AutorIn: Dan Simmons
Titel: Drood
Band: Einzelband
Verlag: Heyne
Genre: Historischer Roman
ISBN: 978-3-453-40806-7
Erscheinungsjahr: Okt. 2010
Seitenanzahl: 976
Altersempfehlung: ab 14
Kaufpreis: 10,99€
Krümelanzahl:4
Erster Satz:
Ich heiße Wilkie Collins, und da ich die Veröffentlichung dieser Aufzeichnungen auf einen Zeitpunkt hinauszuschieben gedenke, der mindestens eineinviertel Jahrhunderte nach meinem Ableben liegt, vermute ich, dass Du meinen Namen nicht kennst.
Inhalt:London, 1865. Der bedeutendste Schriftsteller jener Zeit, Charles Dickens, tritt eine Reise an. Ausgerechnet die Eisenbahn, in der er sitzt, rast auf eine ungesicherte Baustelle zu und entgleist. Qualvolle Minuten lang werden die Waggons eine Brücke hinunter geschleudert und der Zug auseinander gerissen. Unter den wenigen Überlebenden befindet sich Dickens .. er widmet sich aufopferungsvoll anderen Überlebenden und Schwerverletzten. Noch ein anderer Mann kümmert sich um die verletzten Passagiere; doch alle Menschen, nach denen er schaut, scheinen bereits gestorben zu sein .. oder nun ihren letzten Atemzug zu tun. Sein Name ist Drood.
Meine Meinung:
Lange Zeit wagte ich mich an dieses Monster an Taschenbuch nicht heran. Knapp 1000 Seiten ließen in mir die Befürchtung aufkommen, dass das Buch hinterher keinen so geraden Rücken mehr hätte wie anfangs. Aber ich konnte mich von meinem eigenen schonenden Lesen überzeugen; so sieht „Drood“ auch immer noch hübsch in meinem Regal aus. Hübsch fand ich im Übrigen auch schon immer das Cover. Es ist eins zu eins von dem deutschen Hardcover übernommen worden und bringt genau das richtige Gefühl rüber: rätselhaft, geheimnisvoll, düster, unheimlich und spannend. So empfand ich nicht nur den Anblick des Romans, sondern auch seine Geschichte, seine Inspiration und seine Geheimnisse. „Drood“ wartet aber nicht nur mit vielen Fragen auf, sondern weiß auch zu überzeugen. Die Sprache, von der Dan Simmons Gebraucht macht, hat mich von der ersten Seite an gefesselt. Ich fühlte mich tatsächlich ins alte England zurück versetzt und sah das alte Manuskript von Mr. Collins schier vor mir. Ich stellte mir vor, glücklich die vergilbten Seiten des großen Autors in den Fingern zu halten und lesen zu dürfen .. davon wie sich die enge Freundschaft zwischen Wilkie Collins und Dickens verändert. Davon wie sie in dichten Nebelschwaden und betörenden Düften dunkle Opiumhöhlen durchstreifen. Davon wie die Suche nach Drood alles in ihrem Leben an sich reißt. Ich war fasziniert, die letzten fünf Lebensjahre von Charles Dickens so nah mit zu erleben. Erst im Nachhinein wurde mir klar, wie viel Recherchearbeit vermutlich hinter dem Buch steckt und wie sehr Simmons sich bemüht hat, alle Details, die aufzutreiben waren, kunstvoll in seine Geschichte miteinzubeziehen. Besonderes Augenmerk liegt natürlich auf dem Zugunglück im englischen Staplehurst. Was bei dieser Katastrophe geschah, ließ Dickens nie wieder ruhig schlafen. Das Ereignis wirkte sich auch auf seine schriftstellerischen Fähigkeiten aus, über die Kritiker noch heute im Streit sind. Genau diese Uneinigkeiten nutzte Simmons für sich, würzte sie mit ein wenig Phantasie und kreierte daraus einen stimmigen Mix aus fiktiver und biographischer Erzählung. Dickens Freund und Schriftstellerkollege Wilkie Collins schaut auf uns herab und berichtet aus der Ich-Perspektive von dem Unglück und den seltsamen Folgen, die es auf Dickens hatte. Die Sprache, die der Autor dabei seinem Erzähler, Collins, überlässt, entspricht der damaligen Ausdrucksweise und empfinde ich als anmutend und stilvoll.
