Roderich Thien: «Man kann militärisch nicht gewinnen»

Roderich Thien: «Man kann militärisch nicht gewinnen»

Herr Thien, mit ihrem Verein «Lachen Helfen» bauen Sie unter anderem Schulen in Afghanistan. Wie würden Sie die Lage in dem Land zehn Jahre nach Kriegsbeginn beschreiben?

Roderich Thien: Es wäre schön, wenn man noch mehr in humanitäre Projekte hätte investieren können. Aber es ist schon viel erreicht worden. Im Gegensatz zu 2001 und 2002, als die Taliban noch herrschten, haben wir mehr als sieben Millionen Kinder in Ausbildung gebracht, davon rund 35 Prozent Mädchen, die vorher nicht zur Schule gehen durften. Es gibt wieder 22 Universitäten im Land, 80 Radiostationen, 20 TV-Stationen.

In Deutschland allerdings werden immer wieder Stimmen laut, die den Einsatz für gescheitert erklären.

Thien: Das kann ich nicht nachvollziehen. Ich bin selbst vor zwei Jahren in Afghanistan gewesen. Die dortigen Politiker und Lehrer haben uns bestärkt, weiter für Ausbildung und Hilfe zu sorgen. Bildung ist die beste Armutsprävention auf lange Sicht. Wir können allerdings nicht erwarten, dass demokratische Strukturen hergestellt werden. Das war eine Leichtgläubigkeit vor allem der Amerikaner vor zehn Jahren. Das ist mit Waffen nicht möglich, sondern muss durch langwierige Verhandlungen, durch Aufbau von zivilen Strukturen, durch Infrastruktur geleistet werden. Das kann man nicht in so kurzer Zeit schaffen, wie es einige vermutet und gehofft hatten.

Bis Ende des Jahres 2014 will die Nato ihre Kampftruppen abgezogen haben. Wird es bis dahin Sicherheit in dem Land geben?

Thien: Die allgemeine Einschätzung, dass man einen solchen Konflikt militärisch nicht gewinnen kann, das liegt auf der Hand. Man muss einen langen Atem haben, politisch agieren, weiter die humanitäre Unterstützung fördern. Auch die Amerikaner haben begonnen, Gespräche und Verhandlungen zu führen. Wenn es so ist, dass man mit gemäßigten Taliban ins Gespräch kommen kann, dann ist das der richtige Weg.

Die Sicherheitslage scheint noch immer angespannt.

Thien: Das Erstaunliche ist, dass im Norden, wo sich vor allem die deutschen Soldaten befinden, nur etwa sieben Prozent der einzelnen Distrikte permanent unruhig sind. In anderen Bereichen herrschen fast normale Bedingungen, wo wir Dinge, wie den Bau von Schulen, umsetzen können. Die Frage ist, ob man diese friedlich parallel laufenden Strukturen weiter ausdehnen kann.

Wie optimistisch sind Sie, dass dies gelingt?

Thien: Es muss noch weitere Anstrengungen geben. Strukturen, die über Jahrhunderte gewachsen sind, kann man nicht so einfach und schnell verändern. Auch wir in Deutschland haben 140 Jahre gebraucht, bis wir unsere Reformen der Regierung und des demokratischen Gemeinwesens geschafft haben.

Und dazu braucht es die Bundeswehr?

Thien: Es gibt kaum eine Armee auf der Welt, die eine so ausgeprägte Zivil-Militärische Zusammenarbeit hat – das heißt Soldaten, die zugleich Techniker, Architekten, Agronomen, Bauingenieure und so weiter sind und ihre Kompetenz einsetzen können. Deswegen haben wir als Hilfsverein so geringe Kosten. Wir müssen nicht zusätzlich Fachleute einfliegen und bezahlen, sondern können diesen Teil der Truppe mitnutzen.

In Deutschland gibt es immer wieder Kritik, dass die Bundeswehr im Kriegseinsatz ist und nicht nur beim Wiederaufbau hilft. Ist das eine überhaupt ohne das andere möglich?

