Titel: Schamlos
Autorinnen: Amina Bile, Nancy Herz, Sofia Srour
Übersetzerin: Maike Dörries
Illustratorin: Ezra Røise
Format: Hardcover
Preis: 15,00 €
Seitenzahl: 168 Seiten
Verlag: Gabriel Verlag / Thienemann Esslinger
ISBN: 978-3-522-30521-1
Bewertung: 5 Sterne
Rezensionsexemplar
Inhalt
Amina Bile, Sofia Srour und Nancy Herz sind norwegische Muslimas, Bloggerinnen und Feministinnen. Hin- und hergerissen zwischen den Erwartungen ihrer Familien und ihrem Leben in einem westlichen Land versuchen sie irgendwie ihren Platz zu finden. Die drei schreiben über negative soziale Kontrolle, teilen ihre Geschichten und die Geschichten von anderen jungen Muslimas, die Ähnliches erlebt haben. Sie versuchen einen Mittelweg zu finden zwischen ihrer persönlichen Freiheit und der Kultur ihrer Familien, die sie alle drei nicht verraten wollen. Doch eines steht im Zentrum des Buches: sie alle wollen frei und selbstbestimmt leben.
Als die Agentur Mainwunder „Schamlos“ das erste Mal gepostet hat war klar, dass ich bei dieser Aktion unbedingt dabei sein möchte. Nicht nur das Cover und die Aufmachung allgemein haben mich angesprochen, sondern vor allem der Inhalt. Drei Muslimas die erzählen wie es ist in einer westlichen Welt aufzuwachsen und dennoch an die Kultur der Familie gebunden zu sein. Sie berichten darüber wie negative soziale Kontrolle über sie als Frauen ausgeübt wird, wie schwer es ist sich davon frei zu machen und wie sie sich dem täglichen Kampf stellen.
Während des Lesens habe ich mir viele Gedanken gemacht. Darüber, dass ich als weiße Frau, die in einem christlichen Umfeld aufgewachsen ist, so viele Freiheiten genieße, die ich als selbstverständlich angenommen habe. Ich habe nie viel darüber nachgedacht, dass ich nur wenige Einschränkungen hatte. Ich durfte mit 16 bis null Uhr weg bleiben, ich durfte mit meinen Freundinnen ins Kino gehen, habe immer Bikinis getragen und hatte Dates mit Jungs. Die drei Autorinnen beschreiben ein ganz anderes Leben. Dates waren quasi komplett Tabu, Schwimmunterricht praktisch untersagt und ausgehen kaum möglich. Sie wurden nicht gezwungen irgendetwas zu tun oder nicht zu tun, doch sie hatten nicht all die Freiheiten, die ich für selbstverständlich hielt.
Den Drang, frei und selbstbestimmt zu sein, kam bei allen im Teenager-Alter und so haben sie sich immer und immer wieder dafür eingesetzt, dass die negative soziale Kontrolle zum Thema wird. Die Welt soll endlich die Augen auf machen und sich klar werden, was mit den Mädchen „getrieben“ wird. Es betrifft in diesem Beispiel vor allem Muslimas, da alle drei Autorinnen dieser Religion angehören bzw. angehört haben. Sie wurden in diese Kultur hineingeboren und haben sich mit den Gepflogenheiten abgefunden. Doch das sollte nicht so sein. Die Scham, die ihnen als junge Mädchen und auch als erwachsene Frauen eingetrichtert wurde, sollte nicht gang und gebe sein. Niemand sollte sich dafür schämen einem Geschlecht anzugehören. Jeder sollte die Freiheit haben sich so zu entwickeln und zu entfalten wie man es gerne möchte und nicht wie jemand anders es gerne hätte.
