei und zumindest einen Teil der Strecke in Richtung Gomukh führen würde – die komplette Wanderung ist nur in zwei Tagen zu schaffen - doch nach 2 Kilometern stand ich vor dem Tor des Gangotri National Parks.
Ich muss zugeben, dass ich ziemlich enttäuscht war, nicht weiter vorstoßen zu können und verfluchte mich, dass ich es nicht doch wenigstens versucht hatte. Aber dieses Mal sprach einfach zu viel dagegen.
Die Sonne kam am Morgen gegen 9:30 über das Felsmassiv direkt über Gangotri hinaus und verschwand bereits am frühen Nachmittag hinter dem nächsten Fels. Diese Barrieren verhindern auch den Blick auf den Gangoitri-Gletscher und den Shivling.
Am folgenden Tag suchte ich nach einem Weg, um zumindest den Shivling sehen zu können. Ich wusste, dass dies meine letzte richtige Wanderung im Himalaya werden würde. Ich ging ein wenig den Ganges flussabwärts und fand einen Weg in ein Seitental. Herbststürme fegten durch den Wald. Die Laubbäume hatten bereits einen Teil ihrer Blätter abgeworfen, die in der Sonne in allen Gelb- und Orangetönen glitzerten. Die ersten hatten sich rötlich verfärbt. In der klaren Bergsonne schien alles in einem fast übernatürlichen Glanz: das Gras leuchtete golden, der Himmel war kristallklar, die Nadelwälder tiefgrün.
Der Schnee der nahen Gipfel reflektierte die Sonne, so dass es in den Augen brannte. Im Tal rauschte ein Zufluss des Ganges mit gewaltigem Tosen. Riesige Felsbrocken durchbrachen die Wälder. DieseKiefernwälder verströmten den intensiv harzig-würzigen Geruch, den ich so liebe. Im Schatten war es bitterkalt – schließlich war bereits November. Die Felsmassivewaren extrem karg und nur dort, wo sich Wasseradern fanden, gediehen Bäume und Büsche an den widrigsten Stellen.Doch wie ihr mich kennt, wollte ich nach oben und fand schließlich einen Weg, der mich höher führte, bevor er in ein Steilstück überging, dass außer einigen Ziegen wohl kaum einer beging. Immer mehr leuchtende Silberbirken dominierten meinen Weg. Ihre Rinde schälte sich wie tausend Jahre alte Papyrusrollen. Umgeknickte Bäume erinnerten an die schweren Sturmschäden. Es wurde immer steiler, der „Weg“ führte an einer gewaltigen Steinmuräne entlang und schließlich ging das Unternehmen in Klettern über nackten Fels über. Schon auf dem Weg hinauf machte ich mir einige Sorgen, darüber, ob ich diesen Weg auch wieder hinunterkäme – ein gewisser Nervenkitzel ist damit jedes Mal verbunden. Aber wenn ich einmal los war, dann gab es kein Zurück mehr und ich zog mich die Felsen hinauf. Mit großer Mühe fand ich meinen Weg hinauf zu einem Vorgipfel, den ich anvisiert hatte. Von dort aus hatte ich einen Blick auf den Shivling; allerdings ragt nur die Spitze über den eigentlichen Gipfel hinaus. Der Weg dorthin warschlicht unmöglich gangbar. Auch der Gangotri-Gletscher war von hier aus nicht zu sehen. Zudem würde die Sonne gleich hinter einem Felsen verschwinden. Ich genoss den letzten intensiven Blick auf die Bergwelt aus erhabener Perspektive.
rechts oben erkennt man die Spitze des Shivling
Hinunter zu gelangen, stellte sich als erwartet schwierig heraus. Das erste Steilstück konnte ich noch gut hinter mich bringen, dann wurde es zunehmend heikel. Meine Höhenangst und die damit verbundene Panik stellte sich immer nur dann ein, wenn ich gar keinen Weg mehr ausmachen konnte und ein paar Mal musste ich wieder ein Stück hinaufklettern um wieder zur Ruhe kommen, nachdem ich ein totes Ende erreicht hatte, von dem aus nur ein Absturz nach unten führen würde. Letztlich ging ich fast den gleichen Weg entlang an einigen Punkten, die ich mir auf dem Weg hoch gemerkt hatte, wieder hinunter und das schien auch der einzig halbwegs gangbare Weg zu sein. Bisweilen kann ich nur auf dem Hintern nach unten rutschen. Erinnerungen an einen fatalen Abstieg in der Nähe von Manali wurden wach. Zum Teil blieb nur noch auf dem Hintern anch unten zu rutschen und dabei auf den nächsten Baum zuzusteuern. Doch irgendwann hatte ich den Abstieg gemeistert und ging zurück in mein eiskaltes Zimmer, um mich unter zwei Decken zu verschanzen.Gangotri ist einer der vier heiligsten Pilgerstätten im indischen Himalaya. Die anderen sindYanumotri, Badrinath und Kedernath, das besonders schwer von der Flut verwüstet wurde.Der Haupttempel ist der Göttin Ganga gewidmet. In Gangotri leben etwa 600 Menschen. Der Fluss heißt hier noch Bhagirathi und wird erst bei Devprayag, wo er sich mit dem Alaknanda vereinigt zum Ganges. Dennoch wird Gomukh ("Kuhschnautze") als DIE Quelle verehrt.
