Ringen um Sichtweisen – Die Debatte von Samye

SamyeÜber das Streitgespräch zwischen den Ansichten der Vertreter der Stufenpfade und jener, der plötzlichen Erleuchtung gibt es ja die Ansicht, dass Kamalashila den chinesischen Mönch Hashang Mahayana besiegt hat und aufgrund dessen die Praxis des Zen in Tibet nicht Fuss fassen konnte bzw. Hashang Mahayana und seine Anhänger aus Tibet vertrieben wurden. Betrachten wir nun einmal auch die historischen Quellen zu diesem Mythos.
Beginnen wir einmal mit der Darstellung von Ba Salnang – einem Abt von Samye – aus dem Sba bZhed, der die Ausgangslage wie folgt schildert. Angefangen hat alles, als ein Chinese – Hashang Mahayana – nach Dragmar kam und Meditation lehrte. Dabei sagte er, dass es nicht notwendig sei, den Dharma mit Körper oder Rede auszuführen, weil körperliche Handlungen oder sprachliche Äußerungen nicht zur Buddhaschaft führen. Seiner Lehre nach war es ausreichend, wenn jemand auf die Gedanken und geistigen Ereignisse meditiert, um Buddhaschaft zu erlangen. Nachdem dann fast die meisten Mönche Tibets seine Lehren übten, schwanden die Opfergaben ans Kloster Samye. Auch Studium, sowie körperliche und sprachliche Tugenden nahmen ab. Ein paar wenige wie Ba Ratna, Vairocana und Palyang waren noch in den Lehren der Bodhisattvas geschult. Da sie mit Hashang Mahayanas Sichtweise nicht einverstanden waren, begannen sie mit ihm zu diskutieren und eine Debatte entstand. Am Ende verlor Hashang dann das Streitgespräch und wurde zurück nach China geschickt.
Allerdings gibt es dazu eine Bandbreite von verschiedenen Berichten über diese Vorkommnisse. Dazu aus der Nyangral Geschichte: „Der König [Trisong Detsen] sagte: ‚Es gibt keine großen Gegensätze in der Bedeutung, aber weil durch die Lehren des Hashang der Fortschritt sich plötzlich ereignet, ist dies ein Pfad für jene mit hohen, reinen Geistesfähigkeiten. Jene mit mittleren oder geringeren Fähigkeiten müssen die zehn Dharma-Aktivitäten ausüben, andernfalls wird ihr Geist trübe und stumpf werden, die Ansammlungen würden nicht angesammelt werden und sie würde mit anderen Übungen des Geistes aufhören, was bewirken würde, dass der Dharma abnimmt. Man sollte damit [dem Chan] aufhören und [auf den Stufenpfad] meditieren.
‚Da sich deine Sicht mit der Sicht des Nagarjuna spießt, mach die sechs Vollkommenheiten zu deiner Lebensführung und praktiziere die zehn Dharma-Aktivitäten, sowie deine Meditation, übe den Geist in den drei Weisheiten und meditiere, während du Methode und Weisheit vereinst. Weil aber Tibet ein rückständiges Nest ist, ignorant und gewöhnlich und der Dharma schwierig zu realsieren und tiefgründig ist, sollten meine tibetischen Untertanen, Fürsten und Minister, die den Dharma praktizieren möchten, dem folgen, was von den indischen Gelehrten, die vom König und den gelehrten Übersetzern nach [Tibet] eingeladen worden sind, dargelegt worden ist.’ Das verfügte der König und es wurde in ganz Tibet verkündet. Die Schriften der Schule der plötzlichen Befreiung wurden gesammelt und als Schätze in Samye verborgen.
Dann errichtete der chinesische Abt Hashang Mahayana in Miyo Samtenling einen Tempel und der König brachte viele Opfergaben dar. Hashang war erfreut darüber und sprach: ‚Nun werde ich nach Indien gehen.’ Und er ging nach Bodhgaya. Einige sagten aber, dass der Abt enttäuscht gewesen sei und in sein eigenes Land zurückkehrte, einen einzigen Schuh zurückließ und seinen Schülern prophezeite: ‚In Zukunft werden meine Lehren nicht mehr sein als ein Schuh.’ Andere wiederum sagten, dass er seinen Kopf als Butterlampe entzündete und in Richtung Westen ins reine Land Shukhavati einging. Viele Berichte haben sich dazu verbreitet, aber sie sind nicht zutreffend.“
