Schwarze Narzisse

Schwarze Narzisse

BLACK NARCISSUS
England 1947
Regie: Michael Powell & Emeric Pressburger
Darsteller: Deborah Kerr, Kathleen Byron, Sabu, David Farrar, Flora Robson, Jean Simmons, u.a.
Drehbuch: Michael Powell & Emeric Pressburger
Deutschsprachige Kino-Auswertung 1948 unter dem Titel Schwarze Narzisse
Dauer: 101 min

INHALT:
Fünf Nonnen werden von ihrem Orden in den Himalaya geschickt, um dort in einem alten Palast eine Schule und ein Spital zu eröffen. Die junge Schwester Clodagh (Kerr) wird mit der Leitung betraut. Der Palast entpuppt sich als ehemaliger Konkubinen-Wohnsitz eines früheren Herrschers. Die erotischen Wandmalereien, die Verwunschenheit des Ortes, der permanente Wind, die Exotik des Landes und der Dorfbewohner und deren Lebenssicht setzten den Nonnen zu und rütteln heftig an ihrem streng christlichen Glaubensgefüge. Die Anwesenheit eines jungen englischen Verwalters erschweren die Umstände für mindestens eine von ihnen – sie verliebt sich in Mr. Dean, den Verwalter – eine Liebe jedoch, die im Wahn enden muss.

DER FILM:
Das klingt nun alles etwas schwülstig, und aus diesem Grund ich hatte lange die grössten Vorbehalte dem Film gegenüber.
Glücklicherweise gehört Black Narcissus aber zu jenen seltenen Werken, die künstlerisch derart grandios konzipiert und ausgeführt sind, dass der Inhalt nur noch eine sekundäre Rolle spielt. Genau wie in Murnaus Sunrise ist in Black Narcissus das Konzept alles. Es ist ein Film, der durch den künstlerischen Willen und die Vision des Regisseurs lebt, ganz unabhängig von seinem Inhalt. Was den Film gross macht, sind die Bilder, die Visionen, durch welche sich die Figuren bewegen und welche die Figuren und ihre innere Welt spiegeln. Es entsteht eine überirdische Stimmung, die ganz und gar künstlich erzeugt wird und dies auch keinen Moment leugnet. Das ist für mich Film: Wenn der Regisseur zur Künstlichkeit des Mediums steht und gar nicht versucht, Realismus vorzulügen. In Black Narcissus resultiert daraus seltsamerweise ein Gefühl von “Echtheit”: Man wähnt sich und die Filmcrew tatsächlich im Himalaya.
Black Narcissus entstand nach einem Roman der in Indien aufgewachsenen englischen Autorin (Margaret) Rumer Godden (“The River”). Sie war mit der Verfilmung offenbar nicht zufrieden.
Black Narcissus erhielt bei der Oscarverleihung 1948 in den Kategorien “Beste Kamera / Farbfilm” (Jack Cardiff) und “Bestes Szenenbild / Farbfilm” (Alfred Junge) je einen Oscar. Jack Cardiff erhielt zudem einen Golden Globe für seine damals revolutionäre Arbeit an der Technicolor-Kamera. Cardiff, der von sich sagte, er wäre gern Maler geworden, orientierte sich für Black Narcissus an den Bildern Vermeers und trug Wesentliches zum Aussehen des Films bei.
Deborah Kerr erhielt für ihre Rolle in dem Film die Auszeichnung als beste Hauptdarstellerin des New York Film Critics Circle.

