Schwäbisch Galizien

Tag 120. Sonntag 1. September 2013. Von Sarria nach Portomarin.

Um Viertel nach sieben verlasse ich die Herberge. Gut einen Kilometer weiter bin ich in der Innenstadt von Sarria. Hier herrscht geschäftiges Treiben uin der Bar am zentralen Platz gibt es ein prächtiges Frühstück mit einem großen Glas frischgepresstem Orangensaft, Cafe von leche, Tostada – und ich bestelle noch einen Nußkuchen mit dazu. In meinen Unterlagen lese ich, dass etwa ab Sarria nun die letzten hundert Kilometer der Wegstrecke verlaufen und dass viele Pilger hier starten und nur dieses Stück (mit täglich mindestens zwei Stempeln) gehen, um so an die begehrte Pilgerurkunde zu gelangen. Es werde damit noch voller auf dem Camino schreibt z.B. der “Schmidtke”-Quartierführer. Viele Spanier würden erst hier beginnen. Im Jahr 2011 hätten 21 Prozent aller Pilger ihren Camino erst hier in Sarria begonnen. Und tatsächlich geht es zu wie im Bienenhaus oder beim Volkswandertag. Ein ähnliches Massenerlebnis hatte ich zuletzt in Saint-Jean-Pied-de-Port am Aufstieg in die Pyrenäen.
Also wusele ich gegen acht Uhr auch los und stelle nach einigen Metern fest, dass der Navi nicht richtig funktioniert. So bleibe ich in aller Ruhe stehen und starte das Gerät neu während eine schwäbisch redende Gruppe flott an mir vorbei zieht. Als ich dann am Monasterio de la Magdalena (13. Jahrhundert) am Ortsausgang ankomme, gehe ich mit den Schwaben ins Gebäude, das ansonsten offenbar geschlossen ist. Schon schließt der Pförtner das Tor wieder. Innen treffen wir auf einen zweistöckigen Kreuzgang mit Spitzbögen und herrlichen Bodenornamenten aus Kieselsteinen. Im Inneren der Kirche stellt sich heraus, dass nun gleich der Gottesdienst beginnt:Die Gruppe aus dem schwäbischen Ergenzingen hat ihren Pfarrer nämlich gleich mitgebracht! Da erscheint er auch schon im grünen Messgewand und bittet die zehn Mitpilger nach vorne in den Chor. Schon bin ich und mein Langstreckenpilgerweg in die Predigt eingebaut! Die Ergenzinger haben ein eigenes, kleines Liederbuch dabei und so komme ich in den Genuß gänzlich neuer Melodien. Ganz feierlich wird es zur Kommunion und schließlich motiviert der Pilgersegen zum Losmarschieren. Es ist Sonntag und ich habe einen herzlichen Gottesdienst erlebt!
Die Gruppe, so stellt sich heraus, hat über das bayerische Pilgerbüro pauschal gebucht, ist über Santiago eingeflogen und mit dem Bus nach Sarria gereist. Die Hotels sind fest gebucht und sogar das Gepäck auf dem Rücken ist nur die Light-Variante!
Wir werfen einen letzten Blick in den Kreuzgang und kommen bald darauf beim Kilometerstein 110 vorbei. Nun kommt alle 500 Meter ein solcher Stein. Der Countdown läuft!
Uralte Kastanienbäume treffen wir am Wegesrand. Der Blick reicht bis zu den Bergen in der Ferne, auf die welligen Hügel im Nahbereich. Der Weg verläuft sehr ländlich und durch zahlreiche kleinste Dörfer. Vielfach sind die Hohlwege mit flachen Steinplatten an beiden Seiten eingefasst. Und erstmals sehen wir die galizischen Kornspeicher, die auf steinernen Stelzen stehen und mit Wabensteinen luftdurchlässig gemacht sind.
Die Hausdächer sind mit flachen Steinplattenn bedeckt und oft mit Moosen und Pflanzen überwachsen.
Dann kommt der berühmte Kilometerstein 100, der über und über bemalt und beschriftet ist. In Morgade kehren wir in einer überfüllten ländlichen Bar ein und lassen uns ein Sardinen-Bocadillo und ein erfrischendes Radler schmecken.
Zwei Reiter kommen uns entgegen, der niedrige Stechginster blüht stellenweise noch leuchtend gelb. Mit Steinplatten belegte Wege führen zum nächsten Dörfchen, wo wir einen Blick auf den Friedhof werfen. An knorrigen Eichen vorbei und durch duftende Kiefernwälder kommen wir zu einem Kreuz, bei dem hunderte Pilger ihre Fahrkarten abgelegt haben. Ein bißchen sieht es aus wie ein papierener Müllhaufen…Noch eine erfrischende Einkehr in Mercadoiro, wo ich Julia und Tabea aus Frankfurt wieder treffe, die hier in der Albergue übernachten werden.
Mit den Schwaben gehe ich noch weiter, bald sehen wir die Häuser von Portomarin, das man in den 1960er-Jahren neu erbaut hat, damit man den Rio Miño aufstauen konnte. Nach einem gehörigen Abstieg liegt der Stausee vor uns. Der Camino führt uns über die große Brücke während unsere Schatten tief unten im Schlamm des Ufers mitwandern. Die Sonne glitzert im Gegenlicht auf dem See, Angler sind am Werk. Dann folgt eine lange Treppe, auf der wir oben noch ein Foto der Gruppe machen. Während die einen in ihr Hotel gehen, mache ich mich auf die Suche nach einem Zimmer, das ich dann auch bald finde.

Etwa 25 Kilometer sind heute zusammen gekommen. Auf knapp 2600 steht der Gesamtzähler nun.


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