Rezi: Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry

Rezi: Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry

AutorIn: Rachel Joyce
Titel: Die unwahr. Pilgerreise des H.F.
Band: Einzelband ; hardcover
Verlag: Krüger
Genre: Realitätsroman
ISBN: 978-3-8105-1079-2
Erscheinungsjahr: März 2012
Seitenanzahl: 384Altersempehlung: ab 14 Jahren
Kaufpreis: 18,99€
Krümelanzahl: 4
Inhalt:
Der pensionierte Brauereimitarbeiter erhält auf einmal von einer längst vergessenen Freundin einen schmucklosen Brief. Die zeilen der todkranken Queenie rühren Harold Fry so sehr, dass er augenblicklich noch eine Antowort nieder schreibt. Höchst persönlich möchte er den Brief im Kasten um die Ecke auf Reisen schicken. Doch als er angekommen ist, denkt er ganz plötzlich bei sich, er könne ja auch noch bis zum nächsten Briefkasten laufen - oder zum übernächsten. So wäre der Brief sicher gleich viel schneller da. Als Harold im nächsten Dorf ankommt und die Leerungszeit längst abgelaufen ist, beschließt er, einfach nicht mehr umzukehren. Er wird den langen Weg auf sich nehmen. So groß kann England ja nun nicht sein.
Ohne einen Plan im Kopf und vernünftige Schuhe an den Füßen macht der alte Mann sich auf den Weg. Dabei begegnet er vielen Menschen, denen er seine Geschichte erzählt, die gerade beginnt. Und im Gegenzug erzählt so der ein oder andere auch ihm etwas. Harold kommt ins Grübeln. Er muss an seine Frau Maureen denken. Und auch an seinen Sohn David. Doch Harold geht weiter. Er geht für Queenie, seine Frau und auch ein kleines bisschen für sich selbst!
Meine Meinung:
Die große Aktion vom Krüger-Verlag hat Wellen geschlagen, die auch bis zu mir vorgedrungen sind. Die Gestaltung ging der Idee voran und stahl sich sofort in mein Herz. Ich liebe Cover, die das Gefühl von vergangenen Zeiten vermitteln, und dazu passt die Hintergrundfarbe perfekt, die ein wenig an vergilbtes Papier erinnert. Auch der kleine Vogel und die ausgelatschten Schuhe tragen zur Atmosphäre des Bildes bei. Doch eigentlich zieren sie nur den Rand des Buches, denn in der Mitte befindet sich der Titel und somit Harold Fry selbst. Er steht ohne Frage im Mittelpunkt. Das zeigt auch schnell ein erstes Durchblättern des Buches. Jedes Kapitel ist mit einer eigenen Überschrift versehen, die zugegeben recht schlicht gehalten sind. Darin zeigt sich deutlich, aus wessen Sicht die folgenden Passagen erzählen, bspw. "Harold und der Brief". Ihm sind als Hauptprotagonist selbstredend die meisten Kapitel gewidmet. Kurz gehalten ermöglichen sie ein schnelleres Weiterlesen. Bei mir wurde das jedoch direkt durch die fehlende Spannung wieder zunichte gemacht. Häufig musste ich mich ermahnen weiter zu lesen. Eigentlich reizte mich die Geschichte ja schon von sich aus, da ich wissen wollte, was nun wirklich hinter dem Brief von Queenie steckte. Aber irgendwie war mir der Verlauf zu schleppend. Es geschah einfach nichts, außer, dass Harold seinen Weg ging. Er ächzte und beschwerte sich, schimpfte und verfluchte seine eigene Idee.
>> Ich bin auf dem Weg. Du musst nur durchhalten. Ich werde dich retten, du wirst schon sehen. Ich werde laufen, und du wirst leben. <<

Umso interessanter empfand ich die vielen philosophischen Gedankenspielereien. Sowohl der naive Harold selbst als auch seine neuen Bekanntschaften sinnieren über das Leben und ziehen neue Schlüsse aus ihren Erinnerungen. Zu Beginn nimmt man Harolds Apathie und die Resignation, die das Ehepaar mit der Zeit so aufgebaut hat, nur hin. Mit dem Mut findet Harold jedoch auch die Hoffnung zurück. Als ich merkte, wie der Held sich nach und nach selbst wieder aufbaute, machte mich das selbst ein wenig stolz.  Ich durfte ihn bei der Selbstfindung und seiner Entwicklung beobachten.
Eine so enorme Wandlung eines Charakters habe ich bisher noch nie erlebt. Und sie ist obendrein auch noch positiv und lebensbejahend!

Zum Ende hin wird immer offensichtlicher, dass Harold sich aufraffen konnte, seinem Leben doch noch einen Sinn zu verleihen. Mit kleinen Gesten kann man viel bewirken und es gibt auch noch Wunder auf der Welt. Harold sieht ein, dass es nie dafür zu spät ist, noch etwas zu verändern - sofern man denn den Willen besitzt. Deswegen ist dieses Buch ein ungeheuer wertvolles Stück Literatur, das insbesondere auch einer älteren Generation neuen Mut bringen kann. Damit nicht genug. Es stehen noch viele ebenso tiefgründige Themen im Mittelpunkt. Die Geschichte erzählt von Freundschaft und Familie, von Trauer und Liebe.
Seite 119

>> Er maß die Entfernung nicht mehr in km, sondern in Erinnerungen. <<
Ganz besonders geht es hier jedoch um Vegebung. Der Hauptprotagonist muss lernen, sich selbst zu verzeihen. Aber auch die Menschen aus seinem Leben spielen dabei eine große Rolle. Denn Harold hat nicht nur schöne Erlebnisse mit ihnen teilen müssen. Nicht nur Taten, die man begangen hat, gibt es zu bereuen. Auch und insbesondere trauert man manchmal um Dinge, die man nicht getan hat. Viele unangenehme Gedanken kommen wieder hoch - nun ist er jedoch gestärkt und weiß sich gegen den Trübsal zu wehren. Das machte ihn mir sehr sympathisch. Denn aus dem hoffnungslosen alten Mann ist ein lebensfroher und rüstiger Familienmensch geworden. Seine leichtsinnige Art und Weise fand ich sehr angenehm. Er kam ehrlich daher und erzählte freimütig aus seiner Vergangenheit. Auch die anderen Personen, denen er über den Weg läuft, wirken sehr realistisch gezeichnet. Sie versprühen eine ironische Wirklichkeit gepaart mit dem Ernst des Lebens. Schön dass es auch Charaktere gab, die man eindeutig als unsympathisch einstufen durfte. Harolds Frau Maureen gehörte dazu. Ihre zickige und herbalassende Art hat sicher jedem Leser Mitgefühl für den lieben Rentner entlockt.Der Pfiff war da und auch die intelligente Seite des Buches hat sich schnell gezeigt. Leider konnte ich keinen Spannungsbogen entdecken und zu oft fühlte ich mich an den Kult-Helden "Forrest Gump" erinnert, wie er läuft und läuft und dabei immer älter wird und sein Glück findet.

Mein Fazit:
Ein langsames Buch, das einen selbst zum Voranschreiten animiert.
Dafür gibt es angenehme ~ 4 Krümel ~
Jimmy


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