Thien: Das ist ein überkommenes Verständnis von Soldaten. Das ist verständlich bei unserer jüngeren Geschichte. Aber in einem demokratischen Gemeinwesen haben Soldaten auch ganz andere Aufgaben, zum Beispiel des Helfens und des Unterstützens. Auch da die Soldaten immer ganz nah im Kontakt sind mit der Bevölkerung.

Sie haben unter anderem ein Waisenhaus, zwei Krankenstationen und mehrere Schulen gebaut. Sie hoffen, dass die Bundeswehr nicht als Besatzer geduldet, sondern als Partner begrüßt wird. Haben Sie Erfolg?

Thien: Nicht nur die Kinder auch die Erwachsenen winken und sind den Deutschen relativ freundlich gegenüber. Das scheint auch historisch verwurzelt. Sogar im Kaiserreich hatte Deutschland in Afghanistan keine Auswüchse gezeigt wie andere zur Zeit des Kolonialismus. Das waren rein politisch, kulturelle und bildungstechnische Maßnahmen. Wenn etwas passiert wie die Bombardierung in Kunduz, ist das ein arger Dämpfer. Aber insgesamt ist die Einstellung den deutschen Soldaten gegenüber durchaus positiv.

Sie sind selbst Oberstleutnant der Reserve und stehen in Kontakt mit Soldaten, die in Afghanistan im Einsatz waren. Viele engagieren sich auch bei Ihnen im Projekt. Was macht dieser Krieg mit den Menschen?

Thien: Soldaten, die dort im Einsatz sind, sind sehr betroffen. Es gibt viele, die sagen, für mich ist es dieser Einsatz wert, dass dort Bedingungen geschaffen werden, damit Kinder Chancen auf Bildung und Gesundheit bekommen. Das Engagement scheint zu helfen, mit den großen Problemen, die jede gewaltsame Auseinandersetzung im Krieg mit sich bringt, fertig zu werden. Es zählt, etwas zurückgeben zu können. Nicht nur zum Waffeneinsatz gezwungen zu sein, sondern auch der Bevölkerung konkret helfen zu können.

Trotzdem fehlt der Rückhalt für den Einsatz. In Umfragen sind rund zwei Drittel der Deutschen für einen sofortigen Abzug der Bundeswehr. Wie gehen die Soldaten damit um?

Thien: Es ist für sie schwierig, dass sie von Teilen der Bevölkerung nicht diesen Rückhalt haben und erfahren, dass da Widerstand ist. Aber das ist wie gesagt eine ganz natürliche Reaktion gegenüber dem, was Deutschland im vorigen Jahrhundert für Leid über die Welt gebracht hat. Da wird häufig nicht unterschieden und nicht gesehen, dass da heute ganz andere Bedingungen sind und ganz andere Ansätze und Motivationen, in den Einsatz zu gehen.

Tragen Hilfsprojekte wie Ihres dazu bei, die Akzeptanz zu erhöhen?

Thien: In den Medien wird zu wenig über die positiven Dinge berichtet. Man sollte da mit einem ausgewogenerem Blick hinschauen. Man darf nicht verdrängen, dass Krieg immer etwas Schreckliches ist. Auf der anderen Seite ist auch in solch einer Situation Hilfe möglich. Das wird noch zu wenig gewürdigt. Die Politik hätte den Afghanistan-Einsatz besser vermitteln müssen. Man muss mehr informieren und über alle Aspekte berichten, auch über die Schwierigkeiten.

Werden Sie irgendwann Ihre Zelte in Afghanistan abbrechen können?

Thien: Ja, aber das wird mit Sicherheit noch länger dauern und nicht kurzfristig machbar sein. Es wäre schlimm, wenn man halbe Sachen machen würde und weil sich die Bedingungen langsam zu ändern scheinen, das Land verlassen und dem Schicksal überlassen würde.

Roderich Thien unterrichtet an einem Essener Gymnasium. Der Oberstleutnant der Reserve ist Vorsitzender des Vereins «Lachen Helfen», über den Soldaten seit 1996 in Einsatzgebieten der Bundeswehr humanitäre Hilfe leisten und unter anderem beim Bau von Schulen, Krankenstationen und Waisenhäusern helfen.

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10 Jahre Afghanistan-Krieg – «Man kann militärisch nicht gewinnen»

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