Der Mann hat einen Vogel. Nein, korrigiere: Der Mann hat Heerscharen von Vögeln. Gänse, Enten, Rotkehlchen, Amseln, Staren, Raubmöwen. Immerhin: Er hat auch einen Doktortitel, der ihm seine Kenntnisse in der Vogelkunde bescheinigt. Brian Briggs, Leadsänger der schottischen Band Stornoway, macht sich auf “Bonxie” daran, seine beiden Leidenschaften zu verbinden. Willkommen in der Welt des ornithologischen Pop!
“Bonxie”, das dritte Album von Stornoway, trägt den ersten Vogel bereits auf dem Cover. Fantasievoll collagiert schwingt sie sich auf, die Grosse Raubmöwe (Stercorarius skua), in der britischen Umgangssprache auch Bonxie genannt. Von hier an ziehen sich lyrische Referenzen an die Welt der Vögel und subtil in die Songs eingearbeitete Vogel-Geräuschkulissen durch das ganze Album. Brian Briggs’ Liebe zu den gefiederten Tieren geht so weit, dass er letzten Monat in einem Guardian-Artikel für die Aufnahme der Vogelsprache in die Lehrpläne der britischen Schulen plädierte.
So weit, so gut. Nun aber zur Musik, denn bei aller Liebe zu ornithologischen Liebhabereien steht diese auf “Bonxie” doch im Vordergrund. Das letzte Album der Band, “Tales From Terra Firma” (4AD, 2013), war ein Meisterwerk barock-opulenten Folkpops, dessen verzauberte Melodien und detailverliebte Arrangements noch immer begeistern. “Bonxie” schliesst genau da an und vermag wiederum diesen ganz eigenen Stornoway-Sound zu transportieren, eine Art intellektuell fordernder, dabei aber oft unverschämt eingängiger Folkpop mit warmen Gesangsharmonien, poetischen Texten und bisweilen ungewohnter Instrumentierung.
Produziert wurde das Album von Gil Norton (Echo & The Bunnymen, Pixies, Maxïmo Park), Einflüsse auszumachen ist schwierig, Briggs nannte in einem Interview für einzelne Songs etwa Björk, Phil Spector oder McAlmont & Butler. Zwischen sphärischem Progressive-Pop (“The Heart of the Great Alone”), klassischem Gitarre-und-Stimmharmonie-Folk (“Josephine”), blauäugigem britischem Soul (“Man On Wire”) und schrammelndem Gitarrenindie (“When You’re Feeling Gentle”) bleiben Stornoway immer Stornoway. Sie kopieren keine Genre-Stereotypen, sie machen sie sich zu eigen und passen sie in ihren eigenen Sound ein.
Dass dies vielfach in veritablen Ohrwürmern münden kann, beweist nicht zuletzt der grösste Pop-Moment des Albums, vielleicht überhaupt des bisherigen Stornoway-Repertoires: “Get Low”. Ein optimistischer, ermutigender Song, dessen Video (mit Wildgänsen!) ebenfalls glänzt.
Songtitel wie “The Road You Didn’t Take”, “The Heart of the Great Alone” und “Love Song of the Beta Male” deuten schon an, dass auch die Affinität zur literarischen Sprachspielerei Teil des Konzepts ist. Der Opener “Between The Saltmarsh And The Sea” erzählt aus der Perspektive der Salzwiese und der Gezeiten eine ergreifende Parabel über menschliche Beziehungen. Themen von Nostalgie und Freiheitssuche, Verletzlichkeit und Vergänglichkeit dominieren die Texte, die musikalisch stets hervorragend umgesetzt werden. Sei es mit genau passenden Klängen oder auch mal mit dezenter Ironie wie etwa im Song “Lost Youth”, dessen Refrainzeile “We are lost” durch die betont freudig beschwingten Klänge einen hübschen Kontrast gewinnt.
Es ist diese Aufmerksamkeit für feine kleine Details in Wort und Klang, die auch das dritte Stornoway-Album zu einem abwechslungsreichen, spannenden Erlebnis macht, dem man als Hörer gleichermassen seine ganze Aufmerksamkeit widmen sollte. “Bonxie”, das sind elf Songs für Träumer, die mit beiden Füssen auf dem Boden stehen, sich aber stets bewusst sind, dass sie, um sich Flügel wachsen zu lassen und sich aufzuschwingen in freiere Lüfte, nur die Augen zu schliessen brauchen.
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