Von Stefan Sasse
Thorsten Denkler nimmt in der SZ wieder einmal den Faden der mittlerweile ein Jahr währenden Diskussion um Schwarz-Grün auf.
Meiner Meinung nach handelt es sich dabei mehr um ein Hirngespinst der Nachrichtenredaktionen, die dieses Bündnis gerne sehen würden, als eine ernsthafte Funktion. Denklers Verdienst liegt darin, immerhin endlich einmal konkrete Politikfelder zu nennen, auf denen er schwarz-grüne Gemeinsamkeiten ausmacht. Einige davon machen mehr Sinn als andere; im Folgenden sollen sie auseinandergenommen werden. Es handelt sich um a) Die Bewahrung der Umweltb) Sozialpolitikc) Abschaffung der Wehrpflicht und Auslandseinsätzed) Migratione) Finanzpolitikf) Verständnis als konsequente Europapartei
a) Die Bewahrung der UmweltGleich der erste Punkt ist eines der größten Hirngespinste der Apologeten der Schwarz-Grün-Debatte. Weil die CDU von sich behauptet, konservativ zu sein, habe sie damit eine natürliche Affinität zur Erhaltung der gottgegebenen Schöpfung, vulgo: der Umwelt. Woher diese Idee kommt, ist mir unbegreiflich, aber sie ist putzig. Die CDU hatte noch nie ein Problem mit Umweltverschmutzung und Industrialisierung sowie Straßenausbau und Vergrößerung von Kapazitäten in der Autoproduktion. Sie hat sich, wie das "Konservative" eben tun, dem Zeitgeist immer wieder ein bisschen angepasst. In den 1980er Jahren führte das zur Gründung des ersten Bundesumweltministeriums, heute zum Atomausstieg. Das alles aber sind taktisch und strategisch bedingte Entscheidungen und keine, die an der Parteiseele rühren würden. Für den wahrlich nicht unerheblichen Wirtschaftsflügel der CDU ist jeglicher Umweltschutz weiterhin Teufelszeug, und nur weil Merkel sich mangels Durchsetzungskraft dieses Flügels derzeit einen Dreck um seine Befindlichkeiten schert, solange es dem Machterhalt dient, heißt noch lange nicht, dass das auch so bleiben muss. Die CDU ist als Ganzes garantiert keine dem Umweltschutz verpflichtete Partei, es sei denn, der Umweltschutz kommt umsonst. Aber das tut er nun einmal nicht.
b) SozialpolitikCDU und Grüne haben es leicht, hier übereinzustimmen. Keiner der beiden hat ein kohärentes Programm dazu. Die CDU nicht, weil die normative Kraft des Faktischen die bisherigen Glaubenssätze aus der Zeit des Leipziger Programms endgültig beiseiteszuspülen droht und keine ewiggestrigen Galionsfiguren wie Friedrich Merz mehr von der heilenden Kraft des Kapitalismus predigen können. Die Grünen nicht, weil ihnen das Thema vollständig abgeht. Sie rekrutieren sich aus einem Klientel, das zwar bei wei weitem nicht so bürgerlich ist, wie das Kommentatoren gerne herbeifabulieren, aber nur selten damit rechnet, in die Sozialsysteme abzurutschen oder länger dort zu verbleiben. Die Grünen können mit der SPD oder LINKEn ebensogut Sozialpolitik machen wie mit der CDU; lediglich die FDP dürfte dem Moralverständnis der meisten Grünen einfach zu radikal sein. In einer Jamaika-Koalition aber beispielsweise fungieren die Grünen einfach als Gegengewicht zur FDP beim Rotieren um das schwarze Zentrum CDU. Hier sind tatsächlich große Gemeinsamkeiten, sicher aber keine eklatanten Gegensätze zu spüren. c) Abschaffung der Wehrpflicht und AuslandseinsätzeZwar ist es richtig, dass die CDU unter einem CSU-Minister die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt hat. Zwar ist es richtig, dass die Grünen unter einem grünen Außenminister deutsche Soldaten in zwei Kriege geschickt haben. Trotzdem sind die Gemeinsamkeiten deutlich dünner, als Denkler hier postuliert. Zum Einen haben die Grünen durchaus begeistert die Ablehnung des Irakkriegs durch Schröder mitgemacht, während die Merkel-CDU Washington zu folgen bereit war. Doktrinen wie "Sicherung der Handelswege" für die Bundeswehr sind mit den Grünen deutlich schwerer zu machen als mit der FDP, und die Abschaffung der Wehrpflicht ist in der CDU alles, aber sicherlich