Schwarzer – Kelek – Sarrazin

Schon seit Wochen liegt ein nicht fertig geschriebener Artikel auf meiner Festplatte. Ich schrieb über das Burka-Verbot in Frankreich und in Belgien. Für mich ist dieses Verbot ein politischer Fehler, denn es ist ein Signal in die falsche Richtung. Es grenzt die aus, die sich integrieren wollen und gibt den Islamisten Wasser auf deren Mühlen. Viel ärger jedoch: es ist keine Hilfe für die betroffenen Frauen, die unter den Schleier gezwungen werden.

Verfechterin dieses staatlichen Verbotes ist auch Alice Schwarzer. Eine Frau, von der ich meine, dass sie es besser wissen müsste. Ich sehe in diesem Burka-Verbot gar eine doppelte Bestrafung der Frauen. Wenn Frauen in einer patriarchalischen Gesellschaft (wie es die islamische ist) unter den Schleier gezwungen werden, müssen vor allem auch die Männer aufgeklärt werden. Wie schwer es insbesondere für Frauen ist, sich aus diesem kulturellen Umfeld heraus zu lösen, sollte auch Frau Schwarzer bekannt sein.

In dem (nichtveröffentlichten) Artikel wies ich auch darauf hin, dass Frau Schwarzer in einem aktuellen EMMA-Artikel von „islamisch“ spricht, wo „islamistisch“ korrekt gewesen wäre. Denn es ist nicht „der Islam“, mit dem wir als offene Gesellschaft kämpfen; es ist der politische Islam. Der Islamismus.

Einer weiteren Autorin, nämlich Necla Kelek, begegne ich seit ihrem Techtelmechtel mit Herrn Sarrazin mit großem Misstrauen. Nicht jeder, der meinen Feind Feind nennt, muss deshalb auch zu meinem Freund  werden. Meiner Meinung nach hat Frau Kelek sich mit ihrem Auftritt auf dieser populistischen Bühne nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Das gilt für mich; andere sahen und sehen das von einer anderen Warte her. Neben all dem Lob für den dieser Tage erhaltenen Freiheitspreis der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung gab es auch sehr kritische Gegenstimmen.

Und genau über diese beiden Frauen verliert Jörg Lau lobende Worte: „[Ich] hätte kaum gedacht, dass ich noch einmal Anlass haben würde, mich mit Alice Schwarzer einverstanden zu erklären. Ich muss sagen, ich bin hocherfreut darüber, dass Schwarzer die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus so deutlich macht in ihrer Laudatio auf Necla Kelek. Und dies zugleich noch in Kombination mit einer Attacke auf Thilo Sarrazin, dessen Buch die gelobte Kelek doch der Öffentlichkeit so warm ans Herz gelegt hatte.“

Das war für mich Anlass genug, die Laudatio von Alice Schwarzer bei der Preisverleihung einmal im Wortlaut nachzulesen. Und ich war überrascht. Sehr überrascht.

Der Ökonom [Thilo Sarrazin], dessen provokantes Buch den letzten Funken in das Pulverfass Integration geworfen hat, benennt zwar trefflich die Folgen einer verfehlten Integrationspolitik, verkennt jedoch deren Ursachen. Denn nicht „der Islam“ ist das Problem, sondern der Islamismus, der politisierte Islam. Nicht „die Muslime“ sind Anhänger eines Gottesstaates, sondern die Islamisten. Und die Ursache von Rückständigkeit ist nicht in den Genen zu suchen, sondern in den Verhältnissen.
Für die Verbesserung dieser Verhältnisse und für eine Reform des Islam kämpfen aufgeklärte Muslime und Musliminnen wie Necla Kelek […] mit heißem Herzen. Thilo Sarrazin aber plädiert mit kaltem Herzen für die Sicherung der Privilegien seiner Kaste [...]