Wortgewaltig und poetisch beschreibt uns ein berühmter Schriftsteller die Schrecken der Londoner Unterwelt Tapfer kämpfte ich mich weiter von Seite zu Seite und ignorierte dabei die kleingedruckte Schrift und das hauchdünne Papier. Ich erlebte meine erste Durststrecke, als mir klar wurde, wie motivierend ich normalerweise Kapitelüberschriften empfinde, die einen Hinweis auf den Inhalt geben. Dieser Lichtblick war hier nicht gegeben. Und je tiefer ich in die Geschehnisse eindrang, umso schwerer fiel es mir auch, die Realität von Fiktion zu unterscheiden. Der Erzähler, Collins, war mir dabei leider keine große Hilfe. Er gestand seine ausgiebige Vorliebe zu betäubenden Substanzen wie Laudanum und Opium. Sie würden ihm die Schmerzen der Gicht und des Alters erträglicher gestalten. Doch für mich entfalteten sich die Drogen nur in einem einzigen Sumpf, dessen Schwaden sich wabernd um mich legten und versuchten mit einzuduseln. Immer häufiger entglitt ich den ausführlichen Beschreibungen und konnte vor lauter Anstrengung nicht ausmachen, ob ich mich mitten in einem neuen Opiumrausch oder doch der Fortführung der Geschichte befand.Unabhängig von diesen Längen schaffte „Drood“ es jedoch gänzlich in seinen Bann zu ziehen, denn der Drang, Antworten zu finden, war größer als jede erzählerische Einöde. Kaum ein Charakter wurde mir bislang so eindrücklich und facettenreich vorgestellt, wie die beiden Schriftsteller Collins und Dickens. Ich möchte dabei erwähnen, dass es nicht nur bei diesen beiden Figuren und ihren wahren Begebenheiten bleibt. Auch viele andere Personen, die zu jener Zeit tatsächlich gelebt haben, finden ihren Auftritt und eine gerechte Charaktertiefe.Jedem geduldigen Leser wird Simmons ein Geschenk bereiten, das er so schnell nicht wieder vergessen wird. Ein Geschenk voller Wissen, Phantasie und traumhafter Lesezeit!
Ob Historie, Krimi, Thriller oder Horror, ob Biographie, Erzählende Literatur oder Fantasterei - Dan Simmons weiß mit „Drood“ alle Genre zu bedienen, ohne die beliebtesten Muster auszuschlachten. Viel eher schafft er aus seinen eigenen Gedanken, recherchierten Informationen und vielen individuellen Eindrücken ein so nie da gewesenes Epos von dramaturgischer Dichte, einzigartiger Erzählkunst und ungewöhnlicher Glaubwürdigkeit!
Mein Fazit:Vermutlich hätte ich in meinem ganzen Leben nie so viel über Charles Dickens und dessen Werke gelernt, wie mit diesem Abenteuerroman. Dass bei etwa 1000 Seiten auch einmal unerwünschte Längen auftauchen, ist zu erwarten, aber dadurch nicht weniger unangenehm. Daher komme ich zu sehr guten ~ 4 Krümel ~
Jimmy
Titel: Drood
Band: Einzelband
Verlag: Heyne
Genre: Historischer Roman
ISBN: 978-3-453-40806-7
Erscheinungsjahr: Okt. 2010
Seitenanzahl: 976
Altersempfehlung: ab 14
Kaufpreis: 10,99€
Krümelanzahl:4
Erster Satz:
Ich heiße Wilkie Collins, und da ich die Veröffentlichung dieser Aufzeichnungen auf einen Zeitpunkt hinauszuschieben gedenke, der mindestens eineinviertel Jahrhunderte nach meinem Ableben liegt, vermute ich, dass Du meinen Namen nicht kennst.
Inhalt:London, 1865. Der bedeutendste Schriftsteller jener Zeit, Charles Dickens, tritt eine Reise an. Ausgerechnet die Eisenbahn, in der er sitzt, rast auf eine ungesicherte Baustelle zu und entgleist. Qualvolle Minuten lang werden die Waggons eine Brücke hinunter geschleudert und der Zug auseinander gerissen. Unter den wenigen Überlebenden befindet sich Dickens .. er widmet sich aufopferungsvoll anderen Überlebenden und Schwerverletzten. Noch ein anderer Mann kümmert sich um die verletzten Passagiere; doch alle Menschen, nach denen er schaut, scheinen bereits gestorben zu sein .. oder nun ihren letzten Atemzug zu tun. Sein Name ist Drood.