Er wurde erst im 18. Jarhundert von dem Gurkha-General Amar Singh Thapa erbaut. Er erinnert an die Legende der zufolge König Bhagirath an dieser Stelle meditierte und damit die Göttin zurück auf die Erde lockte, damit sie sein Volk wieder zum Leben erweckte. Dabei kam die Göttin mit einer Kraft auf die Erde, die beinahe alles Leben zerstörte.
Vom Tempel führen Stufen zum wichtigsten Ghat, von dem aus die Gläubigen in den Fluss steigen, um sich rituell im eisigen Fluss der Ganga zu waschen und Wasser in Kanister abzufüllen, um sie mit nach Hause zu nehmen. Fast alle Läden verkaufen solche Kanister und Devotionalen aller Art. In einigen Höhlen, Aschrams und einfachen Behausungen leben Sadhus – heilige Männer, die sich der Askese verschrieben haben und meist von milden Gaben leben.
alternativ wohnen...
Ein Saddhu, der Lord Shiva nachfolgt.
Am darauf folgenden Tag war Divali – das Lichterfest – zugleich das bedeutendste Fest im indischen Kalender. Kerzen und Öllampen werden überall aufgestellt, Lichterketten installiert, sowie Böller und Raketen verschossen. Meine ersten beiden Divali-Feste in Indien hatte ich erlebt, während ich auf einer nächtlichen Reise unterwegs war. Das hatte zwar auch seinen Reiz, da man an lauter festlich geschmückten Häusern entlangfährt. Aber es war doch schöner das Fest in aller Ruhe zu erleben.Vor dem herrlich illuminierten Tempel spendete der Tempeldiener einer kleinen Gruppe den Segen. Danach spielte sich eine typisch indische Melange ab: Junge Männer zündeten gewaltige Böller und Raketen, die unkontrolliert in der kleinen Menge explodierten, Pilger machten der Göttin ihre Aufwartung besuchen, eine Gruppe Tänzerinnen umrundete im Rhythmus einer Trommel den Tempelund wurden von einem russischen Touristen mit der Kamera verfolgt. Er war der einzige Ausländer neben mir und hielt mit der Videokamera auf alles, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Es ist eine wunderbare Atmosphäre mit den Mantras aus den Lautsprechern und dem Klingen der Tempelglocken.
Auch die anderen Tempel, die Shiva, Nandi, Hanuman und Ganesh gewidmet sind, strahlen in einem geradezu magischen Schein bunten Lichts und Kerzen.
Am letzten Tag musste ich mein Zimmer am Morgen räumen, weil die Matratze der letzte Gegenstand die mit dem Vermieter meines Zimmers nach Uttarkashi verschwand. Schon die ganzen Tage über schloss ein kleiner Laden nach dem anderen und Jeeps, Pferde und Esel transportierten alles ab, was nicht niet- und nagelfest war. Strom und Wasser waren bereits abgestellt. Den Winter über bleibt nur eine Handvoll Sadhus in Gangotri. Alle anderen zieht es in tiefere Gefilde – vor allem nach Uttarkashi. Das war nicht weiter verwunderlich. Im Winter musste es hier unglaublich kalt sein und der Schnee würde den ganzen ersten Stock und den Balkon versperren.
Nun stand das letzte Highlight auf dem Programm - die Schließung des Tempels. Noch einmal kamen eine ganze Reihe von Besuchern aus Uttarkashi, die der Zeremonie beiwohnen würden. Dennoch war nur eine überschaubare Anzahl von Menschen versammelt – sicher nicht mehr als 250. Die Gottheit wurde auf einer Bahre drapiert und reich geschmückt – mit unzähligen leuchtenden Stoffbahnen, Blumen. Alle behandelten die Göttin mit größter Ehrfurcht.
Die Armee hatte eine Armeekapelle abgestellt.
Ausserdem stellte sie nach der Zeremonie kostenfreies Essen, Tee, Gangeswasser und medizinische Versorgung. Dudelsäcke werden für mich in Indien immer ein äußerst skurriles Bild abgeben – tatsächlich hat allerdings Pakistan Schottland in der Produktion von Dudelsäcken überflügelt. Dieses Bild ziert die indische Whiskey-Marke Bagpiper:
Auch Lokalreporter, das Fernsehen und der Distriktmagistrat gaben sich die Ehre.