DIE REGIE:
Die treibende kreative Kraft hinter “Powell & Pressburger” war zweifellos Michael Powell. Obwohl die beiden eng zusammenarbeiteten, am selben Strick zogen, gut harmonierten und in den Credits immer zusammen genannt wurden, war Powell der Visionär des Duos. Emmerich Pressburger war ein brillianter und versierter Autor und mehr für die Handlungsstränge und die Dialoge verantwortlich. Es war Powell, oder besser seine Begabung der künstlerischen Gesamtsicht, die Black Narcissus und andere Filme – wie etwa The Red Shoes (dt.: Die roten Schuhe) oder A Matter of Life and Death (dt.: Irrtum im Jenseits) – zu spektakulären cinematografischen Meisterwerken machte.
Schaut man sich Black Narcissus unvoreingenommen an, ist man bald überzeugt, die Filmcrew hätte in Indien gedreht – obwohl das Bergpanorama des Himalaya erkennbar gemalte Kulisse ist. Tatsächlich entstand der Film ausnahmslos in den Londoner Pinewood-Studios. Genau wie Murnaus erster amerikanischer Film, Sunrise, den Eindruck erweckt, als sei er in Deutschland gedreht worden, entsteht hier trotz (oder dank?) Kulissen, künstlichem Licht und spektakulärer Farbdramaturgie ganz stark die Atmosphäre von echt asiatischer Exotik.
Powell erwog zunächst tatsächlich, nach Indien zu fahren. Was ihn zurückhielt, war der Bruch, der entsteht – und den man in vielen Filmen jener Zeit beobachten kann – wenn unterschiedliche oder unterschiedlich belichtete Filmmaterialien zusammengefügt werden. Die in Indien gedrehten Aussenaufnahmen und die Innenaufnahmen, die in den Pinewoodstudios geplant waren, hätten farblich nicht zusmmengepasst, weil man nicht auf dasselbe Rohmaterial hätte zurückgreifen können. Es wäre ein störender Bruch innerhalb des Films entstanden.
Zum Glück hat Powell das verhindert – der Film hätte viel von seiner künstlerischen Kompaktheit eingebüsst. Die Episode zeigt, wie klar und umfassend Powells Vorstellung des fertigen Films war, wie genau er jedes Detail kontrollierte. Er betonte zwar bis an sein Lebensende – und vollkommen zu Recht – immer wieder die Leistungen seiner Teams, doch er hatte die Vision, arrangierte die Details und fügte alles zum einen Film zusammen, der aus einem künstlerischen Guss zu sein scheint.
Bleibt zu erwähnen, dass das Black Narcissus-Team aussergewöhnliche Arbeit leistete! Jack Cardiffs Lichtdramaturgie lässt einen immer wieder sprachlos, Alfred Junges Sets sind atemberaubend, Hein Heckroths Kostüme eine Augenweide. Alle zusammen lassen ein Studio-Indien erstehen, das absolut glaubhaft erscheint, das aber in Michael Powells Kopf entstand. Parallelen zu den Filmen Friedrich Wilhelm Murnaus werden wach; dessen grösste Werke wurden ebenfalls ausschliesslich im Studio gedreht und zeigten Welten, die durch und durch künstlich und bis ins hinterste Detail durchkontrolliert waren. Black Narcissus ist ein Film wie ein Gemälde: Von der Beleuchtung über die Farbzusammenstellung wurde alles detailliert durchdacht und kontrolliert – teils im Voraus, teils während des Entstehungsprozesses.

DIE SCHAUSPIELER:
Schauspielerisch überzeugt Black Narcissus nur partiell – nicht zuletzt, weil er ganz klar kein Schauspielerfilm ist. Die Hauptaufgabe der Aktricen und Akteure ist es, zum bildnerischen Gesamteindruck beizutragen. Deborah Kerr bleibt maskenhaft-steif, allerdings, weil das in ihrer Rolle steht; David Farrar allerdings wirkt als machohafter Verwalter heute ziemlich lächerlich, wodurch ein guter Teil der Handlung unglaubwürdig wird und vom heutigen Publikum kaum mehr nachvollzogen werden kann (weshalb verlieben sich zwei Nonnen in diesen Doofmann?).
Kathleen Byron als nervlich überreizte Schwester Ruth beitet andererseits eine unvergessliche Leistung, ebenso Sabu, der den jungen General mit derart viel liebenswerter Kindlichkeit gibt, dass man ihn knuddeln möchte. Jean Simmons, Esmond Knight werden mit braunem Make-Up zugekleistert und müssen die Inder geben, was heute ebenfalls merkwürdig anmutet, als Erscheinung der damaligen Zeit aber goutiert werden kann / muss.

FAZIT:
Inhaltlich kann ich dem Film nur wenig abgewinnen. Er thematisiert indirekt den britischen Kolonialismus und ist für mich als Schweizer heute im besten Fall historisch relevant. Trotzdem zähle ich ihn zu meinen Lieblingsfilmen, zu den grandiosesten Filmen, die ich kenne. Black Narcissus ist Film pur, selten fügen sich sämtliche Beiträge der Beteiligten derart stimmig, ja zwingend zu einem derart atemberaubenden künstlerischen Ganzen wie hier.