Meine Meinung:
Lange Zeit wagte ich mich an dieses Monster an Taschenbuch nicht heran. Knapp 1000 Seiten ließen in mir die Befürchtung aufkommen, dass das Buch hinterher keinen so geraden Rücken mehr hätte wie anfangs. Aber ich konnte mich von meinem eigenen schonenden Lesen überzeugen; so sieht „Drood“ auch immer noch hübsch in meinem Regal aus. Hübsch fand ich im Übrigen auch schon immer das Cover. Es ist eins zu eins von dem deutschen Hardcover übernommen worden und bringt genau das richtige Gefühl rüber: rätselhaft, geheimnisvoll, düster, unheimlich und spannend. So empfand ich nicht nur den Anblick des Romans, sondern auch seine Geschichte, seine Inspiration und seine Geheimnisse. „Drood“ wartet aber nicht nur mit vielen Fragen auf, sondern weiß auch zu überzeugen. Die Sprache, von der Dan Simmons Gebraucht macht, hat mich von der ersten Seite an gefesselt. Ich fühlte mich tatsächlich ins alte England zurück versetzt und sah das alte Manuskript von Mr. Collins schier vor mir. Ich stellte mir vor, glücklich die vergilbten Seiten des großen Autors in den Fingern zu halten und lesen zu dürfen .. davon wie sich die enge Freundschaft zwischen Wilkie Collins und Dickens verändert. Davon wie sie in dichten Nebelschwaden und betörenden Düften dunkle Opiumhöhlen durchstreifen. Davon wie die Suche nach Drood alles in ihrem Leben an sich reißt. Ich war fasziniert, die letzten fünf Lebensjahre von Charles Dickens so nah mit zu erleben. Erst im Nachhinein wurde mir klar, wie viel Recherchearbeit vermutlich hinter dem Buch steckt und wie sehr Simmons sich bemüht hat, alle Details, die aufzutreiben waren, kunstvoll in seine Geschichte miteinzubeziehen. Besonderes Augenmerk liegt natürlich auf dem Zugunglück im englischen Staplehurst. Was bei dieser Katastrophe geschah, ließ Dickens nie wieder ruhig schlafen. Das Ereignis wirkte sich auch auf seine schriftstellerischen Fähigkeiten aus, über die Kritiker noch heute im Streit sind. Genau diese Uneinigkeiten nutzte Simmons für sich, würzte sie mit ein wenig Phantasie und kreierte daraus einen stimmigen Mix aus fiktiver und biographischer Erzählung. Dickens Freund und Schriftstellerkollege Wilkie Collins schaut auf uns herab und berichtet aus der Ich-Perspektive von dem Unglück und den seltsamen Folgen, die es auf Dickens hatte. Die Sprache, die der Autor dabei seinem Erzähler, Collins, überlässt, entspricht der damaligen Ausdrucksweise und empfinde ich als anmutend und stilvoll.
Wortgewaltig und poetisch beschreibt uns ein berühmter Schriftsteller die Schrecken der Londoner Unterwelt Tapfer kämpfte ich mich weiter von Seite zu Seite und ignorierte dabei die kleingedruckte Schrift und das hauchdünne Papier. Ich erlebte meine erste Durststrecke, als mir klar wurde, wie motivierend ich normalerweise Kapitelüberschriften empfinde, die einen Hinweis auf den Inhalt geben. Dieser Lichtblick war hier nicht gegeben. Und je tiefer ich in die Geschehnisse eindrang, umso schwerer fiel es mir auch, die Realität von Fiktion zu unterscheiden. Der Erzähler, Collins, war mir dabei leider keine große Hilfe. Er gestand seine ausgiebige Vorliebe zu betäubenden Substanzen wie Laudanum und Opium. Sie würden ihm die Schmerzen der Gicht und des Alters erträglicher gestalten. Doch für mich entfalteten sich die Drogen nur in einem einzigen Sumpf, dessen Schwaden sich wabernd um mich legten und versuchten mit einzuduseln. Immer häufiger entglitt ich den ausführlichen Beschreibungen und konnte vor lauter Anstrengung nicht ausmachen, ob ich mich mitten in einem neuen Opiumrausch oder doch der Fortführung der Geschichte befand.Unabhängig von diesen Längen schaffte „Drood“ es jedoch gänzlich in seinen Bann zu ziehen, denn der Drang, Antworten zu finden, war größer als jede erzählerische Einöde. Kaum ein Charakter wurde mir bislang so eindrücklich und facettenreich vorgestellt, wie die beiden Schriftsteller Collins und Dickens. Ich möchte dabei erwähnen, dass es nicht nur bei diesen beiden Figuren und ihren wahren Begebenheiten bleibt. Auch viele andere Personen, die zu jener Zeit tatsächlich gelebt haben, finden ihren Auftritt und eine gerechte Charaktertiefe.Jedem geduldigen Leser wird Simmons ein Geschenk bereiten, das er so schnell nicht wieder vergessen wird. Ein Geschenk voller Wissen, Phantasie und traumhafter Lesezeit!
Ob Historie, Krimi, Thriller oder Horror, ob Biographie, Erzählende Literatur oder Fantasterei - Dan Simmons weiß mit „Drood“ alle Genre zu bedienen, ohne die beliebtesten Muster auszuschlachten. Viel eher schafft er aus seinen eigenen Gedanken, recherchierten Informationen und vielen individuellen Eindrücken ein so nie da gewesenes Epos von dramaturgischer Dichte, einzigartiger Erzählkunst und ungewöhnlicher Glaubwürdigkeit!
Mein Fazit:Vermutlich hätte ich in meinem ganzen Leben nie so viel über Charles Dickens und dessen Werke gelernt, wie mit diesem Abenteuerroman. Dass bei etwa 1000 Seiten auch einmal unerwünschte Längen auftauchen, ist zu erwarten, aber dadurch nicht weniger unangenehm. Daher komme ich zu sehr guten ~ 4 Krümel ~
Jimmy