Die Puja zog die Menge vor den Tempel auf einen großen Teppich. Muschelhoerner wurden geblasen. Der Tempelpriester schwenkte gesegnetes Wasser über uns – in diesem Moment wurde ich vom Beobachter für kurze Zeit zum Teilnehmer. Für einen kurzen Moment verringerte sich die Distanz zu dem Geschehen deutlich und ich fühlte mich ergriffen, als ich in den Augen einer Nonne deren Hingabe und Güte spürte, die sich ihrer beim Anblick der Göttin bemächtigt hatte. Eine Träne rollte über ihre Wange. Ich spürte eine unglaubliche Tiefe in dem Moment und eine Gänsehaut hatte von mir Besitz ergriffen. Als die Göttin auf ihrer Bahre hochgehoben wurde und langsam über den Tempelplatz getragen wurde, war das wie eine Welle – das war der Moment, auf den alle gewartet hatten. Blumengirlanden flogen durch die Luft, einige Frauen sprangen in Ekstase vor der Göttin in die Luft. Eine ungewöhnlich starke Energie entlud sich über den Platz. In diesem Moment beschloss ich, der Göttin nicht wie geplant, noch einige Kilometer auf ihrer Reise zu verfolgen. Dies war der Moment des Abschieds. Ich blickte auf den Fluss – die Quelle des Lebens und ward einen letzten, sehnsüchtigen Blick auf die Berge, die in den letzten Monaten mein ständiger Begleiter waren. Es war der richtige Zeitpunkt, um zu gehen.
Der Tempel würde nun für 6 Monate geschlossen bleiben und erst im April würde die Göttin wieder in den Tempel einziehen. Dann erwacht auch Gangotri zu neuem Leben.
Auf der Fahrt nach Uttarkashi wurden wir noch zweimal mit Essen versorgt und machten kurz Halt bei einem Tempel, den auch die Göttin in Kürze mit der Gruppe von etwa 35 Menschen erreichen würde. Dort übernachteten sie, um am nächsten Tag Mukhba zu erreichen, dem Ort an dem die Göttin überwintern würde, bevor sie erneut Einzug in Gangotri halten würde. Nun hieß es also endgültig Abschied nehmen vom Himalaya. Ich ging ungern – dabei hatte ich den Aufenthalt in den Bergen voll ausgereizt und seit geraumer Zeit wurden die Tage immer kürzer, so dass es – abgesehen von meinem Aufenthalt in Rishikesh – oft eisig kalt war. Ich habe sicher nicht alles gesehen, aber doch einiges erleben dürfen. 4 ½ Monate habe ich in Ladakh, Zanskar, Nubra, Kullu, Lahaul, Spiti, Kinnaur und Uttrakhand verbracht – damit habe ich inzwischen einen guten Teil des westlichen indischen Himalayas erkundet – Kaschmir hatte ich bereits auf meiner ersten Reise gesehen. Ich kenne immer noch nur einen Bruchteil des riesigen Gebiets und ich bin sicher, dass ich eines Tages wiederkehren werde. Das östliche Bergland mit Sikkim und Darjeling steht weiterhin aus. Auch den Gharwal möchte ich einmal eingehender besuchen.
Nach einigen Tagen in Haridwar, habe ich soeben Varanasi erreicht, die heiligste Stadt der Hindus - meine vierte und letzte Station am Ganges. Von hier aus werde ich die lange Reise in den Süden des Subkontinents antreten. Lange bleibt mir nicht mehr, bevor mein Visum endet, und mache mir so meine Gedanken über das Jahr das ich inzwischen in Indien verbracht habe. Dazu folgt ein ausführlicher Bericht.
In den letzten Wochen ist es in mir und um mich herum immer einsamer geworden und es wird nicht leicht sein, den Hebel umzulegen und mich wieder mehr in Gesellschaft zu begeben.Es folgen noch andere Berichte aus dem Himalaya, die ich noch nicht fertigstellen konnte.
Ich sende Euch herzliche Grüße aus Indien und hoffe Ihr bleibt mir gewogen…
Alle Links von der diesjährigen Reise durch den Himalaya:
Reisereportage: von Ladakh über den Kanji La nach Zanskar
Reisereportage: Manali und Ladakh – der äußere Kreis
Sehnsuchtsorte: Jenseits von Kibber im Spitital
Sehnsuchtsorte: Chitkul in Kinnaur nahe der tibetischen Grenze
Sehnsuchtsorte: Old Manali und Vashisht
Literatur auf Reisen – meine geistige Nahrung der letzten Monate