Scheinheiliges Arschloch

Ich stehe auf der Dachterrasse und lasse meinen Blick über das angrenzende Naturschutzgebiet schweifen.
Der Tag neigt sich langsam dem Ende zu, in etwas weniger als einer Stunde wird die Sonne am Horizont verschwunden sein.
Die Landschaft ist in ein sanftes, warmes Licht gehüllt, in der Ferne glitzert der See.
Trotz leichter Nordwest-Brise zeigt das Thermometer noch immer angenehme 21 Grad an, ein perfekter Aprilabend.
Meine Gedanken kreisen... wie die Bussarde am Abendhimmel.
Majestätisch gleiten sie durch die Luft, bewegen sich grazil und lautlos.
Die Natur hat hier wirklich einen vollkommenen Jäger geschaffen,
im Gegensatz zum modernen Menschen des 21. Jahrhunderts.
[Der vegetarische und vegane Lebensstil liegt mächtig im Trend,
sammeln und pflücken, statt jagen und fischen.
Hier und anderswo werden neue, gesunde und alternative Ernährungsweisen angeboten, gelebt und zelebriert.
Neue Food Stores, Restaurants und Kochkurse werden lauthals propagiert
und mit viel Marketingbudget an den modernen Mann und die moderne Frau gebracht.
]
Erstaunlich, wie farbgewaltig der Frühling ist.
Nach den langen und kalten Wintermonaten hat man das beinahe vergessen.
Die graue Einöde und nackte Landschaft ist zarten Knospen und bunten Blumen gewichen.
Das Leben beginnt von vorne,... noch zaghaft, leise, beinahe unbemerkt.
[Elektro- und Hybridfahrzeuge liegen auch mächtig im Trend,...
der Tod auf Rädern nähert sich heute beinahe lautlos.
Hier und anderswo steigen die Zulassungen und erfreuen Käufer, Verkäufer und den Staat.
Neue Hersteller, Modelle und Showrooms schiessen wie Pilze aus dem Boden und mischen den Automobilmarkt mächtig auf.
]
Mein Laufrevier präsentiert sich in der Abendsonne von seiner schönsten Seite,
ein Mix aus blühenden Wiesen, unbefestigten Feldwegen und fliessenden Gewässern.
Ein idealer Lebens- und Rückzugsort für seltene Vögel, bedrohte Amphibien, Füchse und Rotwild,
ein kleines Paradies voller Leben und Artenreichtum.
[Aktuelle Statistiken zeigen ein düsteres Bild, die weltweite Armut steigt von Jahr zu Jahr.
Hier und anderswo leben immer mehr Menschen am oder unter dem Existenzminimum.
Querbeet, durch alle Strukturen und Altersgruppen,
vom Rentner in Westeuropa bis hin zum Teepflücker in Sri Lanka.
]
Zwei Häuser weiter reisst mich der Nachbar aus meiner Gedankenwelt.
Ein Mittvierziger, Familienvater, überzeugter Vegetarier und stolzer i3-Besitzer.
Pfeifend trägt er eine grosse Schüssel Gemüse und Früchte in den Garten,
entsorgt alles in einer grünen Biotonne und winkt mir nach getaner Arbeit lächelnd zu.
[Was für ein scheinheiliges Arschloch, hat wohl noch nie was von Foodwaste gehört.]
Ich winke nicht zurück,
ich schüttle den Kopf und wende mich ab!

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