Auf eine ganz wunderbare Weise haben die drei Autorinnen jungen Frauen eine Stimme gegeben, die selbst noch zu viel Angst haben aufzustehen und dagegen anzukämpfen. Das Buch ist immer wieder in einer Art Dialog dargestellt, in dem die drei Frauen über ein bestimmtes Thema sprechen. Sei es Hidschab, einen Freund haben, Jungfräulichkeit, psychische Erkrankungen und Scham. Sie stellen ihre eigenen Erfahrungen vor und bringen ab und an Geschichten von jungen Frauen mit ein, die ihnen erzählt wurden. Es ist erschreckend gewesen, was manchen jungen Mädchen angetan wird. Nicht körperlich, sondern seelisch. Wie sehr ihnen ein schlechtes Gewissen eingeredet wird, wie sehr ihre Schuld an irgendetwas direkt auf die gesamte Familie übertragen wird. Die „Unversehrtheit“, die „Reinheit“ einer jungen Frau ist wichtig für die ganze Familie, um die Ehre aufrecht zu erhalten. Sollte die Reinheit eines Mädchens nicht mehr gewährleistet sein hat sie nicht nur Schande über sich selbst gebracht, sondern auch über die Familie.
Nach einer solchen Erzählung von einem jungen Mädchen ist mir das Herz gebrochen. Ich konnte es nicht fassen. Natürlich geschieht das nicht in allen Familien. Doch es reicht, dass es in einer einzigen Familie so passiert ist. Kein Mädchen, keine Frau, sollte sich eine solche Schuld aufladen.
Wir sollten nicht als „rein“ gelten und unser „Wert“ sollte nicht an einem intakten Jungfernhäutchen (das eigentlich gar kein Häutchen, sondern eine Schleimhautfalte ist und anhand derer kein Arzt erkennen kann wer noch Jungfrau ist und wer nicht) gemessen werden. Niemand soll für uns entscheiden, wann wir bereit sind unsere Sexualität zu erforschen. Niemand soll uns sagen, dass es etwas schändliches ist, wenn wir uns mit Sex auseinander setzen, bevor wir verheiratet sind. Es geht darum selbst zu entscheiden. Eine Wahl zu haben. Ohne jemanden, der mit erhobenem Zeigefinger über uns schwebt.
Doch es geht nicht nur um Selbstbestimmung, sondern auch um Gleichberechtigung. In der Kultur, in der die drei Autorinnen aufgewachsen sind, gibt es so gravierende Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen. Die Jungs dürfen ausgehen, Freundinnen haben und überhaupt genießen sie viel mehr Freiheiten. Mädchen sollen sittsam zu Hause bleiben, ihren Körper verhüllen und versuchen die „Triebe der Männer“ nicht anzustacheln. Dass das alles nicht gerecht ist, bringen die drei Frauen in „Schamlos“ auf den Punkt. Allerdings rufen sie nicht dazu auf Männern und Jungs Hass entgegen zu bringen, sondern gemeinsam den Kampf gegen negative soziale Kontrolle anzugehen. Wir müssen zusammen aufstehen. Es soll um Gleichberechtigung gehen. Egal ob Mann, Frau, Transgender oder Non-Binary. Wir sind alle gleich und sollten alle für die gleichen Rechte kämpfen.
Fazit
Dieses Buch öffnet Augen und macht Mut. Es zeigt, dass es in der scheinbar so aufgeklärten westlichen Welt noch so vieles zu tun gibt. Es öffnet Augen für Ungerechtigkeiten und zeigt, dass man kämpfen muss. Dass man den Mut haben muss aufzustehen und zu kämpfen. Für Frauen, für Rechte, für Gleichberechtigung. Frauen sollen frei sein können das zu tun was sie wollen, das tragen zu können was sie wollen, sich zu schminken oder nicht, sich hinzusetzen wie sie wollen und freie Entscheidungen treffen zu können. Niemand hat das Recht sich einzumischen und dieses Buch soll zeigen, dass wir Frauen, gemeinsam mit den Männern, dafür kämpfen sollten Selbstbestimmter zu werden. Ich kann dieses Buch wirklich jedem empfehlen! Schaut es euch an und werdet schamlos!