Schutz des Besitzes als sonstiges Recht nach § 823 Abs. 1 BGB

Grundtatbestand des § 823 Abs. 1 BGB
  1. Rechts- oder Rechtsgutverletzung
    1. Leben
    2. Körper und Gesundheit
    3. Freiheit
    4. Eigentum
    5. Sonstige Absolute Rechte
      1. Besitz
      2. Allgemeines Persönlichkeitsrecht (APR)
      3. Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (ReaG)
  2. Verletzungshandlung
  3. Haftungsbegründende Kausalität
  4. Rechtswidrigkeit
  5. Verschulden
  6. Schaden
  7. Haftungsausfüllende Kausalität
  8. Mitverschulden, § 254 BGB (vgl. § 846 BGB)

Der berechtigte Besitz gilt nach h.M. als sonstiges Recht gem. § 823 Abs. 1 BGB. Als sonstiges Recht werden nur Rechte erfasst, die dem Eigentumsrecht nahe kommen bzw. „wesensgleich“ sind.[1] Danach muss ein sonstiges Recht, ebenso wie das Recht auf Eigentum, eine Nutzungs- und Ausschlussfunktion innehaben.[2]

Bei der Verletzung des berechtigten Besitzes kommen drei Schadensposten in Betracht:

  1. Haftungsschaden: Der Besitzer ist aufgrund der Beschädigung oder Zerstörung der Sache dem Eigentümer zum Schadensersatz verpflichtet.[3] Z.B. Mieter, Leasingnehmer schulden Vermieter/Leasinggeber Schadensersatz für die Zerstörung/Beschädigung der Sache.
  2. Erfüllungsschaden: Z.B. ist das der Schaden eines Werkunternehmers, wenn das noch in seinem Besitz in Arbeit befindliche Werk von einen Dritten beschädigt wird und er auf Grund der Gefahrtragungsregel verpflichtet ist, das Werk neu zu gestalten, um seiner vertraglichen Pflicht aus Werkvertrag zu erfüllen.
  3. Nutzungsschaden: Darin wird, wie bei der Nutzungsbeeinträchtigung beim Recht des Eigentums,die Beeinträchtigung der Nutzung der Sache gesehen.[4]

Geschützt nach h.M. ist nur der berechtigte Besitz.[5] Denn nur der berechtigte Besitzer verfügt über eine Nutzungs- und Ausschlussfunktion, ähnlich wie der Eigentümer.[6] Berechtigter Besitzer ist, wer rechtlich die Befugnis hat, die tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache auszuüben (z.B. gem. § 535 BGB durch Mietvertrag; Nutzungsfunktion). In den Vorschriften §§ 566, 986 Abs. 2, 861 ff. BGB findet sich schließlich die Ausschlussfunktion.[7]

Gegen den Schutz eines allgemeinen Besitzes nach § 823 Abs. 1 BGB wird eingewendet, dass der bloße Besitz lediglich eine tatsächliche und keine rechtliche Position darstellt.[8] Außerdem gelten die Vorschriften zum Besitzschutz gem. §§ 861 ff. BGB für jeden Besitzer, also damit auch dem unberechtigten Besitzer, sodass es hier an der Ausschlussfunktion mangelt.[9]

Es stellt sich zunächst die Frage, wie sich das Verhältnis zwischen unrechtmäßigem Besitzer und Eigentümer im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB auswirkt.

Als Beispiel dazu der sog. Lagerhallen-Fall:[10]

Vermieter V vermietet an Mieter M eine Lagerhalle, die M berechtigterweise an Untermieter U untervermietet. V kündigt den Mietvertrag mit M und verlangt Überlassung der Lagerhalle. U weigert sich. V widersetzt sich dem U und erlangt eigenmächtig Besitz an der Lagerhalle. Daraufhin erwirkt U eine einstweilige Verfügung gegen V und verlangt Nutzungsschadensersatz gem. § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des Besitzes und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 858 BGB.

Die Ansprüche des U gegen den V sind nicht begründet aus folgenden Gründen:

  1. Im Verhältnis Eigentümer vs. Besitzer ist lediglich der berechtigte Besitzer aktivlegitimiert.[11] Durch die Kündigung des Mietvertrages (V – M) ist auch der Untermieter U gem. § 546 Abs. 2 BGB zur Herausgabe verpflichtet.[12] Er wurde durch die Kündigung zum unberechtigten Besitzer (U).
  2. Sinn und Zweck der Besitzschutzvorschriften gem. §§ 861 ff. BGB sind es, dem Besitzer dazu zu verhelfen, den vorherigen Zustand wiederherzustellen, auf dem er einen Anspruch hat, sie begründen allerdings kein Nutzungsrecht.[13]
  3. Ebenso begründet die einstweilige Verfügung kein Nutzungsrecht.[14]
  4. Die Vorschriften des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses (EBV) schützen in einigen Fällen zwar den redlichen Besitzer in seinen Nutzungen, begründen aber auch kein Nutzungsrecht.[15]
  5. Aus §§ 546a, 571 BGB hat der Vermieter Schadensersatzansprüche gegen den Mieter, wenn dieser die Mietsache nicht nach Mietbeendigung herausgibt. Wenn diese Pflicht bereits den Mieter treffen, dann sollten sie erst recht den Untermieter treffen.[16]

Fraglich ist, wie sich das Verhältnis beim mittelbarem Besitzer, unmittelbaren Besitzer und bei einem Dritten im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB auswirkt.

