Rührende Geschichten aus Griechenland?

Bei SPIEGEL Online (wg. Leistungsschutzrecht nicht verlinkt) las ich gestern eine kurze Geschichte über ein zehnjähriges Mädchen, dass seinen Eltern einen Brief und 55 € aufs Bett gelegt hat. Im Brief stand:

Ich gebe Euch das Geld, weil die Situation nicht so einfach oder gut und erfreulich ist Menschen in Schlangen stundenlang vor Geldautomaten stehen zu sehen, um 60 € abzuheben. Falls Ihr sie braucht, ich habe auch noch Münzen.

Die Geschichte stand so oder so ähnlich auch in anderen Medien. Insgesamt subsumiert unter »rührende Szene« zu denen es dieser Tage in Griechenland auch komme. Und ja, man kann das so sehen — das süße, kleine, naive Mädchen will mit seinem Taschengeld helfen. Man möchte fast in ein »Oooooh, so süß« verfallen.

Man kann aber auch finden, dass es dieser Tage zu verdammt viel Zynismus in deutschen Journalistenstuben kommt. Und dass man hierzulande wenig bis keine Empathie für die Lage der Menschen in Griechenland zu haben scheint.

Traurig aber wahr — man muss dieser Tage gar darauf hinweisen, dass die Leidtragenden der rigorosen »die Roten Socken von Syriza müssen weg«-Position von Merkel-Schulz-Schäuble-Gabriel-Junker am Ende Menschen sind! Es scheint in Vergessenheit zu geraten.

Man scheint unfähig, sich die Situation vorzustellen. Gar vielleicht sich und seine Geliebten in eine solche Situation zu denken. Wir haben es hier ja so schön kuschelig in unserem Wirtschaftswunderland in dem bis zum letzten Jahr Stundenlöhne von 3,50 € und weniger möglich waren.

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Dabei frage ich mich, wie schlimm es in Griechenland dieser Tage wirklich ist. Wie schlimm muss es in einem entwickelten Industrieland, mitten in Europa, im Jahr 2015 zugehen, dass ein zehnjähriges Kind sich dazu genötigt sieht, seinen Eltern mit all seinem angesparten Taschengeld helfen zu wollen?

Ich stelle mir vor, ich lebte in ähnlichen Umständen. Ich, meine Frau und 25 % der arbeitsfähigen Bevölkerung arbeitslos. Seit Jahren. Ohne Aussicht auf Besserung! 50% der jungendlichen ohne Perspektive. Auswanderung. Verfall. Zukunftsangst. Die Medikamente knapp. Frauen, die ihre Babies nicht mehr im Krankenhaus bekommen können — weil sie es sich nicht leisten können. Selbstmorde. Viel mehr als früher. Menschen die sterben, weil sie die Medikamente oder den Arzt nicht mehr bezahlen können.

Und weil andere Regierungschefs in Europa den Regierungschef, den ich und mein Volk uns in einer demokratischen, freien Entscheidung gewählt haben, nicht mögen, steht mein Land vor dem Staatsbankrott. Er hat es gewagt den Neoliberalismus zu hinterfragen, der das Land aber doch in den letzten fünf Jahren vollständig kaputt gemacht hat. Und unserem Regierungschef schiebt man die Schuld für 30 Jahre Miss- und Vetternwirtschaft in die Schuhe. Dabei war er vor 30 Jahren noch ein Schulkind. Aber er steht ja links. Er ist also der Leibhaftige persönlich!

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Und jetzt kommen nur noch 60 € aus dem Automaten. Und keiner weiß, wie es weiter geht. Morgen. Übermorgen. Ich denk schon gar nicht mehr über den nächsten Monat nach. Vielleicht Staatsbankrott? Noch mehr Armut? Geht das überhaupt? Noch mehr Chaos? Der vollständige Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung? Zustände wie im Mittelalter?

Wird etwa bald die karge Rente meiner Eltern noch weiter gekürzt? Dabei haben sie das wenige, was sie noch bekommen auch noch mit uns geteilt, damit wir wenigstens etwas zu Essen haben. Verlieren wir bald auch noch das Dach über unserem Kopf? Aber wir haben doch ein Kind! Und den Mächtigen in Brüssel nichts böses getan!

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Und mein süßes, kleines Mädchen würde all das am eigenen Leib erleben. Unsere Angst. Unsere Unsicherheiten. Unsere Sorgen. Unsere Wut. Selbst wenn ich sie schützen wollte, abschirmen von all dem Schlimmen. Es ginge nicht. Sie würde es hautnah mitbekommen. Und in ihrer kindlichen Welt sich einen eigenen Reim darauf machen.

Es ist nicht rührend, wenn ein zehnjähriges Mädchen ihr ganzes gespartes Geld ihren Eltern gibt, weil sie das Gefühl hat, damit helfen zu müssen, helfen zu können. Das ist nicht rührend, sondern verdammt erschreckend! Und es ist zynisch das als eine rührende Szene der Tage in Griechenland zu bezeichnen.

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Ich wünsche diesem kleinen Mädchen, dass es noch viele Jahre Kind sein darf! Dass die fremden Mächte von außen nicht erfolgreich sind — sondern sich die Situation bei ihr zuhause bald wieder zum Besseren wendet. Dass sie nicht »morgen« über Nacht plötzlich ganz erwachsen sein muss um am Überleben der Familie mitzuarbeiten.

Das können doch keine utopischen Wünsche für ein zehnjähriges Kind im Europa des des 21. Jahrhunderts sein?! Dieser Wunsch ist doch eigentlich Teil des Versprechens von Frieden und Freiheit in einem vereinten Europa.

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