(Collage: Emma Isacson)
Sie in Berlin, ich in Baden. Wir haben uns darauf geeinigt, dass nichts aus uns wird. Sie knappe Zwanzig, ich zehn Jahre älter. Aus Vanessa mit den langen Beinen und dem engen Oberteil, mit der flinken Plapperei und der unbekümmerten Einsamkeit. Und aus mir, dem moralischen Zeigefinger, der gerne ein gestreckter Mittelfinger wäre. Also besuche ich sie in Berlin. Gute Freunde, die wir jetzt sind.
„Siehst du, darum soll aus uns nie ein Paar werden. Dauernd Beziehungsknatsch!“, sagt Vanessa, als wir aus dem Kino kommen. „Du wärst mit mir genauso überfordert wie Leo mit Claire“, sie lacht, nimmt mein Gesicht, das sich zwischen belustigt und beleidigt nicht so richtig entscheiden kann, in beide Hände und drückt kurz und keck ihre Lippen auf meine. Schon wendet sie sich ab, kramt in ihrer Handtasche, zieht Lippenstift nach, zündet sich eine Zigarette an, nimmt mich an der Hand und sagt: „Komm.“
Der Film erzählt die Geschichte eines Paars in der Krise. Leo vernachlässigt Claire. Claire zickt. Die Beziehung kommt aus dem Tritt. Fragen stechen. Es wird geschwatzt und gelitten.
„Wie fandest du den Film?“, frage ich, als wir die Fahrräder aufsperren und ich überlege, ob es denn wenigstens für eine Affäre reichen könnte. „Ach, weisst du, da werden Klischees durchgeknetet. Durchaus witzig. Durchaus wahr. Aber auch wo der Film sich von den Klischees abheben will, verrät sich seine beengte Sichtweise eben gerade dadurch, dass er die Klischees bloss umkehrt. Er kann keinen Fahrradplatten reparieren, sie hängt seine Lampen auf. Sie will viel und hemmungslos Sex, er ist eher prüde. Und merk dir: Nur weil ich ein bisschen wie Claire bin, heisst das noch lange nicht, dass du heute Nacht auf deine Kosten kommst.“
Ich schaue sie so ausdruckslos wie möglich an. Soll ich empört abwehren: ‚Sag mal, wie denkst du eigentlich von mir!’ Soll ich sie auslachen: ‚Meinst du etwa, ich will was von dir?’ Ich sage: „Mich haben die Monologe, die ans Publikum gerichtet waren, immer wieder aus der Geschichte gerissen. Claire erzählt von Leo. Leo erzählt von Claire. Zu theatralisch gespielt, zu viel Druck auf Stimme und Mimik. Hier hätte Zurückhaltung gut getan. Ich mag Filme nicht, die erklären. Sie sollen zeigen. Gegen Schluss, als endlich die Geschichte ins Rollen kommt, sie nicht von den durchschaubaren Monologen unterbrochen wird, als die beiden in ihrem dialogischen Spiel aufblühen, da gibt es plötzlich starke und berührende Momente. Mir war, als wäre weniger Regie, weniger Drehbuch, als wäre weniger Konzept mehr gewesen. Mehr Geschichte jedenfalls. Die Kamera hingegen hat mir sehr gut gefallen.“
Wir fahren nebeneinander her. Vanessa lacht: „Wenn du unsicher bist, wusstest du das, dann sprichst du immer mit dieser schnalzigen Ernsthaftigkeit. Lässt du dich nie provozieren?“ Ich schaue sie an, sehe, wie meine Hand ihre Wange berührt, dann an den stolpernden Lenker zurückschnellt. Ich sage: „Die einen spielen mit dem Jojo der Spassigkeit: anziehen, wegstossen. Die anderen legen Wolken der Sachlichkeit um sich. Beide wollen auffordern. Keiner will verletzt werden.“ Vanessas Kichern schwindet. Ein Lächeln, still und traulich wie ein Sonnenstrahl am letzten schönen Herbsttag, huscht über ihr Gesicht. Sie hängt sich an meinen Arm, ich trete in die Pedale und flüstere in den Himmel über Berlin: „Die Intimität ist ein scheues Tier.“ Dann schnalzend, mit Kunstpausen und tanzenden Augenbrauen, als würde ich in die Kamera monologisieren: „Und sowieso: Der Film von Maren Ade, Alle anderen, ist der präzisere, mutigere und lebendigere Film über das Beziehungsverhalten der Reifeverweigerer.“
Der letzte schöne Herbsttag, D 2010, Regie: Ralf Westhoff, Schauspieler: Julia Koschitz, Felix Hellmann, Kinostart: 18. November 2010