Inmitten der Schorfheide, Europas größtem Wald, liegt der glasklare Werbellinsee: Austragungsort des alljährlichen Safadi Werbellinsee Triathlons. Mehr als 1.000 Athleten nahmen am zweiten Augustwochenende die Herausforderung der unterschiedlichen Strecken, vom Kinder- über der Volkstriathlon bis hin zur Olympischen und Mitteldistanz an. Ich mitten unter ihnen und eine der Letzten, die ins Ziel kam.
Wenn etwas weniger optimal beginnt, bin ich die Letzte, die an etwas Übles denkt. Aber ungünstiger hätte ein Triathlonwochenende nun wirklich nicht anfangen können. Ich quälte mich seit Wochen mit einem kleinen Fußproblem herum und meine Bronchien hielten von Sport momentan absolut gar nichts. Das tatsächliche Kräftemessen begann aber am Samstagnachmittag mit dem Navi und der Streckenführung des Organisators, die einen von der Autobahn wahlweise zum Werbellinsee oder weg davon schickte. Auf der Internetseite war zwar eine Adresse angegeben, die stimmte allerdings irgendwie nicht mit der Unterlagenausgabe, wo man bevorzugt am späten Nachmittag seinen Startbeutel abholen sollte, überein. Weder Navi, noch Navi im Handy waren eine tatsächliche Hilfe. Noch dazu auf EDGE. Aber auch das wieder einmal eine Geschichte für sich.
Die Europäische Jugenderholungs- und Begegnungsstätte (EJB) war Austragungsort des Safadi Werbellinsee Triathlons und lag an einer Landstraße, die weiträumig abgesperrt war. Mutig folgte ich irgendwann einem Reisebus, der sich bis zum komplett überfüllten Parkplatz der EJB seinen Weg bahnte. Zielstrebig machte ich mich zur Nachmeldung auf und erhielt mein Beutelchen. Nun konnte der angenehme Teil des Tages beginnen – den Kindern und Teilnehmern des Volkstriathlons zuschauen. Leider sorgte ein gehöriges Unwetter am frühen Abend dafür, dass ‘der für’s Volks’ verspätet und im Sturm begann. Zähneklappernd wartete ich den peitschenden Regen ab, schaute den eisernen Triathleten zu, die auch beim Radfahren und Laufen nicht trocken geworden sind.
Als ich mich wieder auf meinen Heimweg machen wollte, die nächste Überraschung – man kam natürlich nicht mehr vom Parkplatz, bis schlussendlich der allerletzte Triathlet von der Rad- auf die Laufstrecke gewechselt war. Entsprechend spät und aufgebracht hieß es Nachtruhe, aber auch da mochte ich nur an das Gute glauben. Schließlich sollte das mein letzter längerer Triathlon der Saison sein. Das kann einfach nur gut werden!
Am Morgen das gleiche Bild – Schilder, die zur abgesperrten Straße führten, Autos, die die Absperrung hinter sich ließen. Dafür ein leerer Parkplatz, also ganz entspannt das Rad zusammenschrauben und gemächlich mit all den anderen Triathleten zum Wechselgarten gehen. Moment, vorher noch die Startnummer mit extra breitem Edding auf den Oberarm malen lassen. Schwarz, Blau, Schwarz, okay ich nehme Blau. Endlich darf auch ich mal meine Startnummer auf dem Oberarm tragen. Dafür gab es keine Rundenbändchen beim Laufen. Da hatte sich aufgrund der zahlreichen Teilnehmer auch relativ spontan etwas an der Strecke verändert, was Bändchensammeln überflüssig werden ließ. Nunja. Ich bin immer noch positiv eingestellt!
Die Wechselzone war schnell hergerichtet. Mein vierter Triathlon dieses Jahr war geprägt von leichter Routine. Siehe da, so einige hatten ihren eigenen Mini-Pool zum Füßewaschen mit. Wald-und-Wiesen-Triathlon-Teilnehmer. Leider war ich vermutlich eine der ganz wenigen Starterinnen, die zwar auch ein Waschbecken mithatte, aber nicht wusste, was folgen würde.
Wie immer beginnt alles mit dem Schwimmen. Eine Sportart, mit der ich in diesem Jahr so richtig meinen Frieden geschlossen habe. Ich bin nicht super gut, nicht super schnell, aber fühle mich wohl, auch mal längere Distanzen mit oder ohne Neoprenanzug zurückzulegen.
Das, was sich bereits am Vortag angekündigt hat, wurde kurz vor Start traurige Gewissheit. Neoprenverbot. Das, was ich immer allen predige, traf nun das erste Mal seit Jahren wieder einmal auf mich zu. Man braucht keinen Neopren, um einen Triathlon zu absolvieren. Traurige Gesichter überall wo man hinschaute. Natürlich hatte jeder einen in der Tasche oder in der Wechselbox. Der Glaube versetzt ja bekanntlich Berge. Hier bleibt er aber, wo er ist.
