Improvisierte Kunst
„Es gibt drrei Sorten von Menschen, das sag i dia jetz ma ganz äansthaft, ne. Es gibt die Macha und die äh…Also die Macher, das sin die, die wiaklich was anpacken, die Sachen von sich aus machen, selbst in die Hand nehmän, verstehst du?“ „Ah, ok“, versuche ich, mit moderaten Zustimmungen den Enthusiasmus des Erzählens nicht zu unterbrechen. In voller Erwartung auf ein interessantes Gespräch an diesem Abend höre ich gespannt zu und freue mich auf eine bierselige, auf drei Sätze herunter gebrochene Welterklärungsformel.
Doch es blieb keine Zeit. Kurz zuvor fuhr ich als selbst ernannter „Dubstep-Botschafter“ in die bayrische Provinz, um eine überdimensionierte WG-Party mit Subbässen zu beschallen. Die Stadt ist eine unwirklich scheinende Enklave, in der die Häuser alle so perfekt und sauber aussehen wie in einer Filmkulisse und wo es mehr Kirchen als Einwohner gibt. Soviel zum Tageseindruck.
Im Keller des nur von Studenten bewohnten Hauses löste ich am späten Samstagabend den House-DJ mit „Gloop“ von Zomby ab, kurz bevor der kleine, quadratische Raum komplett menschenleer wurde. Analog zur Leere, die Dubstep seine Anziehungskraft verleihen, weil reduzierteste Elemente eine größtmögliche Wirkung entfalten. Dusbtep bezieht doch gerade sein innovatives Moment aus der Ästhetik des Stets-etwas-Verbergens. Eine Art musikalische Opposition gegen das Überpräsente, das Marktschreierische in den Melodien und Performances des Mainstreams.
Aber nein, die Leere des Raumes ist nicht das Schicksal eines Dubstep-DJs, sondern der fehlende Heimvorteil, ermuntere ich mich selbst und belohne mich mit den durchdringenden Basswellen von Shackletons „Naked“. Nach kurzer Zeit schon füllt sich der Raum und nach ein paar Minuten entsteht eine intime Clubatmosphäre. Nach einer kurzen Gewöhnungsphase funktioniert der Bass also doch als ein Grenzen auflösendes Element. Und trotzdem, bemerkenswert war die rastlose Bahnhofsstimmung, indem einige kurz nach dem Betreten der Tanzfläche selbige schnell wieder verließen. Das scheint nicht verwunderlich bei einer Musik mit komplexer Polyrhythmik und dem damit verbundenem Zwang zur ständigen Neuorientierung des eigenen, sich im Schall bewegenden Körpers. Dubstep zwingt einen auch nahezu zum selektiven Hören, man kann (oder muss) sich aussuchen, ob man jetzt mal dem langsamen Bass oder doch den hyperschnellen Percussions seine Aufmerksamkeit schenkt.
Die Wucht der Gesamtheit polarisiert, denn der Bass ist nicht nur eine psychische, sondern auch eine physische Herausforderung. Die Hautoberfläche wird bei der Kollision mit Schallwellen zum zweiten Hörorgan, wie der englische Theoretiker Kodwo Eshun schreibt. Da ist Techno oder House mit seinen kontinuierlichen Impulsen zunächst viel simpler in seiner gleich getakteten „Marschorientierung“. Sind viele also einfach noch nicht bereit für die kathartische Wirkung der Bassmeditation?
- Wenn der Bass in Bewegung ist, geht die Sicht verloren
Und so kristallisiert sich ein kleiner Kern von treuen Tanzenden heraus, die sich dem rhythmischen Kollektiv zugehörig fühlen. Das hat etwas sehr fundamentales, denn ein solches Kollektiv ist von jeglicher ideologischer und politischer Zugehörigkeit befreit und dadurch die elementarste Form menschlicher Zusammenkunft, wie der Künstler Kode9 in einem sehr lesenswerten Wire-Interview mitteilt. Es gilt also: Entweder intensive Immersion in die Musik oder Flucht. Es geht um eine Form von Kontemplation, die in unserer modernen Gesellschaft höchstens noch von pseudoesoterisch genährten Bedürfnissen geprägt ist und daraufhin von urbanen Yogazentren instrumentalisiert wird. Dann aber natürlich im Kontext einer Art Gewissensberuhigung unter dem Aspekt des Feierabendluxus und nicht etwa als emanzipatorisches Moment eines Tanzerlebnisses. Nach etwa drei Stunden befinde ich mich wieder in einem leeren Raum. Es gibt noch viel zutun.
Achja, was ist eigentlich mit der dritten Sorte von Menschen? Das erfahre ich leider nie. Stattdessen pflichte ich bei und stoße an. Eine der meist getätigten humanen Übersprungshandlungen eines modernen Partygängers.
Text: Phire