DIE DVD:

Schwarze Narzisse

Die DVD ist die Nummer 95 (von inzwischen über 700) der rennomierten Criterion Collection. Sie bringt herausragende Filme restauriert und in vorbildlicher Aufmachung heraus, und die Extras sollen einen vertiefenden Einblick in die Entstehungsgeschichte geben und die Bedeutung der jeweiligen Werke filmhistorisch erhellen.
Bild- und Tonqualität sind hervorragend und lassen nichts zu wünschen übrig!
Die Extras:
-Das x-seitige Booklet ist schlicht, aber schön aufgemacht und mit mehreren farbigen Filmstills versehen. Es beinhaltet einen ausführlichen, informativen und lesenswerten Artikel von Filmkritiker Kent Jones. Dass er so informativ ist, hat den Nachteil, dass, liest man ihn zuerst, man danach von den restlichen Extras praktisch nichts Neues mehr erfährt.
-Einführungen von Bertrand Tavernier. Sie sind sehr lebendig und informativ. Als Freund des Regisseurs Michael Powell weiss er einige zuvor nicht bekannte Details zu berichten. Er tut dies mit sichtlicher Freude und Engagement.
-Profile of “Black Narcissus”: Dieser englische Dokumentarfilm aus dem Jahr 2000 hat den Vorteil, dass man Kameramann Jack Cardiff und Schauspielerin Kathleen Byron über ihre Arbeit mit Powell sprechen sieht und hört. Vom Informationsgehalt her bringt er nichts Neues.
-Painting with Light: Eine Kurzdoku über den Kameramann Jack Cardiff und seine Arbeit für diesen Film. Teilweise recht informativ, teils Wiederholung von bereits Gehörtem.
-Audiokommentar: Michael Powell höchstselbst und Martin Scorsese sprechen über Black Narcissus, wobei der zur Zeit der Aufnahme greise Powell verblüffend wenig Interessantes beisteuert; zudem ist sein Gebrabbel bisweilen kaum verständlich. Interessanter sind da die (wenigen) Wortmeldungen Scorseses, der Parallelen zu eigenen Filmen zieht.

Im deutschsprachigen Raum ist Black Narcissus auch auf DVD erschienen – sogar in zwei Editionen. Keine davon ist zu empfehlen (eine bringt den Film sogar in schwarzweiss!). Einzig die Blu-ray-Ausgabe vermag laut den Kundenrezensionen auf amazon.de einigermassen zu überzeugen, doch sie bringt den Film in einer um 15 Minuten gekürzten Fassung.
10/10

VORHER-NACHHER:
Michael Powell und Emeric Pressburger drehten ein Jahr vorher A Matter of Life and Death (dt.: Irrtum im Jenseits, 1946), im Folgejahr kam dann ihr wohl bekanntestes Werk, The Red Shoes (dt.: Die roten Schuhe) in die Kinos.
Deborah Kerr drehte vor Black Narcissus unter der Regie von Frank Launder den englischen Thriller I See a Dark Stranger (GB, 1946), danach kam mit The Hucksters (dt.: Der Windhund und die Lady; Jack Convay, 1947), ihr erstes Engagement in den USA. Ihr bekanntesten Filme neben Black Narcissus sind die Schnulzen An Affair to Remember (dt.: Die grosse Liebe meines Lebens, Leo McCarey, 1957) und From Here to Eternity (dt.: Verdammt in alle Ewigkeit, Fred Zinneman, 1953).
Sabus Vorgängerfilm war der US-Abenteuerfilm Tangier von George Waggner (1946), danach kam The End of the River (dt.: Abenteuer in Brasilien, Derek N. Twist, 1947). Sabu drehte nur 29 Filme, bevor er mit 39 Jahren überraschend an einer Herzattacke starb.
Kathleen Byron war im Jahr vor Black Narcissus in einer kleinen Rolle als Engel in A Matter of Life and Death (dt.: Irrtum im Jenseits; Powell & Pressburger, 1946) zu sehen, zwei Jahre später drehte sie, wieder unter der Regie von Powell & Pressburger The Small Back Room (dt.: Experten aus dem Hinterzimmer). Die Rolle in Black Narcissus machte sie zwar auf einen Schlag bekannt, legte sie aber einseitig auf derangierte Charaktere fest.

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