Rezension: Stefano Benni – Von allen Reichtümern (Wagenbach, 2014)

In seinem bislang letzten Roman “Von allen Reichtümern” (Original:  2012) erzählt der italienische Bestsellerautor Stefano Benni (*1947) die Geschichte eines einsamen pensionierten Literaturprofessors auf den Spuren eines mysteriösen toten Dichters und der grossen Liebe. Eine gelungene Kombination aus Gesellschaftssatire, Künstlerroman und herzergreifendem Liebesmärchen.

“Von allen Reichtümern, die ich gesehen habe
Möchte ich nur eines wirklich
Deine Augen aus Himmelswasser.”

benni

Titel: Von allen Reichtümern
Original: Di tutte le ricchezze (Feltrinelli 2012)
Autor: Stefano Benni
Übersetzung: Mirjam Bitter
Verlag: Klaus Wagenbach
ISBN: 978-3-8031-3255-0
Umfang: 224 Seiten, gebunden m. Schutzumschlag

Die titelgebenden Verse des Romans stammen aus der Feder seines heimlichen Protagonisten Domenico Rispoli, genannt der Catena. Er war ein geistig kranker Dichter, der angeblich Selbstmord begangen haben soll. Der offensichtliche Protagonist und (meist) Erzähler des Romans ist Martin, ein pensionierter Literaturprofessor und Exeget des Catena, der die anerkannte Version von dessen Tod in Zweifel zieht. Er lebt mit seinem Hund Ombra in einem abgelegenen Haus am Waldesrand, hat es sich mit einer gewissen Selbstironie in seiner Einsamkeit bequem gemacht, spricht mit dem Hund und den Tieren des Waldes, schreibt von Zeit zu Zeit an einem Band über komische Lyrik und wartet sehnsüchtig auf Anrufe seines Sohnes Umberto, der in den USA lebt.

Als in eines der wenigen nähergelegenen Häuser das junge Künstlerpaar Aldo und Michelle zieht, gerät Martins Welt des resignierten Älterwerdens aus den Fugen. Aldo erinnert ihn an sich selbst in den Jahren der Jugend: impulsiv, zerrissen, im Kampf um künstlerische Anerkennung. Michelle wiederum weckt in Martin schmerzhafte Erinnerungen an eine grosse Liebe, deren Ende er nie verarbeitet hat, weil er mit dem “Verbrechen, sie alleinzulassen” nicht klarkommen kann.

Trost und Weisheit in den Versen des Catena und eigenen Gedichten suchend, die häufig Kapitelanfänge zieren, vermag sich der weise Alte doch nicht zu retten vor dem, was mit dem ersten Besuch von Aldo und Michelle in Gang gesetzt wurde. Die Künstler suchen Unterstützung und Rat beim namhaften Literaturprofessor, der wiederum stürzt Hals über Kopf in einen Strudel der Gefühle, die er glaubte hinter sich gelassen zu haben.

“Meine Einsamkeit ist würdevoll, ich begegne ihr erhobenen Hauptes, doch wenn ich ihr ins Gesicht sehe, verlacht sie mich, verletzt mich, lässt all die Einsamkeiten der Vergangenheit zurückkehren. So ist es: Jede Einsamkeit trägt alle erlebten Einsamkeiten in sich.”

Der langen Rede kurzer Sinn: Martin verliebt sich Hals über Kopf in Michelle. Deren Beziehung zu Aldo zerbricht, mit einem wertvollen Geschenk aus den Händen Martins macht sich der erfolglose Künstler auf den Weg zurück in die Stadt – und Martin kann mit Michelle endlich die Zweisamkeit geniessen, die er sich gewünscht hat, von der er aber auch weiss, dass sie nicht anhalten wird.

Im nahegelegenen Dorf findet ein grosses Volksfest statt, das “Fest des unentschlossenen Kavaliers”, zu dem sich der alte Literaturprofessor und die junge (dreissigjährige) Künstlerin gemeinsam begeben. Die Seiten, die dieses Fest beschreiben, weisen Stefano Benni als einen wahrlich meisterhaften Erzähler aus: wie bissige Gesellschaftssatire, Mythen des Dorfes und die zu Herzen gehende Liebesgeschichte zu einem vielstimmigen, harmonischen Ganzen verwebt werden, ist hervorragend.

Benni, den man versucht ist in seiner Hauptfigur Martin wiederzuerkennen, pflegt einen fantasievollen, stets humorvollen, empathischen Stil, der durchwirkt ist von vielen Anlehnungen an Literatur und Musik. Die Perspektiven sind flexibel: mal erzählt der Professor aus der Ich-Perspektive, mal erlebt man das Geschehen anhand längerer Wortmeldungen verschiedener Beteiligter, mal mischt sich eine Erzählstimme in dritter Person ein. Es ist nicht zuletzt diese Flexibilität, die das Buch auch formal zu einem abwechslungsreichen Erlebnis macht. Was den Inhalt betrifft, so ist die Vielfalt aufgrund der verschiedenen Themen und Geschichtsstränge ebenfalls gegeben. Zur zentralen Liebesgeschichte zwischen Martin und Michelle gesellen sich viele, nichtsdestoweniger detailreich gearbeitete Randgeschichten, etwa die Fehde zwischen Martin und seinem alten Professorenwidersacher Remorus oder die Begegnung Martins mit der für verrückt gehaltenen Alten Berenice (“Sie war keine Hexe. Sie war nur eine Alte, die an der Einsamkeit litt, wie ich.”)

“Von allen Reichtümern” ist ein grossartiger Roman, dessen Mittelpunkt die emotionale Wiedergeburt des Literaturprofessors Martin bildet: zu Beginn ein ermatteter, zurückgezogener Pensionär, erfährt er nach und nach eine Auferstehung, die ihn dazu bringt, die Herausforderungen des Lebens und der Liebe wieder anzunehmen. Seine abschliessenden Gedanken sind von hoffnungsvoller, erbauender Kraft.

 


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