Wo die Politik hemmungslos versagt, muss es jemand anders regeln! So denken auch die Richter Spaniens aktuell und versuchen eine gemeinsame Strategie zu finden, um weitere Zwangsräumungen auszubremsen. Vorrangig im Internet diskutieren sie sich die Köpfe heiss und nehmen das jüngste EU-Urteil als Basis der Aktion. Wichtig ist, dass ein abgestimmtes Modell dabei herauskommt, damit sich zukünftige Gerichtsurteile nicht widersprechen. Die Initiative der Richter ist ein weiterer wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
In den professionellen Foren der spanischen Jurisprudenz kursiert ein Muster-Urteil, das von Richter Guillem Soler (Juzgado de Primera Instancia número 1 de Barcelona) stammt. Viele seiner Kollegen sehen genau dieses Urteil vom 9. April als perfekte Blaupause an, um diejenigen Verfahren zu stoppen, die aktuell viele Menschen mit der Zwangsräumung bedrohen.
“Es braucht jetzt dringend so ein Instrument”, erklärt ein Richter aus Madrid, “wir befinden uns nach dem EU-Urteil in einem legalen Vakuum und einem Zustand juristischer Unsicherheit. Die Regierung ist jetzt verpflichtet, das Gesetz zu ändern. Aber bis das passiert, können und wollen wir nicht warten.” – Vor allem die unverschämt hohen Verzugszinsen bei den Hypothekenzahlungen will man attackieren. Deswegen diskutieren die Richter im Netz, ab welchem Wucher-Zinssatz man die Verträge für illegal erklären soll. Man will eine entsprechende Empfehlung an alle Kollegen schicken, um sich widersprechende Urteile zu vermeiden.
Die ersten Fortschritte sind bereits erreicht. Die Richter haben es ermöglicht, dass die Hypothekenzeichner vor Gericht ihr Interesse vertreten können: Sie bekommen jetzt eine schriftliche Information ausgehändigt, die ihnen erklärt, wie sie aufgrund des EU-Urteils gegen widerrechtliche Klauseln vorgehen können. Bei den Prozessen, die bereits kurz vor der Zwangsräumung stehen, räumen die Richter dem Schuldner eine Extra-Frist von zehn Tagen ein, damit sie diese Klauseln in ihren Verträgen identifizieren und in das Verfahren einbringen können.
Ausserdem werden in den Internetforen alle Richter dazu angehalten, dem Beispiel einiger weniger Kollegen zu folgen, die das bereits seit Juni praktizieren: Sie handeln selbstständig und stellen selbst die Existenz solcher widerrechtlicher Klauseln fest, auch wenn der Schuldner das im Prozess nicht einmal bemängelt. Das ist im spanischen Gesetz so nicht vorgesehen, ist aber unanfechtbar, wenn ein Richter es so entscheidet und die Initiative ergreift.
“Das konnte so nicht weitergehen”, schüttelt ein Richter von Mallorca den Kopf, “ganz Spanien hat darauf gewartet, dass sich die EU zur nationalen Rechtslage äussert. Die neuen Kriterien werden bereits angewendet. Wenn wir feststellen, dass es widerrechtliche Zinssätze gibt, verschwinden die Verzugszinsen komplett, sie werden auf Null gesetzt. Das ist auch in Ordnung so, denn der spanische Gesetzgeber hat seinen Job nicht gemacht! Wir suchen improvisierte Lösungen bis das neue Gesetz kommt.” – Dass er kein bisschen Vertrauen in dieses neue Gesetz hat, das in Arbeit sein soll, will er keinesfalls gedruckt sehen, wenn sein Name genannt wird – also bleibt der Name weg, der Satz nicht.
In Bilbao haben die Richter bereits im vergangenen November begonnen, die Zwangsräumungsprozesse “unter den Stapel” zu legen, als die Madrider Regierung ein Dekret eiliger Massnahmen ankündigte. – “Seitdem haben wir praktisch keiner Räumung von Erstwohnungen mehr zugestimmt”, erklärt der Dekan Alfonso González-Guija, “aber ich spüre Verwirrung um mich herum, was soll man genau tun? Daher die absolute Notwendigkeit zur Koordination.”
Die Diskussion im Netz ist intensiv und leidenschaftlich. Viele Richter wollen das Luxemburger Urteil unbedingt dazu benutzen, alle Zwangsräumungen jetzt sofort auszubremsen, während einige “Traditionalisten” dafür plädieren, die bisherigen Gesetze anzuwenden, bis Rajoys konservative Regierung einen neuen Gesetzestext präsentiert. – “Es ist alles in Ordnung so”, meint der Richter aus Madrid, “die Gespräche sind sehr interessant und engagiert. Es gibt jetzt intensive Kommunikation unter den Richtern, die das Problem erkannt haben. Das kann nur richtig sein!”
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