nicht unumstritten. Obgleich die Grünen sich seit 1998 der CDU in Sachen Militär sicherlich ein wenig angenähert haben - wenn es hart auf hart kommt und die Koalition über die Entsendung von Soldaten zu entscheiden hätte, würde das Probleme eines ganz anderen Ausmaßes als mit einem sozial- oder freidemokratischen Partner schaffen. d) MigrationAuf diesem Feld hat die CDU sich ebenfalls der normativen Kraft des Faktischen unterwerfen müssen. Die Tatsache, dass Deutschland Migranten besitzt wegzudiskutieren ist einfach nicht mehr möglich, und auch die CDU war gezwungen, sich Wege zur Integration zu überlegen. Es gehört zu Schäubles wenigen Verdiensten als Innenminister, dass er die Islamkonferenz geschaffen und das Klima in der CDU wenigstens aufzuhellen versucht hat. Trotzdem sind die Parteien und besonders ihre Anhänger himmelweit auseinander, und nur weil die Grünen auch für verpflichtende Deutschkurse sind, liegen sie noch lange nicht auf einer Linie mit der CDU. Verpflichtende Deutschkurse sind eine conditia sine qua non. Wer in einem Land leben will, muss dessen Sprache können, das ist ein Gebot der Vernunft. Aber was konstituiert darüber hinaus Migration? Die CDU kann sich nicht entscheiden, ob sie die vollständige Assimilierung inklusive Bratwurst mit Sauerkraut und Lederhose verlangen oder die Migranten doch lieber so unsichtbar wie möglich gestalten will; von den grünen Visionen einer multikulturellen, sich gegenseitig bereichernden Gesellschaft aber ist sie Lichtjahre entfernt.
e) FinanzpolitikWie die anderen etablierten Parteien auch bekennen sich die Grünen zur Schuldenbremse. Alles andere macht auch kaum Sinn, weil es sich um ein Verliererthema handelt und die Grünen ohnehin keine Chance gegen die Koaltion aus SPD, CDU und FDP zu diesem Thema haben. Trotzdem bestehen hier sicher mehr Gemeinsamkeiten mit der CDU als etwa bei der SPD mit der Union. Das liegt auch daran, dass den Grünen die Sozialpolitik, die für die größten Ausgaben verantwortlich ist, relativ egal ist und ihre Klientel mit vergleichsweise günstiger Symbolpoltik auf dem Umweltschutzfeld bedient werden kann. Dieses Politikfeld jedenfalls wird sicherlich kein Grund für das Scheitern einer schwarz-grünen Koalition darstellen. f) Verständnis als konsequente EuropaparteiMit fehlt an diesem Punkt völlig das Verständnis für Denkler. Die CDU versteht sich als konsequente Europapartei? Das war in den Tagen Kohls so, keine Frage, aber heute? Nur allzugerne hat sich die CDU der Schröderschen Außenpolitik auf dem Kurs seit Nizza angeschlossen, das Gewicht Deutschlands in der EU deutlich und rücksichtslos auszubauen und wesentlich mehr Gewicht auf scheinbare "nationale Interessen" zu legen (die eigentlich nur kurzfristige nationale Interessen sind, da die Erhaltung und der Ausbau der EU im mittelfristigen Interesse liegen). Die Grünen dagegen stehen für den Versuch eines europaweiten Green New Deal, für die Finanztransaktionssteuer und eine ganze Reihe anderer internationaler Maßnahmen, die der CDU gehörig gegen den Strich laufen - wie hier eine große Gemeinsamkeit postuliert wird, muss das Geheimnis Denklers bleiben. Generell wird meines Erachtens nach bei all diesen schwarz-grünen Gedankenspielen viel zu wenig auf die Mentalitäten der beteiligten Parteigänger eingegangen. Zwar scheint es eine ganze Menge Überschneidungen in elementaren Politikbereichen zu geben - es ist jedoch anzunehmen, dass viele grundsätzliche Fragen dadurch gar nicht berührt werden. Dies umfasst Bereiche wie die Innere Sicherheit, die Integration, die Wirtschafts- und Finanzpolitik im europäischen Rahmen und die konkrete Ausgestaltung von Umweltschutz. Auf all diesen Gebieten haben Schwarz und Grün teils stark voneinander abweichende Meinungen, Ansichten und Präferenzen, und eine Einigung ist bei weitem nicht so einfach wie das am grünen Tisch in den Nachrichtenstuben wirken mag.