Andere Berichte über die Tradition des chinesischen Chan, die von der Mehrheit der religiösen Überlieferung Tibets erfolgten waren oftmals bedeutungsleere Erklärungen. „Da man in den Lehren des chinesischen Lehrers keine Dharma-Aktivitäten ausführen musste, wurden sie tomin (kein Lehrer) genannt. Weil wegen dem Weisen Kshantivadin, der seinen Körper als eine Opfergabe entzündete der König dachte, es sei wichtig, die Ansammlungen für die fühlenden Wesen anzusammeln, wurde gesagt: ‚Die Liebe, die deinen Körper entzündet, ist das Dharma?’ Daher wurde es tsemin (nicht Liebe) genannt.“
Im Grunde bezieht sich tomin (sTon min) auf den Gebrauch des chinesischen Begriffs dunmen, was wiederum auf jene mit den höchsten Geisteskräften Bezug nimmt. Tsemin (rTsen min) ist das Chinesische jiamen und bezieht sich auf die Lehren für jene mit mittleren und geringen Erkenntnisfähigkeiten.
Wie man sieht, entstand die Debatte in Samye weniger wegen der Sichtweise, sondern weil die Opfergaben nach Samye und Lhasa nach und nach abnahmen und dies die Erlässe der früheren Könige störte. Die Lehren des chinesischen Chan erfreuten sich in Tibet zu dieser Zeit einer großen Beliebtheit. Aber eigentlich war die Debatte in Samye ein Streitgespräch zwischen den nördlichen und südlichen Schulen des chinesischen Chan. Die Sichtweise des Chan wurde in China vom 29. Linienhalter Buddhas – Bodhidharma – verbreitet. Von Bodhidharma, der als der 1. Patriarch des chinesischen Chan betrachtet wird, bis zum 6. Patriarchen des Chan – Huineng – stützte man sich vornehmlich auf das Lankavatara Sutra und seine Lehrinhalte, die die Lehre vom Stufenpfad enthält, wurde jenen mit mittleren oder geringen Erkenntnisfähigkeiten gelehrt. Vom 6. Patriarchen an stützten sich die Lehrinhalte auf das Vajracchedika Prajnaparamita Sutra – das Diamant-Sutra. Dieses orientiert sich vornehmlich an jenen mit den höchsten Fähigkeiten. Dies führte schließlich auch in der chinesischen Tradition zu einer Debatte, die man in den Lehrgedichten von Shenxiu und Huineng abgebildet sieht.
Shenxiu sagte: „Dieser Leib ist der Bodhi-Baum; der Geist ist ein leuchtender Spiegel. Um dessen Antlitz frei von Staub zu halten, poliere ihn immer wieder und wieder.“ Daraufhin erwiderte Huineng, dass Shenxiu die Natur des Geistes nicht realisiert habe und ließ seinen Gesang der Erleuchtung niederschreiben (Huineng war des Schreibens unkundig). „Bodhi ist überhaupt kein Baum. Da gibt es keinen klaren Spiegel. Der Grund des Geistes ist kein Ding. Worauf sollte sich also Staub legen?“
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Debatte von Samye ein Streitgespräch zwischen den Schulen der nördlichen und der südlichen Tradition war, die eigentlich durch das Ausbleiben von Opfergaben politische Bedeutung erlangte. Nur ein paar wenige Texte der Tradition des chinesischen Chan wurden in tibetischer Übersetzung im Archiv von Dunhuang gefunden, obwohl der Kanon des chinesischen Chan ein paar hundert Bände umfasst.

Soweit die Erkenntnisse des gegenwärtigen Drikung Kyabgön Chetsang zur Geschichte Tibets unter der Pugyal-Dynastie und im Speziellen zur Debatte von Samye. Andere Gelehrte meinen, dass die Debatte in Samye in dieser Form nie stattgefunden hat, sondern ein Briefwechsel zwischen Kamalashila und Hashang war. Jedenfalls kann man gespannt sein, was weitere Forschungen in den Dharma-Archiven zu Tage bringen.


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