Ich find es ja immer gut, wenn man mehrere Sachen in einem Aufwasch erledigen kann. Heute fasse ich also Religionskritik und meinen Unmut über Soziale Medien zusammen: Ein saudischer Twitterer zwitscherte drei vermutlich gar nicht so unbedachte Tweeds über den Propheten und nun ist sein Leben in Gefahr.
Dabei war der junge Mensch nicht völlig unbedarft, es handelte sich immerhin um einen Journalisten, der trotz seiner 23 Jahre schon eine eigene Kolumne in der Tageszeitung al-Bilad hat. Oder hatte. So jung und schon ein Profi! In dem Alter wusste ich noch nicht einmal, was ich werden wollte! Da hatte ich schon drei Studiengänge abgebrochen und befand mich in einer schweren Sinnkrise, der ich schließlich begegnete, in dem ich mich für ein Auslandsstipendium bewarb. Dafür brauche ich aber ein Vordiplom, das ich dann schnell noch irgendwie hinkriegen musste. Das hat sogar funktioniert – damals gab es noch kein Internet (das war gerade erst erfunden, und noch wusste kaum jemand davon) und auch sonst nicht viel, das einen ablenken konnte. Also hab ich die analoge Lern-App aktiviert und mein Pensum durchgezogen.
Nun aber wieder zu Hamza Kashgari. Am vergangenen Samstag, einen Tag vor dem Geburtstag Mohammeds, philosophierte Kashgari auf Twitter öffentlich über die Person des Propheten. Das klingt für Nicht-Muslime trivial, aber hat es wirklich in sich. Man darf nicht vergessen, dass der Islam jetzt zeitrechnungstechnisch ungefähr im christlichen Mittelalter ist – und damals verstanden die Christen auch keine Spaß! Ich erinnere nur an die Inquisition und die ganzen verbrannten Hexen. Und es gibt noch immer christliche Fundamentalisten, die weiterhin an diesen ganzen Krempel glauben – nicht nur im Vatikan, sondern auch in den USA zum Beispiel. Da steht an jeder Ecke eine Kirche. Wobei ich weiß, dass in den USA neben religiösem Wahnsinn aller Art auch andere Dinge möglich sind – nicht nur Scientology, auch der freundliche Kult des fliegenden Spaghetti-Monsters hat dort seine Wurzeln. Es gibt dort sogar Fernsehserien, bei denen die durchaus sympathische Hauptperson ein atheistischer Serienkiller ist. Noch ist nicht alles verloren.
Aber zurück zu dem armen jungen Saudi. Der den Fehler beging, zu denken, dass auch er tun darf, was Menschen tun dürfen. Seine Gedanken äußern – die Gedanken sind frei. Von wegen. Im Zweifelsfall muss man immer wieder dafür kämpfen. Nachdem es Zeiten gab, in denen es in der islamischen Welt weltoffener und toleranter zuging als im vom Religionskriegen zerfleischten Europa, sieht es dort aktuell ziemlich finster aus. Auch die Muslime sind untereinander durchaus nicht einig, was denn der wahre Islam sei – viele Konflikte, die derzeit im arabischen Raum zu beobachten sind, sind Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen islamischen “Konfessionen”. Die Saudis als Wahabiten vertreten einen besonders strengen, fundamentalistischen Islam. Es sind aber nicht die einzigen mit einem extrem dogmatischen Weltbild, man denke an beispielsweise die Schiiten im Iran oder die Taliban in Afghanistan.
Der arme Junge setzte drei folgenschwere Tweets ab:
Tweet Nummer 1: „An deinem Geburtstag werde ich sagen, dass ich den Revolutionär in dir liebte, der mich immer inspirierte. Aber ich mag den Heiligenschein nicht. Ich bete dich nicht an.“
Tweet Nummer 2: „An deinem Geburtstag sehe ich dich, wohin immer ich mich wende. Ich werde sagen, dass ich Dinge an dir liebte, Dinge hasste und viele andere Dinge nicht verstand.“
Tweet Nummer 3: „An deinem Geburtstag werde ich mich nicht vor dir verbeugen, nicht deine Hand küssen. Ich werde sie schütteln wie ein Ebenbürtiger und dich so anlächeln wie du mich anlächelst. Und ich werde mit dir nur so sprechen wie mit einem Freund…Mehr nicht.“
Das klingt eigentlich gar nicht so schlimm. Im Gegenteil, das ist mir schon viel zu unterwürfig. Viel zu religiös: Da ist ein Gläubiger, der berechtigte Zweifel hat. Und in seinem Zweifel spricht er den Mensch an, den der Prophet schließlich auch war. Und als Mensch ist er dem anderen Mensch ebenbürtig.
Wer auch nur eine Ahnung von dem hat, worum es in der immer wieder glorifizierten – aber selten verstandenen und noch viel weniger verinnerlichten – Erklärung der Menschenrechte eigentlich geht, der muss das einfach in Ordnung finden: Jeder Mensch ist ein Mensch. Und damit berechtigt, das Wort zu ergreifen. Und das tut dieser Hamza. Er sagt dem Propheten, was er gut an ihm findet, und was weniger gut. Aber die religiösen Fanatiker, von denen es viel zu viele auf der Welt gibt, sehen darin eine Beleidigung des Propheten und damit eine Beleidigung der Religion, also letztlich eine Beleidigung von Gott – um Gottes Willen!
Was muss das für ein erbärmlicher Prophet, für eine erbärmliche Religion und ein erbärmlicher Gott sein, wenn man ihn schon beleidigen kann, in dem ein Mensch seinen Propheten als Freund und Ebenbürtiger anspricht!
Binnen Minuten, heißt es in dem Bericht, bracht ein Sturm der Empörung los. Zehntausende Tweets beschäftigen sich mit dem Ärmsten, es wurden Morddrohungen ausgestoßen und Kopfgeld ausgesetzt. Tausende Fans strömen in die Facebook-Gruppe „Das saudische Volk will die Bestrafung von Hamza Kashgari“. Das sieht man mal, dass nicht alle Nutzer von Web-Zwo-Null auch mental und intellektuell auf der Höhe der Zeit sind, nur weil sie technisch in der Lage sind, dieses ganze Zeug zu bedienen. Jedes Medium ist nur so gut wie die Leute die es benutzen.
Nur weil ich eine Kurznachricht tippen kann, heißt das doch nicht, dass ich auf der Höhe der Zeit bin. Erika Steinbach (mir verdorren die Finger, die diesen Namen tippten) hat das kürzlich eindrucksvoll bewiesen. Es ist ja nicht so, dass es hierzulande keine Dogmatiker geben würde. Die Welt wird nicht besser, freier, demokratischer oder was man da noch an Phrasen bemühen will, nur weil es das Internet und Soziale Netzwerke gibt. Im Gegenteil – es wird viel einfacher, den primitivsten Instinkten nachzugeben, weil man nur auf den Kopf-ab-Button klicken muss.