Als Beispiel dazu der Krantransport-Fall:[17]

M mietet bei V einen Kran mit der Abrede, dass V den Kran zur Baustelle des M bringt. V begeht fahrlässig einen Fehler bei der Lieferung, sodass der Kran umstürzt und nicht nutzbar ist. Dadurch verzögert sich der ganze Bauprozess, wodurch M einen wirtschaftlichen Schaden erleidet. M möchte nun von V Schadensersatz im Wege des § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung seines Rechts am (mittelbaren) Besitzes geltend machen.

Der Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB des M gegen den V ist nicht begründet aus folgenden Gründen:

  1. Der Streit ist hier zwischen dem mittelbaren Besitzer (M) und dem unmittelbaren Besitzer (V). Grundsätzlich sind beide Rechtsposition gewissermaßen gleichrangig, vgl. § 868 BGB.[18]
  2. Allerdings regeln die Besitzvorschriften nicht den Fall, bei dem der mittelbare Besitzer durch den unmittelbaren Besitzer in seinem Besitz beeinträchtigt wird und dadurch einen Schaden erleidet.[19] Der mittelbare Besitzer hat somit gegen den unmittelbaren Besitzer keine eigentumsähnliche Position, denn er kann gegenüber dem unmittelbaren Besitzer keine Besitzschutzansprüche gem. §§ 861 ff. BGB geltend machen.[20]
  3. Insofern ist der Schutz bei dieser besonderen Fallkonstellation nicht absolut, sondern relativ, sodass es gegen die sog. Ausschlussfunktion (siehe ganz oben) verstößt.[21]

Sonstiges:

  1. Berechtigter Mitbesitz ist ebenfalls geschützt.[22] Beachte: Der Besitzschutz zwischen Mitbesitzern ist zwar gem. § 866 BGB eingeschränkt, allerdings hat dies keine Auswirkungen auf den Anwendungsbereich von § 823 Abs. 1 BGB zwischen Mitbesitzern.[23] § 823 Abs. 1 BGB ist voll und ganz anwendbar.[24]
  2. Bei Gläubigermehrheiten, also z.B. wenn sowohl der Eigentümer als auch der Besitzer einen Anspruch wegen Verletzung des Eigentums bzw. des Besitzes nach § 823 Abs. 1 BGB gegen einen Schädiger haben, wird eine gemeinschaftliche Berechtigung an einer unteilbaren Forderung gegen den Schädiger angenommen.[25] Die dogmatische Grundlage findet sich in §§ 432, 1077, 1281 BGB analog.[26] Der Schädiger hingegen genießt den Schutz aus § 851 BGB (Ersatzleistung an einen Nichtberechtigten).[27]
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Für diesen Beitrag bedankt sich der Autor für die freundliche Unterstützung an Nathalie Smode.

[1] Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse – Deliktsrecht, Schadensrecht, Bereicherungsrecht, GoA, 9. Auflage, 2019, § 16, Rn. 36.
[2] Supra; vgl. dazu auch den Beitrag zum Eigentumsrecht nach § 823 Abs. 1 BGB; Wandt, (Fn. 1), § 16, Rn. 13.
[3] Supra.
[4] Wandt, (Fn. 1), § 16, Rn. 41.
[5] Wandt, (Fn. 1), § 16, Rn. 42.
[6] Supra.
[7] Supra (Fn. 5).
[8] Vgl. § 854 BGB; Wandt, (Fn. 1), § 16, Rn. 42.
[9] Wandt, (Fn. 1), § 16, Rn. 42.
[10] BGHZ 79, 232; Wandt, (Fn. 1), § 16, Rn. 43.
[11] Wandt, (Fn. 1), § 16, Rn. 43.
[12] Supra.
[13] Supra (Fn. 11).
[14] Supra (Fn. 11).
[15] Supra (Fn. 11).
[16] Supra (Fn. 11).
[17] BGHZ 32, 194; Wandt, (Fn. 1), § 16, Rn. 48.
[18] Supra.
[19] Supra (Fn. 17).
[20] Wandt, (Fn. 1), § 16, Rn. 47, 48.
[21] Supra.
[22] Wandt, (Fn. 1), § 16, Rn. 44.
[23] Supra.
[24] Supra, (Fn. 24).
[25] Wandt, (Fn. 1), § 16, Rn. 46.
[26] Supra.
[27] Supra, (Fn. 25); vgl. Schuldnerschutz bei der Abtretung!


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