Im Folgenden zerlegt sie Sarrazins Argumentation in kleinste Fetzen. Dies zu tun in einer Lobrede auf eine Frau, die – indem sie mit Sarrazin auf Tour war – seine Gedanken zu den ihren machte oder zumindest in deren  Nähe rückte, ist schon erstaunlich. Und weil z.B. Jörg Lau meint, dass die beiden Autorinnen in  „regem Austausch“ miteinander stünden, zeigt mir das aber auch, dass sich etwas zu bewegen scheint in den Gedanken und Ideen der Intellektuellen in Deutschland. Wir fangen endlich an, differenzierter zu werten.

Meine türkischen Taxifahrer jedenfalls haben sich ausnahmslos und von Herzen gefreut über den klaren Satz des Bundespräsidenten: „Der Islam gehört zu Deutschland.“ Was bei rund vier Millionen in Deutschland lebenden Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis ja auch ein sehr realistischer Satz ist.

Auf seiner Reise in die Türkei fügte der Bundespräsident sodann den spiegelbildlichen Satz hinzu: „Und das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei.“ Das hörte sich erstmal gut an, scheint es doch ein und denselben Maßstab an beide Länder zu legen. Dennoch ist es schief.

Denn die etwa 100 000 Menschen christlichen Hintergrundes – von denen vielleicht zehn bis zwanzig Prozent gläubig sind – haben keine Integrationsprobleme in der Türkei, sondern lediglich Probleme mit der dort nicht existierenden Religionsfreiheit. Die wiederum ist in Deutschland kein Problem, sondern selbstverständlich. Für die vier Millionen Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis hierzulande geht es weniger um Religionsfreiheit, sondern um Bürgerrechte.

Darum stellte Necla Kelek in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu Recht die Frage, ob der deutsche Bundespräsident etwa „der Rückkehr der Religion als Kategorie der Politik das Wort“ rede. Und sie fügte hinzu: „Sind wir keine Deutschen oder Türken, sondern zuerst Christen oder Muslime – keine Bürger, sondern Gläubige oder Ungläubige?“

Alice Schwarzer spricht dann über die unsensible Art und Weise unsres Bundespräsidenten, der nicht bemerkte, dass die Frau des türkischen Ministerpräsidenten, Frau Gül, mit dem streng geknoteten Kopftuch des politischen Islams auftrat. In den demokratischen türkischen Medien wurde das sehr wohl als Affront verstanden. Nicht so jedoch von Herrn Wulff. Dieser war glücklich damit, seinen in Deutschland sicherlich korrekten Satz „Der Islam gehört zu Deutschlands“ dort in reziproker Version wiederholt zu haben. Auch wenn die Verhältnisse sehr voneinander verschieden sind.

Schwarzer endet mit einer – im Gegensatz zum oben genannten EMAA-Artikel – deutlich differenzierteren Stellungnahme zum Kopftuch:

Ein Thema, das auch hierzulande immer wieder erregt. Dabei werden gerne zwei sehr unterschiedliche Ebenen vermischt: Nämlich einerseits die subjektiven Gründe, aus denen Mädchen und Frauen das Kopftuch tragen. [...] Doch können diese subjektiven Gründe in der Tat vielfältig sein, sie reichen von einer Identitätssuche über die Abgrenzung bis hin zur Ich-bin-eine-anständige-Frau-Demonstration.

Etwas ganz anderes jedoch sind die objektiven Gründe für das islamische Kopftuch. Und die sind eindeutig. So gab es in den sechziger und siebziger Jahren zwar bereits Millionen Muslime in Deutschland, aber kaum Kopftücher […] Die islamistischen Kopftücher aber, die das Haar der Frauen als „sündig“ verdecken, und der islamistische Mantel oder Tschador, der den ganzen Körper verhüllt, tauchten verstärkt erst Mitte der achtziger Jahre auf – importiert von den islamistischen Agitateuren. Diese Kopftücher sind der sichtbarste Ausdruck der von den Islamisten proklamierten Geschlechter-Apartheit. Sie stigmatisieren Frauen als die „Anderen“.“

Ich bin zufrieden, dass ich den Artikel auf der Festplatte ließ. Allerdings weiß ich noch immer nicht, ob ich mich dafür schämen sollte, gegen die Preisverleihung an Frau Kelek petitioniert zu haben.

Nic


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