Ich fühlte mich, wie das kleine Mädchen, dem man die roten Lieblingsschwimmflügel weggenommen hat. Aber auch jetzt. Kein Zeichen des Grübelns. Das wird ein guter Tag. Schließlich hatte ich meine Hausaufgaben gemacht. Mit dem tropischen Wetter der letzten Wochen war es fast klar, dass sich die Gewässer um und in Berlin auf Badewannenwassertemperatur erwärmen würden. Also erhöhtes Stabilisationstraining, Yoga für eine Starke Mitte, Rückenübungen, um den Körper wie ein Brett durch das Wasser ziehen zu können.
Als es um kurz vor halb neun Richtung Start geht, pfeift der kalte Wind über den See. Ich trage meine Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 50 auf. Ich habe ein sonniges Gemüt. Der Himmel strahlt wie das Wasser türkisblau.
Ich wollte einfach nur noch in den See. Einschwimmen? Lieber nicht. Denn das würde heißen, wieder raus aus dem Wasser und wer weiß wie lang am Strand stehen. Wieder etwas, was ich schon sehr lang nicht mehr gemacht habe.
Die Badekappen sind übrigens die besten, die ich bis jetzt tragen durfte. Nicht so labbrige Dinger wie anderswo. Plötzlich Countdown. Startschuss. Etwas mehr als ein Dutzend Starterinnen rennen zusammen mit den Männern los.
Zwei Runden zu je 900m plus Start und Zielbereich ergeben irgendwann 1,9km. Ich laufe lieber länger, als schon im knietiefen Wasser loszuschwimmen. Es geht raus auf die offene See. Die leichte Wasserbewegung, die vom Land aus kaum wahrnehmbar war, offenbarte sich mit ausgewachsenen Wellen. Bis zur ersten gelben Boje scheint endlos viel Zeit zu vergehen. Ich habe selten so viele Männer brustschwimmen sehen.
Ich bin ja schon viel Freiwasser geschwommen. Natürlich im Sommer – in der Nordsee, Ostsee, in Berliner und Brandenburger Seen und Flüssen, im Mittelmeer, im Atlantik, Pazifik… Diese Wellen im Werbellinsee brauchten sich nicht zu verstecken. Ich kam mir wie eine in Seenot geratene Robbe vor, die mit wedelnden Händen und Füßen versuchte, irgendwie dahin zu kommen, wo sie hin musste.
Ich hoffe schnaufend, dass mich die Retter so nicht sehen. Sie hätten mich sicher aus dem Rennen genommen, weil ich aussah, als würde ich um Hilfe wedeln. Dennoch zielstrebig mit dem ersten Anzeichen von Asthma versuchte ich mir meinen Weg zu bahnen. Links, rechte, vor, zurück. Unter Wasser, halb über Wasser. Ich kann jetzt schlecht behaupten, dass sich tausende Schwimmer um mich herum im Wasser tummelten, aber dennoch schien das Schwimmen dieses Mal irgendwie zäh. Es gab kein Entkommen. Die Gruppe der Schwimmer entzerrte sich nur vorn. Am hinteren Ende elendes Gewusel, das fast bis zum Schluss anhielt. Irgendwie rinnt die Zeit wie das Wasser durch die Finger. Vor allem, wenn einem die Wellen wahlweise entgegen schwappen und man selbst beim Brustschwimmen immer wieder Wasser schluckt. Oder, wenn die Wellen über den Kopf rollen und das Wasser über die Seite in den Mund läuft. Meine Lust auf die ganze Aktion war plötzlich wirklich ziemlich begrenzt. Erste Gedanken ans Aufgeben kommen auf.
Ich bekomme es fertig, innerhalb der ersten Meter Seekrank zu werden und leiste schätzungsweise 1,5km wirklich harte Überzeugungsarbeit, dass ich auch brav mein Frühstück bei mir behalte. Nein, nicht witzig. Ich kann selbst auf Surfboards und beim Schnorcheln bei seichter Wasserbewegung richtig bleich werden.
Nur das kurze Stück Richtung Ufer läuft einigermaßen geschmeidig und ich bin wirklich froh, als endlich der Steg mit den Zuschauern verschwommen vor mir auftaucht. Ich schwimme so weit es geht an den Strand heran. Ich höre etwas von 42 Minuten Schwimmzeit. Sensation. Schneller als in der aufreibenden Spree beim 70.3 Ironman. Das ohne Neoprenanzug bei starken Wellen und Asthma.
Die ersten Schritte im Wasser fallen mir schwer, aber mein Bauch liebt das aufrechte Stehen. Alles wieder gut. Also ab, ab! Schnell die Beine in die Hände, die Wiese entlang zwischen den Strandhäuschen bis zum Fußballplatz. Wo war noch gleich mein Rad? Auf der anderen Seite des Fußballplatzes?! Was bin ich froh, keinen Neo an zu haben! Die Teilnehmer der Olympischen Distanz klatschen uns tropfnassen Läufern zu.
Wie ich meinen schlechtesten Halbmarathon aller Zeiten gelaufen bin, lest ihr in Teil II.